Hans-Werner Sinn lässt sich feiern

Rainer Hank, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 27. April 2008, S. 45

Die ehemalige Residenz der bayerischen Herzoge, Kurfürsten und Könige in München empfiehlt sich immer haufiger als standesgemäßer Austragungsort opulenter Geburtstagsfeiern. Nach dem Berater Roland Berger (er wurde im vergangenen Jahr 70) und dem Deutschbanker Josef Ackermann (er wurde vor kurzem 60) hat jetzt aus Anlass seines ebenfalls 60. Geburtstags auch der Ökonom Hans-Werner Sinn in die Münchner Residenz gebeten.

"Wirtschaftspolitik im Angesicht der Globalisierung", das Thema des Geburtstagssymposions, gab die Chance zu einem munteren Potpourri einiger Sinnscher Lebensthemen (Sozialstaat, Steuerwettbewerb, Europa, Klima), an dessen Aufarbeitung sich eine noble Schar international renommierter Ökonomen am vergangenen Freitag beteiligte. Darunter waren nicht nur der halbe Sachverständigenrat, sondern auch zwei Nobelpreistrager (James Mirrlees und James Heckman), wahrend ein dritter Nobellaureat (Bob Solow) einen besonders launigen Gruß, an "das Enfant terrible der deutschen Ökonomie" schriftlich übermittelte.

Dass Hans-Werner Sinn einer der allerumtriebigsten deutschen Ökonomen ist, bezweifelt niemand und kann heute Abend bei Anne Will überprüft werden. Immer ist er als Missionar und Retter unterwegs: Vor ein paar Jahren noch wollte er den deutschen Wohlfahrtsstaat retten, seit neuestem hat er sich gar der Rettung des gesamten Planeten angesichts der drohenden Klimakatastrophe verschrieben. Sinn selbst verriet jetzt ein paar frühkindliche Erklarungen für seinen ehrgeizigen Lebenseifer: Ursprünglich habe er namlich wie Tarzan werden wollen, später dann wie der Urwalddoktor Albert Schweitzer, und erst als sich diese Lebenspläne zerschlugen, habe er sich mit ähnlicher Mission der Ökonomie zugewandt. Nur eines will Sinn nicht mehr sein, ein Prediger des Neoliberalismus, ein Missverständnis, das ihm viele Feinde beschert hat. Kai Konrad, ein in Berlin lehrender brillanter Schuler Sinns, gab sich erfolgreich Mühe, den Neoliberalismusvorwurf (in Deutschland ist das eine persönlichkeitsschädigende Schmähung) zu entkräften. Zurn Beweis führte er das Sinnsche Umverteilungsparadox an. Das geht ungefähr so: Weil der Wohlfahrtsstaat Verlierer nicht hängen lässt, sind die Menschen dazu bereit, höhere Risiken einzugehen. Denn im Falle ihres Scheiterns erhalten sie Transfers, im Erfolgsfall aber beziehen sie als Risikoprämie auch ein höheres Einkommen: So führt der Sozialstaat trotz Umverteilung zu mehr Geld in den Taschen seiner Burger.

Die Bayern jedenfalls sind froh, dass Sinn ihnen schon seit 24 Jahren (da hat er als Professor in München zu lehren begonnen) treu bleibt und alle Versuchungen unzähliger Rufe ausschlug. CSU-Chef Erwin Huber schenkte dem Jubilar zum Dank jetzt ein hübsches neues Energieinstitut, das dem lfo angegliedert werden soil ("damit sich nicht nur die Linken um Energiefragen kümmern"), und gelobte dafür weltmännisch-bayerische Großzügigkeit ("any support you need").

Ohnehin streiten sich die Gelehrten noch, ob dereinst die größere Lebensleistung Sinns in der ökonomischen Wissenschaft oder im akademischen Unternehmertum zu finden sein wird. Denn immerhin hat Sinn in Windeseile ein weltweit geachtetes Forschungsinstitut, das Center for Economic Studies (CES), auf die Beine gestellt und zugleich das seinerzeit einigermaßen heruntergekommene lfo-lnstitut zur gefragten Adresse wirtschaftswissenschaftlicher Politikberatung gemacht. CES-lfo (eine große Sinn-Fabrik) erfordert nicht nur ein hohes Managementgeschick, sondern auch die Kunst des trickreichen Fundraisings, wozu der Präsident auch die vielen ausgeschlagenen Rufe zu nutzen wusste.

Ohne Zähigkeit und überdurchschnittliches Selbstbewusstsein hält das niemand lange durch. Das vergaß, keiner der Gratulanten zu erwahnen. Der Präsident der Münchner Ludwig-Maximilians-Universitat, der auch Huber (Bernd) heißt und Finanzwissenschaftler ist, sprach gar davon, Hans-Werner Sinn habe das ökonomische Grundgesetz des komparativen Vorteils außer Kraft gesetzt, wonach jedermann sich auf jene Fähigkeiten konzentrieren solle, die er relativ besser beherrsche als die anderen. Dass andere irgend etwas besser können (und sei es das Tischtennisspiel, wie der Wirtschaftsweise Wolfgang Wiegard ergänzte), ist offenbar für Sinn nur schwer zu ertragen - mit einer bedeutenden Ausnahme: Sinns Ehefrau Gerlinde Sinn (die beiden kennen sich seit dem Studium in Münster) scheint als Ökonomin ein nicht gering zu veranschlagender Anteil an allen Sinnstudien zuzukommen.