Kurzarbeit auf den Bohrinseln

Wer den Klimawandel bremsen will, muss die Förderung fossiler Energie drosseln, betont Ifo-Chef Sinn. Die bisherige Politik gehe daher in die völlig falsche Richtung.
Autor/en
Hans-Werner Sinn
Handelsblatt, 28.05.2009, Nr. 101, S. 7

HANS-WERNER SINN | MÜNCHEN Unseren Energieverbrauch senken - das ist das große Ziel der Umweltpolitik. Der Staat fördert dafür alternative Energien, die Isolierung von Häusern und sparsame Autos. Diese Programme kosten Milliarden, erreichen aber vermutlich das genaue Gegenteil von dem, was die Umweltpolitiker wollen: Der weltweite Abbau von Kohle, Gas und Öl steigt, statt zu sinken.

Die Erklärung ist einfach: Da die grüne Politik verkündet, dass sie die Daumenschrauben im Laufe der Zeit immer fester anziehen will, drückt sie die zukünftigen Preise mehr als die gegenwärtigen und verringert damit die Wertsteigerung der Ölfelder und Bergwerke. Deren Besitzer beobachten das mit Sorge und reagieren, indem sie ihr Fördervolumen ausdehnen, um ihr Vermögen auf Schweizer Bankkonten in Sicherheit zu bringen, wo höhere Erträge winken.

Das ist das grüne Paradoxon: Umweltpolitik, die im Laufe der Zeit immer grüner wird, wirkt wie eine angekündigte Enteignung, die Fluchtreaktionen hervorruft. Sie veranlasst die Besitzer der Ressourcen, die fossilen Kohlenstoffvorräte schneller abzubauen und beschleunigt damit den Klimawandel.

Die Umweltpolitik muss ihren Blick endlich von der Nachfrage zum Angebot an fossilen Brennstoffen lenken. Statt zum tausendsten Mal darüber nachzudenken, wie man durch technische Maßnahmen CO2 einsparen kann, sollte man sich zunächst einmal mit der Kernfrage beschäftigen, wie man die Besitzer von Öl, Gas und Kohle dazu bewegen kann, ihre Ressourcen im Boden zu lassen. Denn nur so kann man das Klimaproblem wirklich lösen.

Es mag trivial sein, doch es wird in der öffentlichen Debatte immer wieder ausgeblendet: Abgesehen von der nützlichen, aber nur begrenzt möglichen Aufforstung von Wäldern, gibt es nur zwei Wege, die Zunahme des gefährlichen Kohlenstoffbestandes in der Erdatmosphäre und damit auch den Klimawandel zu verlangsamen. Entweder man holt den Kohlenstoff vorläufig nicht aus der Erde heraus, oder man stopft ihn dort wieder hinein. Dieser Grunderkenntnis müssen sich alle technischen und politischen Vorschläge zur Bekämpfung des Treibhauseffektes unterordnen.

Den zweiten Weg zu gehen - die Rückführung des Kohlendioxids in die Erde - ist leichter gesagt als getan. Das Gas an den Schloten abzuscheiden und dann zu flüssigem CO2 zu verpressen, kostet ein Drittel der Energie, die beim Verbrennen frei wird. Gleichzeitig erfordert die Einlagerung gigantisch viel Platz: An jedem Kohlenstoffatom, das aus dem Boden herausgeholt wurde, kleben nach der Verbrennung zwei Sauerstoffatome, die ebenfalls abgelagert werden müssen. So braucht man zum Beispiel bei Anthrazitkohle mehr als fünfmal so viel Platz, wie durch den Abbau der Kohle im Boden frei geworden ist. Beim Öl ist ein mehr als dreimal so großer Raum nötig.

Nach Schätzungen des IPCC, des Ausschusses für Klimaänderungen bei den Vereinten Nationen, reicht der weltweit verfügbare Platz in alten Bergbauschächten und natürlichen Lagerräumen gerade für ein Zehntel der Ressourcen, die insgesamt noch abgebaut werden könnten. Deswegen führt, wenn man den Klimawandel verlangsamen will, kein Weg an einer langsameren Förderung fossiler Brennstoffe vorbei.

Wer argumentiert, er könne den Klimawandel durch den Einsatz neuer, energiesparender Technologien stoppen, wie sie in den Sonderbeilagen der Zeitungen immer wieder gern beschrieben werden, muss nachweisen, wie er damit den Ressourcenabbau bremsen kann. Aber genau da hapert es. In der Politik vermisst man selbst die leisesten Äußerungen zur Erfüllung dieser Bringschuld. Vom Bundesumweltministerium über die Grünen bis hin zur EU-Kommission - nichts als Schweigen im Walde.

Und selbst die Wissenschaft übergeht diesen Punkt. Mathematische Modellrechnungen, die den langfristigen Abbau von fossilen Bodenschätzen abzubilden versuchen, kümmern sich nicht ums Klima. Die klimatheoretischen Modelle dagegen berücksichtigen den Abbau der Bodenschätze nicht. Erst jetzt haben Wissenschafter begonnen, beide Aspekte gemeinsam zu untersuchen.

