ifo Standpunkt Nr. 61: Was muss passieren, um die Arbeitslosigkeit in Deutschland abzubauen?

Autor/en
Hans-Werner Sinn
München, 11. Februar 2005

Deutschland wird in diesem Jahr offiziell etwa 4,5 Millionen Arbeitslose haben. Rechnet man die Frührentner und die Personen in diversen arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen hinzu, sind es gut 6 Millionen. Und rechnet man die stille Reserve der Arbeitswilligen hinzu, die sich aus lauter Frust nicht mehr melden, kommt man auf über 7 Millionen.

Arbeitslosigkeit entsteht, wenn sich die Wirtschaft in einem Konjunkturtief befindet oder wenn die Arbeit im Verhältnis zur Vollbeschäftigungsproduktivität zu teuer ist. Ersteres spielt kaum eine Rolle, denn besser als jetzt wird die Konjunktur auf absehbare Zeit kaum werden. Die Weltkonjunktur boomt stärker als jemals zuvor während des letzten Vierteljahrhunderts, und der stark wachsende deutsche Export erzeugt derzeit mehr konjunkturell relevante Nachfrage, als es das verwegenste staatliche Konjunkturprogramm vermöchte. Es kommt also nur die zweite dieser Erklärungen in Frage.

Seit der Kommunismus gefallen ist, steht ein Drittel der Menschheit zusätzlich im Wettbewerb um das international mobile Kapital und offeriert ihm traumhaft hohe Renditen. Mit der Kombination von Lohn und Produktivität, zu der die deutschen Arbeitnehmer vor dem Fall des Eisernen Vorhangs beschäftigt wurden, kommt man heute nicht mehr zurecht. Um ihre Wettbewerbsfähigkeit wiederzugewinnen, müssen die deutschen Arbeitnehmer produktiver oder billiger werden. Sonst bleiben allein die deutschen Firmen wettbewerbsfähig, die sich in Osteueropa und Asien sehr gut aufgestellt haben und einen immer größeren Wertanteil der in Deutschland produzierten Waren in Niedriglohnländern vorfabrizieren lassen (Basar-Effekt).

Politiker pflegen Innovationen zu beschwören, um die Arbeit produktiver zu machen und dadurch bei gegebenem Lohn neue Investitionen zu induzieren, die Arbeitplätze schaffen. Aber solche Innovationen fallen nicht vom Himmel. Die einzige Maßnahme, die sofort verfügbar ist und wie eine produktivitätssteigernde Innovation wirkt, ist die Verlängerung der Arbeitszeit bei gleicher Bezahlung. Den Gesetzen der Ökonomie ist es egal, ob die Produktivität der Menschen steigt, weil ein Ingenieur eine tolle Erfindung gemacht hat, die die Produktivität der Arbeit und der Maschinen vergrößert, oder weil der einzelne Arbeiter und mit ihm das in Maschinen und Gebäuden gebundene Kapital jeden Tag länger arbeitet. Beides wirkt grundsätzlich gleich und schafft Arbeitsplätze.

Das aber wird nicht reichen. Da die Arbeitslosigkeit sich bei den gering Qualifizierten konzentriert (Deutschland ist hier „Weltmeister“ unter den OECD-Ländern), müssen Maßnahmen getroffen werden, die Lohnspreizung sozialverträglich zu erhöhen. Dazu hat das ifo Institut das Modell der Aktivierenden Sozialhilfe entwickelt. Im Kern sieht es eine weitere Modifikation des Arbeitslosengeldes II vor, das unter einem extrem hohen Transferentzug krankt: Hartz V sozusagen. Erstens wird der freie Hinzuverdienst von 400 Euro erlaubt (statt nur 50 Euro wie heute). Zweitens werden die ersten 200 Euro Eigenverdienst mit 20% bezuschusst. Drittens wird der Transferentzug jenseits der 400 Euro so begrenzt, dass im Zusammenwirken von Transferentzug und staatlichen Abgaben niemandem von einem zusätzlichen Euro Eigenverdienst mehr als 70 Cent abgezogen werden. (Hartz IV hat einen Abzug von 80 bis 90 Cent.) Viertens wird das Arbeitslosengeld im Falle der Nichtarbeit um etwa ein Drittel abgesenkt, um die fiskalischen Lasten des Staates zu begrenzen. Fünftens wird jedem Erwerbsfähigen eine kommunale Beschäftigung angeboten, wo er notfalls ein Einkommen in Höhe des heutigen Arbeitslosengeldes II verdienen kann. Sechstens bieten die Gemeinden die ihnen anvertrauten Arbeitskräfte meistbietend über Honorarverträge der privaten Wirtschaft an.

Dies ist ein sicheres und finanzierbares Rezept, Arbeit für jedermann zu schaffen. Einerseits werden die Lohnansprüche der Betroffenen für Stellen in der Privatwirtschaft fallen, ohne dass damit deren Einkommen fallen. Zu niedrigeren Löhnen wird es mehr Stellen geben, weil sich diese Stellen dann für die Arbeitgeber, seien es Unternehmen oder Privathaushalte, wieder lohnen. Andererseits wird es für die nicht direkt vermittelbaren Personen auf jeden Fall Leiharbeitsstellen geben, weil für praktisch jeden ein von null verschiedener Honorarsatz existiert, zu dem sich eine Nachfrage nach seinen Leistungen ergibt. Das Modell sichert die Einkommen der Geringverdiener, bringt ihnen Arbeit und kostet doch nicht mehr als das alte Sozialsystem.

Zudem ist es ein Programm zur Integration der Schwarzarbeit in das private Handwerk. Die Kunden der Schwarzarbeiter wenden sich an das Handwerk, weil sie am Schwarzmarkt keine Leute mehr finden (die Transferempfänger müssen acht Stunden am Tag arbeiten), und das Handwerk kann die Kunden dank der billigen Leiharbeiter, die sie bei den Kommunen bekommen, bedienen.

Hans-Werner Sinn
Professor für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft
Präsident des ifo Instituts

Erschienen unter dem Titel "Mehr Arbeit durch Billigjobs", Neue Ruhr Zeitung / Neue Rhein Zeitung, 11. Februar 2005, S. NMA2.