Palmen für Sibirien

Presseecho, Süddeutsche Zeitung, 29.10.2008, Nr. 252, S. 18

Münchner Seminare

ifo Präsident Hans-Werner Sinn warnt vor den Gefahren des Klimawandels - Deutschlands Umweltpolitik aber hält er für nutzlos: "Ölsparen bringt nichts."

Schmelzende Pole, Völkerwanderungen, Kämpfe um Ressourcen, wachsende Kriegsrisiken - in düsteren Szenarien beschreibt der Präsident des Ifo Instituts für Wirtschaftsforschung, Hans-Werner Sinn, die Folgen des Klimawandels. "Schon in zwei Jahrzehnten wird es so warm sein wie noch nie auf der Erde", warnt der Ökonom. Teile der vereisten Arktis würden schiffbar, die Menschen in Nowosibirsk sollten sich schon mal die ersten Palmen heranziehen, sagt Sinn. "Denn auch in Sibirien ist die Zukunft warm."

Längst fragt der Provokateur unter Deutschlands Wirtschaftswissenschaftlern nicht mehr nur, ob "Deutschland noch zu retten" ist, so sein Bestseller aus dem Jahr 2003. Sinn, 60, kümmert sich längst um die drängendsten Fragen der ganzen Welt. Die Erde hat sich in Folge der Industrialisierung bereits spürbar erwärmt - in den vergangenen 150 Jahren um ein Grad. Und der internationalen Staatengemeinschaft drohe noch Schlimmeres, warnte Sinn bei den Münchner Seminaren von Süddeutscher Zeitung und Ifo Institut. Eine Erwärmung um drei Grad bis 2035 und fünf Grad bis 2100 sei möglich - es sei denn, führende Politiker der Welt könnten sich endlich auf eine illusionsfreie Klimapolitik einigen.

Denn Sinn ist überzeugt: Die bisherige Politik zur Reduzierung der Treibhausemissionen ist wirkungslos. Sinns Credo ist radikal und stellt die Umweltbewegung in Deutschland in Frage: Windenergie, stromsparende Elektrogeräte, Biosprit - "die Bemühungen beim Umweltschutz verschaffen uns zwar ein gutes Gewissen, dem Klima aber keinen Vorteil", analysiert der Volkswirt. Im Gegenteil: Das Umweltbewusstsein der Deutschen animiere energiehungrige Länder wie China zu einem größeren Verbrauch fossiler Brennstoffe, weil der sparsame Westen den Preisanstieg des teuren Öls bremse. "Das grüne Paradoxon", heißt Sinns jüngstes Buch, das am Freitag in Berlin offiziell vorgestellt wird, dessen Thesen aber schon jetzt für Aufsehen sorgen. "Die Förderung alternativer Energien in Deutschland ist teuer und verpufft ohne jede Wirkung auf die weltweiten Schadstoffemissionen", ist sich Sinn sicher. Der internationale Zertifikatehandel, über den sich Länder und Firmen das Recht zur Umweltverschmutzung sichern können, schreibe das gesamte Ausmaß der weltweiten Umweltverschmutzung fest. "Nur das Gewicht verschiebt sich", sagt Sinn. Dennoch signalisierten Politik und Wirtschaft Verbrauchern, sie könnten mit Verzicht oder dem Umstieg auf Ökoenergie etwas ändern. "Wahr ist: Wir haben die Entwicklung überhaupt nicht in der Hand."

Nicht Kanzlerin Merkel, sondern Venezuelas Staatspräsident Hugo Chávez, Irans Präsident Ahmadineschad und die Ölscheichs oder die Oligarchen von Russlands Präsident Putin "bestimmen, wie schnell sich die Erde erwärmt", sagt der Finanzwissenschaftler. Denn fühlten sich die Herrscher über die Ölreserven von der westlichen Umweltpolitik bedroht, würden sie ihre Rohstoffe noch schneller fördern - "die Erde erwärmt sich dann noch schneller."

Sinn sieht sich als Aufklärer. "Ich plädiere nicht gegen Umweltschutz", stellt er klar. "Aber ich will Missverständnissen in der Klimapolitik begegnen und Widersprüche zwischen Ökonomie und Ökologie auflösen." Zwar helfe der Boom beim Biosprit, dass Deutschland seine Kyoto-Ziele erreiche, gleichzeitig verschärfe er aber das weltweite Hungerproblem. Dass Mais oder Raps nun in Autotanks landen, habe die Nahrungsmittelknappheit verschärft und Lebensmittelpreise stark steigen lassen. "Die Hungernden der Welt konkurrieren mit amerikanischen Autofahrern um Ressourcen. Das kann langfristig nicht gut gehen", sagt Sinn. Im vergangenen Jahr war es bereits in 37 Ländern zu Hungerprotesten gekommen. "Die Welt steuert auf ein Riesenproblem zu, für das keine Lösung in Sicht ist."

Allerdings findet auch der Ifo-Präsident nur wenige Antworten auf die gewaltigen internationalen Umweltprobleme. Zwei Ansätze zur Verlangsamung des Klimawandels sieht der Ökonom, allerdings auch diese "mit Schwierigkeiten verbunden". Mit einem Super-Kyoto-Protokoll solle die Staatengemeinschaft den Kohlendioxidausstoß weltweit regeln. Zwar bringe eine solche zentrale Planwirtschaft in der Energie- und Klimapolitik viele Probleme mit sich, "doch das ist wohl unvermeidbar", sagt Sinn. Daneben wirbt er für eine weltweite Quellensteuer. Eine Steuer auf Zinseinkommen könnte die rasche Förderung der Ressourcen für ihre Eigentümer unattraktiver machen und die Ausbeutung fossiler Ressourcen bremsen, so das Kalkül des Wissenschaftlers. Die Welt stehe erst am Anfang einer grünen Politik. Sinn: "Ein Kurswechsel ist möglich."

Die Münchner Seminare sind eine Gemeinschaftsveranstaltung der CESifo Group und der Süddeutschen Zeitung, gefördert durch die BMW-Niederlassung München. Nähere Informationen im Internet: www.cesifo-group.de./mucsem