Bayerischer Merkantilismus

Hans-Werner Sinn im Gespräch mit Sven Afhüppe, Wirtschaftsjournalist bei der Wirtschaftswoche

ifo Schnelldienst 55, 2002, Nr. 4, S. 3-4

Über das weiß-blaue Wirtschaftsmodell

Afhüppe: Herr Sinn, welche drei Schlagworte verbinden Sie spontan mit Bayern?

Sinn: Laptop, Lederhose und Lust an der Arbeit.

Afhüppe: Sind das die Schlüsselbegriffe, die den wirtschaftlichen Erfolg des Südlandes ausmachen?

Sinn: Zwei davon jedenfalls. Die Bayern sind - ähnlich wie die Amerikaner - Menschen, die zupacken, wenn es irgendwo klemmt, und keine Angst vor der Zukunft haben. Die Selbständigenquote ist die höchste aller Bundesländer. Die Bayern haben es nach dem Krieg zudem geschafft, mit einer langfristig angelegten Strukturpolitik den Wohlstand des Landes wie in kaum einer anderen europäischen Region zu vermehren. Oberbayern ist heute die wirtschaftliche stärkste Flächenregion ganz Europas, und immer noch geht das Wachstum ungebrochen weiter. Das, obwohl das Land in der Nachkriegszeit enorme Standortnachteile hatte - eine ganz dürftige Infrastruktur und keine natürlichen Bodenschätze. Durch die Zuweisungen aus dem Länderfinanzausgleich, die anfangs flossen, wird das nicht erklärt.

Afhüppe: Womit erklären Sie dann, dass der Strukturwandel zur High-Tech-Region schneller voran kam als in anderen Bundesländern?

Sinn: Andere Bundesländer haben ihre Finanzmittel mit Vorliebe verfrühstückt, also für konsumtive Zwecke verwendet. Dagegen investierten die bayerischen Landesregierungen meist in langfristig wirkende Infrastrukturprojekte - Autobahnen, Atomkraftwerke, Pipelines für Öl und Gas - sowie vor allem auch in die Hochschulausbildung. Auf Dauer werfen solche Investitionen höhere Renditen ab als beispielsweise der Bau von Schwimmbädern oder Vergnügungsparks, und damit steigt auch das Wirtschaftswachstum.

Afhüppe: Lässt sich das bayerische Modell auf Gesamtdeutschland übertragen?

Sinn: Was die Hochschulförderung und die Technologieorientierung angeht, auf jeden Fall. Vorbildlich ist auch die Strategie, Staatsbesitz zu privatisieren und das Geld nicht im Haushalt versickern zu lassen, sondern gezielt in die High-Tech- und Forschungsförderung zu investieren. Insgesamt sind die strukturellen Voraussetzungen der übrigen Bundesländer erheblich besser als früher in Bayern - das Potential der anderen Länder muss nur endlich richtig genutzt werden, der Strukturwandel in der Bauwirtschaft und im Bergbau vollendet werden, auch wenn eine solche Politik höchst unbequem und unpopulär ist. So lange in diese Bereiche auch in Zukunft teure und schädliche Erhaltungssubventionen fließen, bleibt das Wirtschaftswachstum in Deutschland schwächer, als es sein könnte.

Afhüppe: Kann man sagen, dass Edmund Stoiber in seiner Heimat klassische Industriepolitik betreibt?

Sinn: Der Staat hilft, wo es nötig ist, mischt sich bei Industrieansiedlungen ein und überlässt nicht alles dem Markt. Das ist das bayerische Modell. Dieser bayerische Merkantilismus ist ohne Zweifel ein Erfolgsmodell ...

Afhüppe: ... das ist aber nicht besonders marktwirtschaftlich ...

Sinn: ... Richtig, aber wo Zukunftsmärkte zur Koordination der Ansiedlungsentscheidungen fehlen, kann der Staat durch die Organisation von Industrieclustern helfen. Durch gezielte Standortpolitik lässt sich der Grundstein für dynamisches Wachstum legen. Wenn ein Unternehmen bei der Wahl seiner Gewerbefläche weiß, dass sich wichtige Zulieferfirmen problemlos in der Nähe ansiedeln können und überdies hochkarätige Wissenschaftseinrichtungen vor Ort sind, kommt es gerne. Genau das ist etwa am Biotech-Standort Martinsried passiert. Ein gutes Beispiel für eine solche produktive Cluster-Bildung sind - im Nachbarstaat Sachsen - auch die Industrieansiedlungen in den Großräumen Leipzig und Dresden. Ohne staatlichen Einfluss wären diese Produktionszentren nicht zustande gekommen. In einer globalisierten, vernetzten Welt müssen die Wirtschaftsstandorte viel stärker aufeinander abgestimmt sein, als das früher nötig war.