Die Politik verliert das Maß

Der Ökonom warnt vor einem Kontrollverlust bei der Rettungspolitik, wachsenden Inflationsgefahren und einer Zombifizierung der Marktwirtschaft. Große Chancen sieht Sinn im Machtwechsel in den USA.
Hans-Werner Sinn

Handelsblatt, 15. Dezember 2020, Nr. 243, S. 14-15.

Hans-Werner Sinn gehörte immer schon zu jenen Ökonomen, die sich auf politisches Terrain wagen. Das hat sich auch nicht geändert, nachdem er im Jahr 2016 die Füh- rung des Ifo-Instituts abgab. Im Gegenteil: Gerade in Corona-Zeiten, wo staatliche Eingriffe eine neue Dimensionen erreichen, gibt der 72-Jährige Orientierung. Sinn schreibt Bücher, hält digitale Vorlesungen. Seine Fähigkeit, auch scheinbar Unerklärliches mithilfe seiner festen ökonomischen Kategorien zu fassen, stellte Sinn im Interview mit dem Handelsblatt einmal mehr unter Beweis.

Herr Sinn, ein denkwürdiges Jahr geht zu Ende. Immerhin gibt es zum Jahresschluss Hoffnungssignale: einen Impfstoff und die Abwahl eines US-Präsidenten, der, vorsichtig ausgedrückt, an den Grundfesten der Weltordnung rüttelte. Wie blicken Sie auf dieses Jahr zurück? Oder besser: Mit welchem Gefühl gehen Sie in das neue?

Ich gehe mit einem großen Gefühl der Erleichterung ins nächste Jahr. Auf dem Höhepunkt der Pandemie kam nun der Impfstoff aus Mainz, der die Welt retten wird. Es reißen sich alle darum. Nachdem die Kontrollbehörden von Kanada, Großbritannien, der USA und einer wachsenden Zahl anderer Länder den deutschen Impfstoff freigegeben haben, sollte Europa ebenfalls sofort mit den Impfungen beginnen. Der Lockdown ist zwar im Moment alternativlos, doch jeder Tag, den wir früher impfen, erspart uns Hunderte von Toten und eine Milliarde ökonomischer Kosten.

Wie steht es um den zweiten Aspekt, also die Abwahl Donald Trumps?

Welche Erleichterung! Trump hat einen Zweifronten-Krieg mit China und Europa geführt. Der demokratische Wahlgewinner Joe Biden ist klug genug zu wissen, dass das nicht funktionieren kann. Der neue US-Präsident wird sich auf China konzentrieren und sich wieder stärker um die europäischen Verbündeten kümmern. Auch ein neuer transatlantischer Freihandelsvertrag ist wieder möglich.

Sie glauben also, der Trumpismus verschwindet mit Trump?

Nein, da soll man sich nichts vormachen. Die Polarisierung und auch die Rassenkonflikte in den USA, die mit der Coronakrise aufbrachen, werden nicht verschwinden. Ich glaube nicht, dass Trump die Spannungen in der amerikanischen Gesellschaft verursacht hat, sondern dass die Spannungen Trump hervorbrachten.

Manche meinen sogar, Trump sei ein Symptom einer neuen Zeit; die westliche Demokratie, verbunden mit offenen Märkten, habe ihre beste Zeit hinter sich. Halten Sie das für plausibel?

Ja, er war bloß ein Symptom. Die Globalisierung hat implizit einen gemeinsamen Weltarbeitsmarkt geschaffen, auf dem sich die Wasserstände tendenziell aneinander angleichen, das heißt: auf dem sich die Lohnunterschiede verringern. Das war ein Segen für die Entwicklungsländer, doch ein Problem für die westlichen Länder. Weltweit nahm die Ungleichheit ab, doch innerhalb der Länder nahm sie zu.

Also hatte Trump gar nicht so unrecht mit seiner Analyse, dass die Chinesen den amerikanischen Wohlstand gestohlen hätten?

Nein. Erstens hat nicht Amerika als Ganzes verloren, sondern die amerikanische Industriearbeiterschaft. Zweitens geht es um gesetzmäßige Prozesse der beteiligten Ökonomien und nicht etwa um die Aktionen böswilliger Chinesen.

