„Umweltpolitik als Nullsummenspiel“

Cuxhavener Nachrichten, 21.11.2008

Ifo-Chef Hans-Werner Sinn im Gespräch mit unserer Zeitung über das „grüne Paradoxon“

Bremerhaven. Die deutsche Klimapolitik ist voller Illusionen und eigentlich „Humbug". Ifo-Chef Hans-Werner Sinn erläutert seine provokanten Thesen im Gespräch mit unserer Redakteurin Dörte Schuhen.

Sie wollen die Paradoxien grüner Politik entlarven. 100000 Vögel kommen jährlich in den Rotoren der Windparks ums Leben - da freuen sich die Füchse, so zitieren die Naturschützer in ihrem neuen Buch. Heißt das, man könnte gut auf Windkraft verzichten?
Sinn: Meine Hauptsorge ist, dass die Windflügel die Stromkunden irrsinnig viel Geld kosten, ohne dass sie für das Klima irgendetwas bringen. Das, was wir hier an Emissionen bei den konventionellen Kraftwerken einsparen, wird anderswo in Europa in die Luft gepustet. Wenn das eine Land die Emission reduziert, werden Zertifikate frei und über die Börse in Leipzig an andere Länder verkauft, Die dürfen dann umso mehr Treibhausgas In die Atmosphäre blasen.

Windparks haben also keinen Effekt für die Kohlendioxid-Bilanz?
Sinn: Es hat keinerlei Effekt auf den CO2-Ausstoß in Europa, wenn nur Deutschland die Windkraft fördert. Wir verbilligen damit nur den fossilen Strom für andere europäische Länder.

Mit unserer Sparpolitik verschlimmern wir sogar den Klimawandel, so behaupten Sie. Weil andere Länder - wie China - dann außerdem noch. das Öl billiger kaufen können?
Sinn: Man muss zwei Effekte unterscheiden. Durch unsere Einsparpolitik verringern wir die Weltmarktnachfrage nach Öl und halten den Preis niedrig. Das bedeutet, dass die Chinesen, die Amerikaner und all die anderen umso mehr Öl kaufen. Das ist der eine Effekt, aber dadurch wird der Klimawandel nicht schlimmer, sondern nur nicht verlangsamt.

und der andere Effekt?
Sinn: Wenn wir ankündigen, die grüne Politik im Laufe der Zeit immer weiter zu intensivieren, werden die Ölproduzenten ihren Absatz sogar noch vergrößern, um den so induzierten Preissenkungen im Vergleich zu dem Anstieg. der sich sonst ergeben hätte, zuvorzukommen. Was lernen wir daraus? Ein einziges Land oder auch nur eine Teilgruppe von Ländern kann nichts bewirken. Wir benötigen ein Kyoto-Protokoll, bei dem wirklich alle unterschreiben. Heute sind leider nur 30 Prozent der Emissionen der Welt beschränkt.

Sie sehen den geplanten deutschen Ausstieg aus der Atomtechnologie als Irrweg. „Wenn in Deutschland die AKW ausgeschaltet werden, werden sie anderswo in Betrieb genommen", so Ihre These. Die ganze Umweltpolitik also ein einziges Nullsummenspiel?
Sinn: In der Tat. So ist der Emissionshandel nun mal konstruiert. Da die Ausstoßmenge in Brüssel festgelegt wird. braucht das einzelne Land nur noch seine Kosten zu minimieren, ohne sich um die Umwelt kümmern zu müssen. Da die Zertifikatepreise zu diesen Kosten gehören, hat man dann bestmögliche Umweltpolitik gemacht. Ob Atomkraft oder Windflügel den billigeren Strom liefern, wird sich dann erweisen.

Wie sehen ihrer Meinung nach denn die Alternativen aus? Fleißig Weiterheizen wie bisher?
Sinn: Nein, der Mechanismus des Zertifikatehandels umfasst nicht den Hausbrand. Dafür gilt das Argument so nicht. Richtig ist aber auch hier, dass die Verknüpfung über den Weltmarkt für fossile Brennstoffe die Einsparungen so lange verpuffen lässt, wie nicht alle Länder und alle Sektoren der Wirtschaft vom Emissionshandel erfasst sind. Unser Ziel muss es sein. nächstes Jahr in Kopenhagen mehr Länder in das Handelssystem zu integrieren.

An der Endlichkeit der Vorräte ist doch nicht zu rütteln, was passiert, wenn alle Ressourcen wie Öl und Gas verbraucht sind?
Sinn: Es ist ja völlig unbestritten, dass man sich darauf vorbereiten sollte. Nichts spricht dagegen, neue, umweltfreundliche Technologien zu entwickeln.

Können wir nicht, sogar von Umwelttechnik made in Germany und deren Export profitieren?
Sinn: Wieso benötigen wir dafür den Staat? Wenn die Ölpreise steigen, haben die Investoren den vollen Anreiz, Ersatztechnologien zu entwickeln. Man kann des Guten auch zu viel tun. denn es geht ja um riesige Geldsummen, die den Bürgern abverlangt werden. Bislang ist der Windstrom 80 Prozent teurer als normaler Strom. Mit Geld kann man überall Jobs schaffen. Das macht die Prüfung, mit welchen Jobs die besten Exportchancen entstehen, nicht überflüssig. Deutschland kann in vielen Bereichen innovativ sein.