Manche Debatten sind wie Herpes. Sie kommen immer wieder. Nun wärmt Top-Ökonom Hans-Werner Sinn einen Vorschlag auf, den vor ihm schon andere gemacht haben.
Ist denn schon wieder Murmeltiertag? Scheint so, denn genau wie in der Hollywood-Komödie „Und täglich grüßt das Murmeltier“ (1993) wird gerade wieder eine Debatte angestoßen, die in Deutschland allein in diesem Jahr mindestens schon zwei Mal geführt wurde. In einem Beitrag im „Fokus“ fordert nun Hans-Werner Sinn, ehemaliger Chef des ifo-Instituts in München und emeritierter Professor für Volkswirtschaftslehre, den Deutschen am ersten Krankheitstag keinen Lohn mehr zu zahlen.
Sinn beklagt (ohne Belege), dass viele Menschen das Sozialsystem missbrauchten, indem sie sich krankmeldeten, „obwohl sie arbeiten könnten“. Dies erkläre die vielen Krankmeldungen an Brückentagen und Montagen, folgert Sinn. Um den „Missstand“ zu beheben, schlägt der Ökonom vor, wieder einen Karenztag einzuführen, wie wir ihn in Deutschland bis 1970 schon einmal hatten. „Ein bisschen Risiko im Krankheitsfall kann jeder selbst tragen“, glaubt Sinn – und denkt nicht an den Geringverdiener, den ein Krankheitstag ohne Lohnfortzahlung unverhältnismäßig stark belasten würde.
Wie schon erwähnt, ist die Diskussion um die Lohnfortzahlung am ersten Krankheitstag nicht neu. Angestoßen wurde sie Anfang dieses Jahres von Oliver Bäte, Vorsitzender der Allianz-Gruppe. Bäte bezeichnete Deutschland in einem Interview mit dem „Handelsblatt“ als „Weltmeister bei den Krankheitstagen“ und rechnete vor, dass Arbeitgeber in Deutschland jedes Jahr 77 Milliarden Euro Gehälter für krankgeschriebene Mitarbeiter zahlen würden. Von den Krankenkassen kämen noch einmal 19 Milliarden hinzu. Ein Krankheitstag ohne Lohnfortzahlung würde Einsparungen in Höhe von 40 Milliarden Euro bringen.
Eingebettet ist das Begehr in die periodisch anschwellende Diskussion um die angeblich zu faulen Deutschen, die mutmaßlich zu wenig arbeiten würden, was zur Folge habe, dass dem Land ein enormer Wohlstandsverlust drohe. Bei Sinn liest sich das so: „Bei der jährlichen Arbeitszeit steht Deutschland ziemlich am Ende der globalen Statistik. In anderen Ländern wird viel mehr gearbeitet als in Deutschland.“
Ein Blick auf die Zahlen scheint Sinns These erst einmal zu stützen. Eine Erhebung des arbeitgebernahen Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) in Köln kommt zu dem Ergebnis, dass die Deutschen 2023 im Schnitt 1036 Stunden gearbeitet haben. Damit landet Deutschland im Vergleich unter 27 OECD-Staaten tatsächlich auf dem drittletzten Platz. Schlechter schneiden nur noch Frankreich (1027 Stunden) und Belgien (1021) ab. Die Top-Malocher finden sich in Neuseeland (1402), Tschechien (1326) und Israel (1312).
Was die IW-Studie aber auch deutlich macht: In kaum einem anderen Land wird mehr in Teilzeit gearbeitet als in Deutschland. 30 Prozent der Beschäftigten hierzulande sind es, vor allem Frauen. Wenige andere Länder haben eine höhere Erwerbsquote als Deutschland, allerdings hat sich die Zahl der Teilzeitarbeitenden laut Statistischem Bundesamt seit 1991 verdoppelt, was den Durchschnitt der insgesamt geleisteten Arbeitsstunden nach unten zieht. Demgegenüber ist die Arbeitszeit der Vollzeitbeschäftigten seit 1991 nahezu gleich geblieben und beträgt aktuell 40,2 Stunden pro Woche gegenüber 41,4 damals.
Auch wenn wieder einmal darüber gestritten wird, welcher Feiertag abgeschafft werden könnte, damit die Deutschen mehr arbeiten, liegt es vor allem an der Politik, dass die Deutschen insgesamt weniger malochen als Menschen in vielen anderen OECD-Ländern. Viele Teilzeitbeschäftigte würden gerne auf Vollzeit aufstocken, wenn sie denn eine geeignete Kinderbetreuung fänden oder die Bundesregierung beispielsweise das Ehegattensplitting abschaffen würde. Letzteres ist bei Paaren nachweislich ein Teilzeit-Anreiz.
Mit einer Viertagewoche werde Deutschland seinen Wohlstand nicht beibehalten können, hat Friedrich Merz im Wahlkampf gesagt. Als Bundeskanzler steht er in der Verantwortung, Fehlanreize zu beseitigen und geeignete politische Rahmenbedingungen für Vollzeitbeschäftigungen zu schaffen.
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