Jedenfalls steht China als der große Globalisierungsgewinner da. Nicht wenige glauben, dass China sich am Ende mit seinem Staatskapitalismus durchsetzen könnte.

Wirtschaftlich und militärisch ist das zu erwarten. Was die Lebensqualität und die Freiheit der Menschen angeht, sicher nicht. Die Erwartung, dass eine erfolgreiche Marktwirtschaft nur mit einer freiheitlichen Demokratie kompatibel ist und die Demokratie obsiegt, war zu simpel.

Freiheit ist also nicht Voraussetzung für einen langfristigen Wohlstand?

Man muss zwischen ökonomischer und politischer Freiheit unterscheiden. Ökonomische Freiheit und marktwirtschaftliche Effizienz bedingen einander. Doch die These, dass nur die politische Freiheit mit Wohlstand und Effizienz kompatibel ist, ist Wunschdenken. China zeigt das eindeutig: Eine politische Diktatur kann sich offenbar stabilisieren, wenn sie wirtschaftliche Freiheit erlaubt und so den Massenwohlstand hebt.

Fakt ist: China wächst wieder kräftig, macht technologisch Riesensprünge und hat auch die Pandemie offenbar überwunden. Was läuft besser in China?

Der Grund, dass China die Pandemie so schnell eindämmen konnte, liegt in dem rigorosen Vorgehen der Regierung. Sie sperren ihre Kranken einfach ein und riegeln ganze Städte ab. Solch ein Vorgehen ist nicht denkbar im Westen. Das darf aber nicht als Entschuldigung für die hohen Fallzahlen in Europa angeführt werden, denn auch Korea, Taiwan und Japan haben es mit sehr viel schonenderen Eingriffen geschafft, das Virus zu besiegen. Ich glaube, wir hätten gut daran getan, bei der Gestaltung der Corona-App Menschenleben vor Datenschutz zu setzen.

In Europa und den USA geben Regierungen Unsummen aus, um die ökonomischen Folgen der Pandemie abzufedern. Politiker sagen, das sei alternativlos. Ist es das?

Man muss unterscheiden zwischen zwei Typen von Ausgaben. Der eine ist die Rettung von Firmen, deren Geschäftsmodell durch den Lockdown lädiert wird. Sie ist sowohl ökonomisch wie juristisch erforderlich. Der andere besteht in Maßnahmen zur Konjunkturbelebung. Die halte ich für falsch. Denn die Menschen trauen sich ja nicht in die Geschäfte, und sie sollen es auch nicht. Sie bestellen sowieso bei Amazon.

Sie wollen sagen: Die Konjunkturstützen sind nichts anderes als eine Subvention für die US-Internetgiganten?

Großenteils sind sie das. Die Versandhändler sind die großen Profiteure der Konjunkturpolitik in der Coronakrise. Sie verdienen sich ohnehin schon eine goldene Nase und saugen jetzt einen Teil der Konjunkturprogramme zusätzlich auf. Und jener Teil der Programme, den sie nicht aufsaugen, führt zu mehr Kontakten und mehr Ansteckungen. Deshalb halte ich von Konjunkturprogrammen wenig. Im Übrigen wächst das Geld ja nicht auf den Bäumen, sondern es muss jemand anderem weggenommen werden, im einfachsten Fall über Steuern. Und wenn das nicht geschieht, weil die EZB das Geld aus der Druckerpresse liefert, dann wird die Kaufkraft, die es verkörpert, gleichwohl jemandem weggenommen.

Wo man auch hinschaut, überall spielt der Staat die entscheidende Rolle. Wird er diese Rolle jemals wieder abgeben?

Ich bin skeptisch. Krisenzeiten sind politisch verführerisch. Man muss nur Corona rufen, und schon fließen die Milliarden. Viele Gruppen nutzen die Chance, Dinge politisch durchzusetzen, die in normalen Zeiten nicht denkbar schienen. Renten, Sozialleistungen, strukturerhaltende Subventionen: Jeder meldet sich, und wer am lautesten ruft, bekommt das Staatsgeld.

Womöglich führen die Hilfen dazu, dass es in diesem Jahr weniger Pleiten als in normalen Jahren gibt. Berührt das nicht die Fundamente der Ordnungspolitik, wenn Pleiten gar nicht mehr zugelassen werden?

