"Gefahr eines neuen Kalten Krieges"

Eingetrübt. Die Prognosen waren zu optimistisch, sagt Ökonom Sinn. Erfordert politische Lösungen mit Russland
Interview mit Hans-Werner Sinn, Kurier, 07.08.2014, S. 9

von H. SILEITSCH-PARZER

Steigende Energiepreise, geringere Exporte: Der Ukraine-Konflikt lässt das Wirtschaftsklima der Eurozone nicht unbeeinflusst. Erstmals seit Ende 2012 hat sich die Erwartungshaltung für die nächsten sechs Monate stark eingetrübt.

Das vom Münchner Ifo-Institut - auf Basis einer Befragung von 300 Experten - berechnete Konjunkturbarometer sank im dritten Quartal auf 118,9 Punkte. Im Vorquartal hatte es mit 123 Punkten den höchsten Stand seit Ausbruch der Krise markiert. Ifo-Präsident Hans-Werner Sinn, einer der renommiertesten und zugleich streitbarsten Ökonomen, erklärt die Gründe.

KURIER: Deutschlands Wachstum hat im zweiten Quartal 2014 stagniert. Die EU-Sanktionen gelten doch eigentlich als recht austariert: Warum hatten diese dann schon jetzt so starke Folgen für Deutschland?

Hans-Werner Sinn:Über vierzig Prozent der von uns befragten Unternehmen haben erklärt, dass sie Russland-Kontakte haben. Die Einschränkung der Geschäfte durch die Sanktionen schädigt beide Seiten gleichermaßen.

Exporte nach Russland sind für Österreich ähnlich wichtig wie für Deutschland. Unsere Unternehmen und vor allem Banken haben dort deutlich mehr investiert. Muss Österreich noch stärkere Auswirkungen befürchten?

Ja. Die Sanktionen sind kein großes Thema für die USA oder für die Länder Westeuropas, die wenig Kontakte zu Russland unterhalten. Doch gerade Österreich und Deutschland sind stark betroffen.

Erwarten Sie, dass die Wirtschaftssanktionen der EU und der USA ihre politischen Ziele erreichen werden?

Vielleicht werden die Sanktionen Russland hinreichend schädigen, um ein Einlenken zu erzwingen. Auf jeden Fall beschwören die Sanktionen die Gefahr eines neuen Kalten Krieges herauf und behindern die europäische Wirtschaftsentwicklung in Ost und West. Es wäre sarkastisch, dies als das Ziel von Sanktionen zu bezeichnen.

Global und im Euroraum wurden zuletzt die Konjunkturprognosen ständig zurückgenommen. Ist die Erholung schon wieder vorbei und droht uns nun eine Phase der Stagnation?

Zurzeit wächst die Wirtschaft nicht, doch vermute und hoffe ich, dass das nur eine Delle ist. Unsere Wachstumsprognosen für 2014 und 2015 werden wir korrigieren müssen. Sie waren zu optimistisch.

Die Börsen, vor allem in Frankfurt, haben seit Anfang Juli stark nachgegeben. Spielt da die Russland-Krise mit, waren das Gewinnmitnahmen oder ist die Konjunkturskepsis generell gestiegen?

Dahinter steckt nach meiner Einschätzung vor allem die Furcht vor einem neuen Crash, die durch die Pleite der größten portugiesischen Bank, Espirito Santo, hervorgerufen wurde. Die Verschärfung der Krise in der Ukraine, die sich in einer Verschlechterung der Geschäftserwartungen der deutschen Unternehmen gezeigt hat, sehe ich als ein die Gefahr verstärkendes Element.

Was brauchen Europa und Österreich im Besonderen, um auf einen soliden Wachstumspfad zurückzukehren?

Wir sollten uns mit Russland um eine politische Lösung des Ukraine-Konflikts bemühen, statt die Politik der Sanktionen zu betreiben. Außerdem sollten wir aufhören, die Kapitalströme durch Garantieversprechen der europäischen Zentralbanken und der Rettungsschirme aus den noch funktionierenden Nordländern einschließlich Österreichs gen Südeuropa zu leiten. Diese Form von Investitionslenkung bietet dem Süden zwar eine momentane Lösung des Schuldenproblems, führt aber zu einer Fortsetzung der Kapitalvernichtung und zu massiven Wachstumsverlusten für Europa im Ganzen.