Leserbrief von Joachim Starbatty

Leserbrief von Joachim Starbatty als Antwort auf die Rezension von Waltraud Schelkle, erschienen in der FAZ am 10. Oktober 2018

Sehr geehrte Frau Kollegin Schelkle,

ich habe Ihren Text zu Hans-Werner Sinn (Der Ökonom als Lehrmeister aller, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10. Oktober 2018, Nr. 235, S.11) aufbewahrt und komme jetzt nach meiner Lektüre dazu, Ihnen meinen Eindruck mitzuteilen. Ich habe nicht entdecken können, dass Sie sich mit Sinn wirklich auseinandersetzen. Es ist eine süffisant, spöttisch, ja hämisch geschriebene Polemik. Das ist eine Frage des persönlichen Stils. Darüber muss man kein Wort verlieren. Letztlich dient Ihnen der Ökonom Hans-Werner Sinn auch dazu, generell mit der Volkswirtschaftslehre abzurechnen. Sie machen zum Schluss drei Bemerkungen, auf die ich eingehen möchte:

(1) Die Denkfigur des „homo oeconomicus“,

(2) Der Ökonom als „Prediger“,

(3) Die Targetfalle.

(1) Kein Ökonom würde behaupten, dass sich Menschen so verhalten, wie sie es nach Maßgabe des „homo oeconomicus“ tun müssten. Er ist aus heuristischen Gründen in die Volkwirtschaftslehre aufgenommen worden. Damit Soziologen und Politologen nicht glauben, dass sie Menschen aus Fleisch und Blut vor sich hätten, hat Fritz Machlup vorgeschlagen, diese Kunstfigur „homunculus oeconomicus“ zu nennen.

(2) Die Welt zu verbessern ist das Credo aller Ökonomen. Sie können die Ökonomen vor Smith und nach Smith nehmen: Ricardo, Marshall, Keynes, Schumpeter, v. Hayek, Samuelson, Mankiw oder wen auch immer. Ihnen allen ist gemeinsam, dass sie Rezepte für die Besserung der Welt schreiben wollen.

zu (3) Targetsalden: Hier greifen Sie nun Sinn frontal an - auch persönlich. Nur zur Klarstellung. Die Targetsalden werden von der Deutschen Bundesbank als Forderungen an das System der Europäischen Zentralbanken verbucht; dem stehen Verpflichtungen beispielsweise Italiens gegenüber. Italienische Abgeordnete aus dem Europäischen Parlament haben an den Präsidenten der EZB, Mario Draghi, die Frage gerichtet, wie die italienischen Targetverpflichtungen bei einem Austritt Italiens aus der Währungsunion zu behandeln wären. Draghis Antwort lautete: Bei einem Austritt müssten diese Verpflichtungen gänzlich übernommen und beglichen werden. Daraufhin haben deutsche Abgeordnete an Draghi die Frage gerichtet: Wie mit den deutschen Targetforderungen bei einem Austritt verfahren würde? Daraufhin hat Draghi geantwortet: Da der Euro auf ewig bestehen bliebe, müsse er diese Frage nicht beantworten.

Ich empfehle Ihnen, sich die Entwicklung der Targetsalden im Zeitverlauf anzuschauen. Sie werden feststellen, dass sie sich bis zum Jahre 2011 nur wenig veränderten, dass sie aber explodierten, als der Kapitalverkehr zwischen den Banken zum Erliegen kam und stattdessen die Notenbaken sich gegenseitig ausgeholfen haben. Entsprechendes ist in der letzten Zeit im Zuge des Ankaufs von Staatsanleihen durch die EZB geschehen. Die Targetverpflichtungen der italienischen Zentralbank sind geradezu nach oben geschossen.

Mit freundlichen Grüßen

Joachim Starbatty