13 Thesen zur Energiewende

Hans-Werner Sinn, 8. Juli 2014

These 1
Die Verbrennung fossiler Energieträger hat die Konzentration des CO2 gegenüber vorindustrieller Zeit von 280 ppm auf 380 ppm vergrößert und die Temperatur vermutlich um knapp ein Grad erhöht. Bei einem Business as Usual droht sich die Temperatur auf der Erde bis zum Ende des Jahrhunderts um drei bis fünf Grad zu erhöhen. Das wird zu einer Veränderung der Klimazonen und enormen Armutswanderungen führen, die die Welt erschüttern können. Die Zurückdrängung fossiler Brennstoffe und ihr Ersatz durch andere Energiequellen ist deshalb sinnvoll. Insofern verfolgt die grüne Bewegung die richtigen Ziele. Die Frage ist allein, ob sie für die Erreichung dieser Ziele auch die richtigen Instrumente verwendet.

These 2
Bioenergie, die in den OECD-Ländern heute mehr als die Hälfte der erneuerbaren Energie liefert, bietet keinen sinnvollen Weg, weil sie zu Lasten der Nahrungsmittelversorgung geht. Die Hungerkrisen der Jahre 2007/2008 sind durch eine plötzliche Verdoppelung der Preise für Grundnahrungsmittel hervorgerufen worden, die selbst vermutlich auf den rapiden Ausbau der Bioethanol-Produktion in den USA zurückzuführen ist. Im Übrigen kommt es wegen der Landgewinnung durch Waldrodungen und die Überdüngung der Böden häufig nicht einmal zu positiven Klimaeffekten.

These 3
Wenn einzelne Länder oder Regionen der Welt fossile Energie einsparen, so bewirkt dies keine weltweite Ersparnis, es sei denn, die Fördermengen für fossile Brennstoffe gehen zurück. Wenn die Ressourcenanbieter auf ihren Fördermengen beharren, werden die Mengen auf dem Wege über fallende Weltmarktpreise nur zu anderen Ländern umgelenkt, und die CO2-Emissionen gehen nicht zurück. Klimapolitik kann man nur wirksam betreiben, wenn man die Angebotsseite im Griff hat. Die Grünen haben bislang nicht klargelegt, wie sie das bewirken wollen. Es werden hunderte von Milliarden Euro für Maßnahmen zur Begrenzung der Nachfrage nach fossilen Brennstoffen ausgegeben, ohne das Angebot dieser Brennstoffe zu berücksichtigen.

These 4
Aus spieltheoretischer Sicht ist es nicht zu erwarten, dass die europäischen Anstrengungen im Sinne einer Vorbildfunktion positive Reaktionen bei Politikern anderer Länder erzeugen. Vielmehr ergibt sich umgekehrt ein starker Anreiz, Trittbrett zu fahren. Wenn die Temperaturen schon von Europa niedrig gehalten werden, muss man selbst keine Kosten auf sich nehmen, um den Temperaturanstieg zu begrenzen. Dies wurde in einem Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesfinanzministerium dargelegt.

These 5
Die Ankündigung einer großen Energiewende für die Welt kommt aus der Sicht der Ressourcenanbieter der Ankündigung einer Enteignung und Marktvernichtung gleich. Die Ressourcenanbieter reagieren mit einer Beschleunigung ihrer Extraktion, um möglichst viel zu extrahieren, bevor ihre Märkte vernichtet sind. Diesen Effekt bezeichnet man als das Grüne Paradoxon. Heute sind die realen Energiekosten nicht höher als um das Jahr 1980, obwohl die Ressourcenbestände immer knapper geworden sind. Das kann am Grünen Paradoxon gelegen haben. Auch mit diesem Effekt haben sich die Grünen nicht auseinandergesetzt, wie sie sich überhaupt mit der Angebotsseite des Klimaproblems nicht beschäftigen. Da sie staatliche Zwangsmaßnahmen fordern, liegt die Beweispflicht für die Wirksamkeit dieser Maßnahmen aber bei ihnen.

These 6
Nachfrageorientierte Klimapolitik kann nur sinnvoll auf dem Wege einer weltweiten Kooperation der Verbraucherländer realisiert werden. Dazu gehört es, das Emissionshandelssystem der UNO, das derzeit über staatliche Einsparverpflichtungen 30% des weltweiten CO2-Ausstoßes deckelt, auf alle Länder auszudehnen. Insbesondere China, die USA und Indien müssten mitmachen. Dann wäre man bei etwa 70% und könnte den Rest der Länder vermutlich in Kürze auch noch dazu holen. Ein Nachfragekartell, Ökonomen nennen es Monopson, hätte auch den Vorteil, dass es den Verbraucherländern gelingt, die Bodenschätze billiger zu erwerben und die allmähliche Übertragung des Vermögens der Welt in die Hände der Ressourcenbesitzer zu verhindern.

These 7
Nützlich wäre es auch, die Besteuerung der Kapitaleinkommen weltweit konsequent vom Wohnsitzlandprinzip auf das Quellenlandprinzip umzustellen. Dann würden die Nettofinanzerträge der Ressourcenanbieter fallen mit der Folge, dass sie mehr Interesse daran hätten, Vermögenserträge durch Wertsteigerung ihrer Bodenschätze im Zuge der natürlichen allmählichen Verknappung zu erzielen, also diese Schätze langsamer zu extrahieren. Der Klimawandel würde auf diese Weise verlangsamt, und die Anlageländer würden zu Lasten der Ressourcenanbieter mehr Steuereinnahmen erzielen.

