"Kaum Fortschritte"

Der Chef des ifo Instituts sieht keine Erfolge bei der WTO und setzt deshalb auf bilaterale Handelsabkommen mit Öffnungskauseln. Hans-Werner Sinn führt seit 1999 das ifo lnstitut und ist einer der profiliertesten Okonomen Deutschlands.
Interview mit Hans-Werner Sinn, Handelsblatt, 15. Mai 2014, Nr. 93, S. 15

Die EU und die USA verhandeln derzeit über das bilaterale Handelsabkommen TTIP. Wie wichtig ist ein Erfolg dieser Gespräche für die deutsche Wirtschaft?

Die USA und die EU stehen zusammen für 46 Prozent des Bruttoinlandsprodukts der Welt und ein Drittel des Welthandels. Für die exportstarke deutsche Industrie ist es essenziell, in diesem neuen Markt vertreten zu sein.

Können Sie die Folgen für die deutsche Wirtschaftsleistung beziffern?

Das ifo Institut hat die langfristigen Handelsgewinne für Deutschland auf 4,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts geschätzt. Profiteure sind vor allem die Verbraucher, die die Waren billiger bekommen und sich einen höheren Lebensstandard leisten können. Ein weiterer Vorteil liegt darin, dass uns das transatlantische Abkommen auch vor den nichttariflichen Handelshemnmissen innerhalb des Euro-Raums schützt. Man denke nur an die CO,-Richdinie, die eine unter dem Deckmantel des Umweltschutzes betrieberie Industriepolitik zum Schutze der französischen und italienischen Kleinwagenhersteller ist. Sie schadet den deutschen Premiumherstellern massiv.

Seit Jahren erleben wir den Trend zu bilateralen Abkommen. Halten Sie diese Entwicklung für bedenklich?

Ja: natürlich. Besser wäre es, Welthandelsabkommen abzuschließen. Aber das gelingt leider nicht, wie die WTO-Konferenzen in Doha und Bali gezeigt haben - von dem beschlossenen Bürokratieabbau einmal abgesehen. Da es bei der WTO kaum messbare Fortschritte gegeben hat, müssen wir es bilateral probieren. Realistischerweise müssen die USA und Europa vorangehen. Wichtig ist es, dass man nach außen hin keine Zollschrankenaufbaut, sondern eine Meistbegünstigungsklausel zugunsten von Drittländern in die Verträge einbaut.

Kann es sein, dass durch diese bilateralen Abkommen Handelsströme einfach nur umgelenkt werden. dass also das Handelsvolumen gar nicht zunimmt?

Das ist die große Gefahr. Wenn nach außen hin Zollschranken bestehen, kann es zu einer Handelsumlenkung kommen, die den Vorteil des Freihandels für die Verbraucher verhindern kann. Deswegen die Meistbegünstigungsklausel.

Besteht die Gefahr, dass andere wichtige Handelspartner wie China sich durch TTIP provoziert fühlen?

0 ja! Auch ich habe Angst·davor, dass TTIP zu einer Festung gegen die Niedrigpreiskonkurrenz aus China und den BRIC-Ländern ausgebaut wird. Das kann nur durch die Vereinbarung von Meistbegünstigungsklauseln für Drittländer verhindert werden. TTlP sollte bereits eine Verpflichtung für die USA und die EU enthalten, Drittländer beitreten zu lassen.

Ist es nicht so, dass bilaterale Abkommen meistens zulasten der kleineren Staaten geht?

Das ist zu befürchten. Aber, wie gesagt: Ich würde Schutzklauseln einbauen, statt TTIP zu unterlassen. Eine Beschränkung des Handels mit Drittländern würde den Verbrauchern und der deutschen Industrie schaden.

Die Fragen stellte Jens Münchrath.