Es ist ja richtig, Firmen zu retten, aber es hat den Eindruck, als verliere die Politik das Maß. Auf der
Homepage des Finanzministeriums findet man haushaltswirksame Programme im Volumen von 500 Milliarden Euro und Garantien in Höhe von 800 Milliarden Euro. Wir scheinen die Kontrolle darüber zu verlieren, was sich gerade abspielt.

Wie sollen die gigantischen Staatsschulden von 1,3 Billionen Euro jemals zurückgezahlt werden?

Sie sollen ja gar nicht zurückgezahlt werden. Die Politik hofft, aus den Schulden herauswachsen zu können.

Ist das realistisch?

In Deutschland ist es zumindest nicht unmöglich. Wir haben es schon einmal geschafft. Bei den südeuropäischen Ländern und Frankreich sehe ich aber keine Anstrengungen. Sie behaupten seit Jahren, sie würden aus den Schulden herauswachsen, doch gestimmt hat es noch nie.

Staaten wie Italien oder Spanien, denen es ja viel schlechter geht, können die zum Schuldenabbau erforderlichen Summen nicht aufbringen. Könnte diese Pandemie der Anfang vom Ende der Währungsunion sein?

Sie wollen die Summen nicht aufbringen. Deshalb haben ihre Notenbanken veranlasst, ihre Staatspapiere in großem Stil aufzukaufen. So lebte man faktisch von dem selbst hergestellten Geld, tilgte damit seine Auslandsschulden und erwarb im Ausland private Vermögenstitel, vor allem in Deutschland. Das Ende des Euros ist das nicht, sondern seine Umwandlung in ein Transfersystem. Die Gefahr ist zum einen die Zombifizierung der Wirtschaft und zum anderen die Inflation. Vielleicht passiert auch beides zusammen, was dann eine Stagflation bedeutet.

Vor einer Inflation warnen Ökonomen schon seit Jahren. Und immer noch kann davon keine Rede sein. Zuletzt ist die Inflation in den negativen Bereich gerutscht...

Mit allen Programmen der EZB wird das Zentralbankgeld, also die Geldmenge, die die Notenbank selbst schafft durch die Kreditvergabe an die Banken oder Wertpapierkäufe, bis zum Sommer 2021 etwa sechs Billionen Euro betragen, und eine weitere Erhöhung ist schon beschlossen. Vor der Finanzkrise im Sommer des Jahres 2008 hatte die Zentralbankgeldmenge bei 900 Milliarden gelegen, etwa bei einem Siebtel. Der Geldüberhang dürfte dann bei viereinhalb Billionen Euro liegen, wovon dreieinhalb durch die Käufe von staatlichen Schuldtiteln entstanden sind.

Und trotzdem gibt es keine Inflation...

... weil wir in einer Liquiditätsfalle stecken, wie Keynes es beschrieben hat. Die Banken horten das Geld. Es ist die Frage, wie die EZB da jemals rauskommt. Um den Überhang zu senken, müssten die nationalen Notenbanken beginnen, die Staatspapiere wieder zu verkaufen. Die Kurse würden dann purzeln und die Zinsen in die Höhe schießen. Da das die Banken und die überschuldeten Staaten in Schwierigkeiten brächte, wird es nicht passieren.

Neben der EZB profitieren die schwächeren Länder auch vom Wiederaufbaufonds und dann auch noch von einer eigenen Schuldenaufnahme durch die EU-Kommission. Viele Politiker glauben, ohne diese Hilfen sei die Währungsunion nicht zu retten. Stimmt das?

Die Hilfen an sich sind sinnvoll, nicht aber die Art, wie sie gegeben wurden. Wir bräuchten dafür keine
EU-Verschuldung, und die EZB müsste das Geld nicht drucken, wie es geplant ist. Ja, wir bräuchten
noch nicht einmal eine internationale Koordination. Helfen kann man auch unilateral, aus eigenem Antrieb. Die gemeinsame Schuldenaufnahme ist ein Tabubruch — und sie ist auch ein Vertragsbruch, der notdürftig durch Einstimmigkeit geheilt wurde.

Unser Finanzminister sprach von einem Hamilton-Moment. Er meinte die Übernahme der Schulden der Staaten durch die Zentralregierung, die als Gründungsakt der USA gesehen wird...