These 8
Die Vertreter der Energiewende haben behauptet, der Strom aus erneuerbaren Quellen sei billiger als der Strom aus fossilen Quellen – etwa mit dem Argument, die Sonne schicke keine Rechnung. In Wahrheit ist Deutschlands Energiewende extrem teuer. Mit ca. 30 Cent pro Kilowattstunde liegen die Stromkosten der Verbraucher schon heute beim Doppelten dessen, was etwa die Verbraucher in Frankreich zahlen müssen. Im Jahr 2013 mussten die deutschen Verbraucher wegen des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) für den grünen Strom 13 Milliarden Euro mehr bezahlen, als konventioneller Strom gekostet hätte. Energieintensive Industrien wandern ab oder müssen durch Lohnverzichte gehalten werden. Die Energiewende wird nach Aussage des Bundesumweltministeriums mehr als 1000 Milliarden Euro kosten, also etwa so viel wie die deutsche Vereinigung in zehn Jahren oder mehr als 330 Transrapidstrecken vom Münchner Hauptbahnhof zum Flughafen München. Die verbindlich zugesagten Subventionen für grünen Strom liegen schon heute bei weit über 100 Milliarden Euro.

These 9
Mit progressiv steigenden Kosten des grünen Stroms ist bei einem weiteren Ausbau auch insofern zu rechnen, als man den flatternden Wind- und Sonnenstrom nur unter hohem Aufwand glätten kann. Die Netze der Nachbarländer als Puffer zu verwenden, wird immer schwieriger, weil sich diese Länder zunehmend gegen die Belastung ihrer Leitungen durch an der Grenze installierte Sperren, sogenannte Phasenschieber-Transformatoren, wehren. Die Instabilität mit Speicherkraftwerken abzufedern ist extrem aufwendig, weil es nicht nur um tageszeitliche oder wöchentliche Schwankungen geht, sondern auch um Schwankungen im Jahresablauf. Zur vollständigen Glättung des Wind- und Sonnenstroms würde man etwa 3500 Pumpspeicherwerke durchschnittlicher Größe benötigen, hundert Mal so viele wie Deutschland heute hat. Angesichts der exorbitanten Kosten der Speicherkraftwerke ist dies keine realistische Option. So verbleibt als einzig sinnvolle Alternative, Kohle- und Gaskraftwerke parallel als Reserve zu halten und intermittierend an- und auszuschalten. Aber die Doppelstrukturen machen den Strom extrem teuer.

These 10
Das Erneuerbare-Energien-Gesetz macht zwar den grünen Strom betriebswirtschaftlich rentabel, ist aber im Zusammenspiel mit dem europäischen Emissionshandel vollkommen wirkungslos, weil die Deckelung durch die EU (der "Cap") bereits festlegt, wie viel CO2 ausgestoßen wird. Der in Deutschland produzierte grüne Strom verdrängt nicht nur den Strom aus fossilen Quellen, sondern auch die entsprechenden Emissionszertifikate. Diese Zertifikate wandern über die Börsen zu den Kohlekraftwerken in anderen EU-Ländern, wo sie eine Ausweitung des CO2-Ausstoßes – oder eine Verminderung der Einsparung – ermöglichen, die genau so groß ist wie die deutsche Einsparung. Dieser Effekt wurde von etlichen Wissenschaftlern nachgewiesen, so auch vom Wissenschaftlichen Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft, von der Monopolkommission und nicht zuletzt vom Weltklimarat IPCC in seinem jüngsten Bericht.

These 11
Das EEG ist nicht nur unwirksam, sondern auch ineffizient: Was immer das europäische Emissionsziel ist, dieses Ziel wird kostenminimal durch den Emissionshandel erreicht, weil er einen einheitlichen CO2-Preis setzt und deshalb die Grenzvermeidungskosten in Europa über alle Emittenten hinweg angleicht. Das EEG verzerrt die daraus entstehende Allokation der Vermeidungsanstrengungen, indem es den "fossilen Strom" in Deutschland nicht nur mit den Kosten der Emissionszertifikate, sondern zusätzlich mit der Umlage für die Einspeisetarife belastet. Bei jedem denkbaren und durch den Cap im Emissionshandel ansteuerbaren europäischen Niveau der CO2-Emissionen wäre der Lebensstandard der deutschen Bevölkerung größer, gäbe es das EEG nicht.

These 12
Aus ähnlichem Grunde verzerrt das EEG die Anreize, grüne Technologien in Europa zu errichten. Indem es die Nachfrage nach Emissionszertifikaten und damit deren Preis senkt, verbilligt es die Produktion fossilen Stroms im Rest Europas. Das wiederum behindert dort den grünen Strom und raubt ihm die wirtschaftliche Basis. Die Windräder und Solarpaneelen werden an den falschen Standorten aufgestellt, und sie werden für die falschen klimatischen Regionen optimiert. Der Nachweis, dass das EEG per saldo mehr "grüne Technologie" hervorbringt oder zu einer höheren Kostendegression bei diesen Technologien beiträgt als der Emissionshandel allein, ist nicht zu erbringen.

These 13
Es ist richtig, dass die EU-Kommission mit den Mitteln des Wettbewerbsrechts gegen Deutschlands EEG vorgeht. Einerseits diskriminiert das EEG den Import von grünem Strom aus dem Ausland, weil es den grünen Importstrom nicht genauso bezuschusst wie im Inland produzierten grünen Strom. Andererseits diskriminiert das EEG auch den Import von normalem Strom aus dem Ausland, weil es ihn mit der EEG-Umlage belastet und damit wie ein verbotener Importzoll wirkt. Insofern hat Kommissar Joaquín Almunia mit seiner Kritik Recht. Das EEG gehört abgeschafft. Die schon bestehenden Anlagen sind so lange weiter zu fördern, wie es vertraglich vereinbart war, doch für die neuen Anlagen reicht die Förderung in Form der Sonderbelastung des fossilen Stroms durch den europäischen Emissionshandel vollkommen aus.