Grünäugig

Presseecho, Financial Times Deutschland, 31.10.2008, Nr. 213, S. 30

Unsere Beiträge zum Umweltschutz bringen nichts – im Gegenteil, meint Hans-Werner Sinn: Sie heizen das Klima weiter auf. Nichts richtet größeren Schaden an als die deutsche Klimadebatte

 

Das geplante Kohlekraftwerk in Hamburg-Moorburg ist für die Umweltbewegung Ausdruck einer völlig verfehlten Politik, weil – wie Greenpeace errechnet hat – der CO2-Ausstoß Hamburgs um 70 Prozent gesteigert wird. Für den Betreiber Vattenfall dagegen ist die gleiche Anlage ein umweltwirtschaftliches Win-win-Projekt, weil veraltete Anlagen mit höherer CO2-Emission stillgelegt werden können.

Für Hans-Werner Sinn ist Moorburg ein Beispiel der grünen Paradoxien in der Klimapolitik. Weder Vattenfall noch Greenpeace haben seiner Meinung nach recht. Wie viel CO2 in Moorburg auch immer in die Luft geblasen wird, die Klimapolitik sorgt dafür, dass dieses Umweltsündenkonto anderswo ausgeglichen wird. Deutschland ist in ein System des europäischen Emissionshandels eingebunden, das den Ausstoß des Treibhausgases durch Zertifikate begrenzt, die den Ländern zugeteilt und untereinander künftig versteigert werden können. Senkt ein Land seinen CO2-Ausstoß unter das vorgegebene Maß, können die Zertifikate von einem anderen erworben werden. Damit bleibt aber die Summe der Emissionen konstant.

Moorburg ist nur ein Beispiel für eine Fülle von Widersprüchlichkeiten der Umweltpolitik, die der Leiter des Ifo-Instituts in seinem Buch „Das grüne Paradoxon“ zusammengetragen hat. Paradox ist des Weiteren die Ökosteuer, weil sie je nach Brennstoff und dessen Verwendung schwankt; wenn schon eine fiskalische Belastung notwendig ist, dann sollte allein der CO2-Gehalt ihr Maß sein. Paradox ist auch die Subventionierung verschiedener erneuerbarer Energien, obwohl sie, wie die Solarenergie, kaum einen marktfähigen Effizienzgrad erreichen. Ebenso wie die Verfemung der Atomkraft, obwohl sie quasi CO2-freien Strom zum Minitarif liefert.

Sinns Werk zeichnet faktenreich den CO2-Kreislauf in den Sphären der Welt nach, er nennt die Verursacher des Klimawandels in Wirtschaft und Politik und analysiert die Wirkungen und Nebenwirkungen der Maßnahmen zu seiner Bekämpfung. Doch sind seine Ausführungen getragen von einem Furor gegen die grüne Umweltpolitik, der dem Werk an Qualität nimmt. Bei nüchterner Betrachtung manifestiert sich in den Ökosteuern ja weniger grüner Wille als vielmehr Lobby-Interesse der Industrie. Man mag den Zertifikathandel in seinen Auswirkungen kritisieren. Aber sind daran, wie Sinn meint, die Marktteilnehmer schuld – oder müsste nicht der Ordnungsrahmen strenger gesetzt, die Summe der Zertifikate verringert werden? Und ist es zur Durchsetzung dieser Forderung nicht sinnvoll, wenn auf nationaler Ebene schon mal vorangeschritten wird?

Wenn auch widerwillig erkennt Sinn am Ende die Steuerung der Nachfrage als den zentralen Hebel gegen das Klimaproblem an. Zuvor widmet er sich in vielen Modellbetrachtungen der Angebotsseite, die er für den sträflich vernachlässigten Adressaten hält. Ihr Agieren sieht er von Renditeerwartungen und – im Falle der Erdöl fördernden Länder – von der Angst vor Enteignung geprägt. Die unsicheren Eigentumsverhältnisse sind für ihn ein Grund, weshalb die Förderung nicht verlangsamt wird, obgleich ökonomisches Kalkül dies nahelegt. Profitstreben könne durchaus zu einem schonenden Ressourcenabbau führen, überhaupt sei der Markt das „überlegene Ordnungssystem“. Der treibende Faktor des schnellen Abbaus ist für Sinn jedoch – die Klimadebatte. Da die grüne Politik auf dauerhafte CO2-Minderung angelegt ist, trage sie dazu bei, dass sich die Anbieter ihrer Renditen künftig nicht mehr sicher sein können – weshalb sie heute den Abbau beschleunigen. Das sei das grüne Paradoxon, dem das Buch seinen Titel verdankt.

Einen empirischen Beleg für diese steile These bleibt der Autor schuldig. Das grüne Paradoxon erklärt für Sinn, „warum die Ressourcenanbieter während der letzten zwei Jahrzehnte trotz der relativ niedrigen Preise bereit waren, die Nachfrage nach Kohlenstoff unter Verlust wertvoller Bestände zu bedienen“. Es war „die Angst vor einer Quasi-Enteignung durch eine immer schärfer zupackende grüne Politik“. Sollten die Ölscheichs oder Wladimir Putin diese Angst tatsächlich je gespürt haben, dann wurde sie ihnen durch eine durchschnittliche jährliche Steigerung des Ölpreises von 11,6 Prozent versüßt. Darin ließe sich ein plausiblerer Grund für die Förderwilligkeit erkennen.

Das grüne Paradoxon führt Sinn schließlich zur paradoxen Empfehlung, dass eine„zentralplanerische Lösung“ hermüsse. Möglichst schnell sollen eine globale „Emissionsmengenbewirtschaftung“ eingeführt und Strategien entwickelt werden, Potentaten wie Hugo Chávez, Mahmud Ahmadinedschad oder auch Muammar al-Gaddafi „zu dem gewünschten konservativen Abbauverhalten zu veranlassen“.

Immerhin mit dieser Zeitvorgabe dürfte Sinn voll auf der Linie der Grünen liegen.