Damit könnte er recht haben, wenn auch in einem ganz anderen Sinne. Tatsächlich wurden die Schulden der Einzelstaaten 1791 durch Hamilton sozialisiert und dann auch noch mal im zweiten Krieg gegen die Briten 1813/14. Die Folge war, dass die Länder sich anschließend im Übermaß verschuldeten, weil sie dachten, Washington würde zurückzahlen. Das sorgte zwar zunächst für einen kreditgetriebenen Boom, aber auch für eine Blase, deren Platzen neun von damals 29 Staaten und Territorien in den Konkurs trieb und nichts als Hass und Streit erzeugte.

Ist diese Interpretation nicht übertrieben? Die Übernahme der Schulden war auch ein Symbol der Geschlossenheit ...

Nach Meinung des Historikers Harold James aus Princeton trug die ungelöste Schuldenfrage neben der Sklavenfrage zu den Spannungen bei, die sich später im Sezessionskrieg entluden. Hamilton dachte, seine Aktion sei Zement für den jungen amerikanischen Staat. Tatsächlich hatte er Sprengstoff angerührt.

Die neuen EU-Instrumente wurden doch auch geschaffen, um wachstumsfördernd zu investieren. Ist das so falsch?

Die Schulden, die dort entstehen, sind Staatsschulden der europäischen Länder, aber sie werden in den  nationalen Budgets nicht verbucht, und sie werden auch auf die nationalen Schuldenquoten nicht angerechnet. Sie finanzieren einen riesigen Schattenhaushalt. Und da der neue Fonds direkt von der EU-Kommission kontrolliert wird, sind die Schutzmechanismen gegen Missbrauch, die Deutschland beim ESM hat aushandeln können, nicht mehr relevant.

Besonders bedroht ist Italien mit einer Staatsverschuldung von 160 Prozent des BIP. Wie sehen Sie die Lage in Italien?

Giuseppe Conte ist sicher ein guter Premier. Überhaupt waren die Italiener diszipliniert. Das Land ist sogar strikter vorgegangen als Deutschland, und entgegen allen Vorurteilen halten sich die Italiener an die Regeln. Dennoch hat Italien große ökonomische Probleme, die sich kaum lösen lassen.

Auch nicht mit den jetzt geschaffenen Instrumenten?

Nein, ganz im Gegenteil. Transfers befrieden das Land politisch, sie verhindern aber die notwendige Anpassung der in den Jahren vor der Lehman-Krise inflationär überhöhten Löhne nach unten. Ökonomen sprechen in diesem Zusammenhang von der holländischen Krankheit. Als die Niederlande in den 1960er-Jahren Gas gefunden hatten und in die Welt verkauften, erzielten sie ordentliche Einnahmen. Davon hat der Staat profitiert, die Löhne konnten erhöht werden, und alles, was an der Gaswirtschaft hing, prosperierte, doch die Industrie wurde dezimiert.

Italien verkauft doch gar keine Rohstoffe...

Was in Holland der Gasverkauf, der zu einem Mittelzufluss aus dem Ausland führte, ist in den mediterranen Ländern Europas nun der Geldtransfer aus dem Norden. Der Lebensstandard wird gehalten, die Industrie geht kaputt. Die Industrieproduktion in Spanien und Italien lag bereits vor der Pandemie 20 Prozent unter dem Niveau vor dem Ausbruch der Finanzkrise. Ich befürchte, dass dem Mittelmeerraum das Schicksal des italienischen Mezzogiorno droht, dessen Löhne schon viele Jahrzehnte durch Transfers aus dem Norden über dem wettbewerblichen Niveau gehalten werden.

Das heißt also: keine Solidarität?

Das habe ich nicht gesagt. Natürlich müssen wir einem Land wie Italien helfen. Wenn man die Bilder aus Bergamo gesehen hat, wo offenkundig große Not herrschte, da war Hilfe eine Pflicht. Und ich verstehe bis heute nicht, warum die Bundesregierung nicht gleich unilateral 20 oder 30 Milliarden Euro Unterstützung geleistet hat. Ich wende mich nur gegen Leistungsmechanismen, die die Budgethoheit des Bundestages aushöhlen und Gewohnheitsrechte schaffen.