Dass die politischen Akteure so hartnäckig dazu schweigen, wie wir den Abbau von fossilen Ressourcen verlangsamen können, zeugt von Drückebergerei. Man macht Symbolpolitik zur Befriedigung der grünen Seele (und Stabilisierung der Geschäfte der Umweltindustrie), doch ob man dadurch überhaupt etwas erreicht, scheint nicht zu interessieren.

Und tatsächlich passiert nichts, was dem Klima helfen würde. Die massiven Klimabemühungen der Europäer haben den Umkehrpunkt der Kurve, die den weltweiten Ausstoß von Kohlendioxid zeigt, nur noch weiter hinausgeschoben. Trotz der ganzen Anstrengungen zeigt die Kurve noch nicht einmal einen Knick.

Nicht das Klima, sondern der Rest der Welt profitiert von der europäischen Politik. Weil die Umweltpolitik die Weltmarktpreise für fossile Ressourcen im Laufe der Zeit immer mehr unter Druck setzt, extrahieren die Ressourcenbesitzer ihre Bestände nur noch schneller, als es sonst der Fall gewesen wäre. Das freut die Amerikaner, die Chinesen und all die anderen Sünder. Sie kommen in den Genuss niedrigerer Energiepreise und können ihren Ressourcenkonsum um mehr als das hochschrauben, was wir einsparen.

Man könnte natürlich auf einen Gegeneffekt hoffen: Die grüne Politik könnte ja dazu führen, dass die Preise auf den Weltmärkten unter die Abbaukosten rutschen, so dass sich der Abbau nicht mehr lohnt. Diese Hoffnung trügt aber, weil Ressourcenpreise keine Kosten-, sondern Knappheitspreise sind. Wie die Preise für alte Rembrandts liegen sie weit über den Produktionskosten.

Das ist selbst heute, nach dem dramatischen Preisverfall durch die Weltwirtschaftskrise der Fall: Während der Ölpreis derzeit etwa knapp unter 60 Dollar pro Fass liegt, betragen die Kosten für das Finden und Abbauen am Persischen Golf nur etwa einen bis eineinhalb Dollar. Und selbst in Kanada, wo das Öl oft mühsam aus Teersand extrahiert werden muss, liegen die Herstellungskosten bei nicht mehr als etwa 15 Dollar.

Wegen der zunehmenden Verknappung werden die Ölpreise und die Förderkosten im Laufe der Zeit immer mehr ansteigen. Es wird aber vermutlich nie der Zeitpunkt kommen, zu dem die Förderkosten die Preise einholen oder auch nur in ihre Nähe kommen. Eine Umweltpolitik, die darauf setzt, dass die Förderung sich nicht mehr lohnt, müsste mit einem sehr dicken Hammer daherkommen. Maßnahmen, wie sie heute ergriffen werden, können das jedenfalls nicht erreichen. Das ist vermutlich auch gut so, denn es lässt sich ökonomisch und ethisch kaum rechtfertigen, einen Teil der Ressourcenbestände zulasten zukünftiger Generationen dauerhaft zu versiegeln.

Für eine wirksame Politik gibt es nur zwei Möglichkeiten. Entweder vermiest sie den Ressourcenbesitzern den Umtausch ihrer fossilen Bodenschätze in Finanzvermögen. Denkbar wäre zum Beispiel, dass sie die Erträge auf dieses Vermögen einer Quellensteuer unterwirft.

Oder sie bildet ein lückenloses Nachfragekartell in Form eines weltweiten Handelssystems für Emissionsrechte. Dann könnten die Mengen an weltweit verbrauchten Ressourcen wirksam begrenzt werden. Damit würde das angestrebte Ziel einer Senkung der weltweiten Förderung sicher erreicht. Zudem könnte man einen Teil der Erlöse der Ressourceneigentümer in die Taschen der nationalen Finanzminister umleiten, die die Emissionsrechte verkaufen. Das Angenehme würde mit dem Nützlichen verbunden.

Alles andere ist Schaumschlägerei.

Der Ökonom Hans-Werner Sinn, 61, leitet seit 1999 das Münchener Ifo-Institut für Wirtschaftsforschung. Sinn ist laut Handelsblatt-Ranking einer der forschungsstärksten deutschen Ökonomen seiner Generation. Der Professor der Ludwig-Maximilians-Universität hat sich schon Ende der 70er-Jahre mit Fragen aus der Ressourcen- und Umweltökonomie beschäftigt.

Die Paradoxon-These Seine These, die europäische Klimaschutzpolitik sei auf dem Holzweg, weil sie nur die Nachfrage-, nicht aber auch die Angebotsseite betrachte, stellte der Ökonom erstmals im Herbst 2007 auf der Jahrestagung des Vereins für Socialpolitik auf. Ein Jahr später erschien im Econ-Verlag Sinns Buch "Das Grüne Paradoxon - Plädoyer für eine illusionsfreie Klimapolitik". Derzeit ist der Professor mit seinen Forderungen zu strengeren Eigenkapitalvorschriften für Banken auf allen Kanälen.