Deutschland hat das Gegenteil gemacht, es verhängt einen Exportstopp für Masken...

Ja, das war ein fatales Signal. Aber noch mal: Aus freier Entscheidung Solidarität zu üben ist etwas anderes als kollektive Leistungsmechanismen zu installieren, die Rechtsansprüche begründen.

Wie aber ist die Währungsunion dann zu retten: durch einen Austritt Italiens?

Die Europäer nennen ihre Politik Rettungspolitik, in Wahrheit aber handelt es sich dabei um Zahlungen zum Erhalt einer EU-freundlichen Gesinnung in den Bevölkerungen Südeuropas. Ein temporärer Ausstieg nebst einer Währungsabwertung und einem Schuldenerlass brächte Italien grundsätzlich ökonomische Vorteile, doch wäre er nicht ohne Gefahren.

Können Sie sich vorstellen, was dann auf den Märkten los wäre? Italien ist mit seiner gigantischen Staatsverschuldung an Systemrelevanz kaum zu übertreffen ...

Jeder Ökonom kann sich das sehr gut ausmalen, nichts ist leichter als das. Um den Prozess einigermaßen überschaubar zu gestalten, müssten schon im Vorfeld Kapitalverkehrskontrollen verhängt werden wie im Falle Griechenlands und Zyperns. Italien will jedoch stattdessen einen Schuldenschnitt. Führende italienische Politiker um Conte haben kürzlich erklärt, dass die Notenbanken des Euro-Systems die Staatspapiere, die sie halten, streichen sollten. Abgesehen davon, dass das die Verringerung des Geldüberhangs vollends vereiteln würde, ist die Lösung des Schuldenproblems keine Lösung des Wettbewerbsproblems Italiens, ganz im Gegenteil. Die falschen Lohnstrukturen werden zementiert.

Wenn Sie keinen Ausstieg Italiens wollen und auch keinen Schuldenschnitt: Was bleibt dann am Ende als Lösung?

Italien verlor seine Wettbewerbsfähigkeit in den ersten Jahren des Euros, als ganz Südeuropa sich
auf einmal billig verschulden konnte und eine Sonderinflation erlebte. Die EZB versucht nun implizit, Deutschland nachzuinflationieren, bis die Schulden des Südens und die Wettbewerbsfähigkeit des Nordens erodiert sind. Auch das ist eine Lösung, aber keine gute. Gute Lösungen gibt es leider nicht, wenn die Hälfte des Euro-Systems eine Abwertung bräuchte, sie aber wegen des Euros nicht bekommen kann.

Europa vollzieht gerade den Brexit, hat die Euro-Krise nicht überstanden und muss nun auch noch mit einer Pandemie kämpfen. Wo überhaupt sehen Sie noch Hoffnung?

Ich bin ein Freund der EU und ein Euro-Skeptiker. Die Währung hat nicht funktioniert, niemand ist Euro-Gewinner, auch Deutschland nicht, wie so oft behauptet wird. Größere Verlierer sind die Südeuropäer. Trotzdem sehe ich Hoffnung, vor allem mit Blick auf den Impfstoff. Er ist fantastisch, es ist eine in Deutschland entwickelte neue Technologie, ein Erfolg für Deutschland und die Welt und dann auch noch geschaffen von türkischen Einwanderern. Wenn das kein positives Signal ist ...

Eine letzte Frage: Kanzlerin Angela Merkel, die Sie ja gut kennen, wird im nächsten Jahr ausscheiden. Werden Sie sie vermissen?

(Lacht.) Es haben sich ja schon gewichtige Nachfolger in Stellung gebracht. Ja, ihre ruhige und ausgleichende Art werde nicht nur ich vermissen. Frau Merkel hat eine bewundernswerte Karriere hingelegt, und sie ist eine sehr kluge Politikerin. Aber sie hat die Union nach links abrutschen lassen, weil sie den ökonomischen Dingen vielleicht nicht das Gewicht gegeben hat, wie das ein ökonomisch ausgebildeter Kanzler getan hätte. Es ist Zeit für einen Neuanfang.

Herr Sinn, vielen Dank für das Interview.

Das Gespräch führte Dr. Jens Münchrath.

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