Nahrungsmittel wichtiger als Kraftstoff

Autor/en
Hans-Werner Sinn
Börsen Zeitung (ref. Project Syndicate), 01.12.2007, Nr. 232, S. 8

Als der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Ban Ki-moon, vor kurzem die Antarktis besuchte, war er von dem schmelzenden Eis beeindruckt, das er dort sah. Dann reiste er nach Brasilien, wo er von der Nutzung von Biokraftstoff beeindruckt war, mit dem ein Viertel des Kraftfahrzeugverkehrs des Landes betrieben wird. Aus Raps gepresstes Öl kann als Diesel genutzt werden, und aus Mais und Zuckerrüben kann Ethanol gewonnen werden, um Benzin zu ersetzen.

Die UNO teilt mit vielen Ländern die Ansicht, dass Biokraftstoff eine Option zur Bekämpfung des Klimawandels darstellt. Die Vereinigten Staaten subventionieren die Produktion von Ethanol aus Mais großzügig, wobei der Ertrag dort gegenwärtig um 12 pro Jahr steigt und weltweit um fast 10. Die EU-Länder haben die Produktion von Biokraftstoff 2006 mit 3,7 Mrd. Euro subventioniert und beabsichtigen, 8 ihres Motorenkraftstoffs bis 2015 und 20 bis 2020 damit abzudecken. Das Protokoll von Kyoto gestattet es den Ländern, ihre angestrebte Reduktion des C02-Ausstoßes durch den Austausch fossiler Brennstoffe durch Biokraftstoffe zu erreichen.

Verbrennen statt essen?

Doch stellt das Verbrennen von Nahrungsmitteln, anstatt sie zu essen, wirklich eine kluge und ethisch annehmbare Strategie dar? Wenn wir zulassen, dass Nahrungsmittel zur Herstellung von Biokraftstoffen verwendet werden, werden dadurch die Lebensmittelpreise an den Ölpreis gekoppelt, wie der Präsident des deutschen Bauernverbands freudig bekannt gab. Tatsächlich steigen derzeit in Europa die Lebensmittelpreise, weil immer mehr Ackerland für Biokraftstoffe anstatt für die Nahrungsmittelproduktion verwendet wird.

Lehren aus der Tortillakrise

Das ist nicht nachhaltig. Die sogenannte Tortillakrise, die im Januar zu Protesten in Mexiko-Stadt rührte, lässt ahnen, worauf wir uns einstellen können. Der Preis von Mais, von dem die Hälfte aus den USA importiert wird, hat sich in einem Jahr mehr als verdoppelt, vor allem aufgrund der Produktion von Bioethanol. Mexiko versuchte, das Problem zu lösen, indem es einen staatlich vorgeschriebenen Höchstpreis für Maistortillas verhängte und diesen mit einer zollfreien Maiseinfuhr kombinierte.

Das Problem ist, dass diejenigen, die eine Eindämmung des Treibhauseffekts durch die Förderung der Biokraftstoffproduktion befürworten, nicht deutlich gemacht haben, woher das Land kommen soll. Im Prinzip gibt es nur drei Beschaffungsarten: Man zieht es von der Nahrungsmittel- oder Futterproduktion ab, von der Produktion natürlicher Materialien - insbesondere Holz - oder von der Natur.

Die Pervertiertheit der ersten Alternative ist offensichtlich: Es gibt keine überschüssige Nahrungsmittelproduktion auf der Welt. Wer Biokraftstoffe auf Flächen anbauen will, die zuvor der Nahrungsmittelproduktion dienten, muss einräumen, dass sich dadurch die Lebensmittelpreise erhöhen werden, was den Ärmsten der Armen schaden würde.

Auf ähnliche Weise würde der An- bau von Biokraftstoff auf Flächen, die andernfalls für die Produktion nachhaltiger Baumaterialien verwendet würden, die Preise für diese Materialien erhöhen und ihre Ersetzung durch nicht nachhaltige Materialien wie Beton und Stahl fördern. Dies mag im Hinblick auf ethische und sozialpolitische Aspekte einwandfrei sein, doch würde es gewiss nicht zum Umweltschutz beitragen. Holz speichert durch die Photosynthese Kohlenstoff. Je größer der Bestand an Holz auf der Erde ist, in Form von lebenden Bäumen oder von Baumaterialien aus Holz in Gebäuden, desto weniger CO2 befindet sich in der Atmosphäre und desto kühler bleibt die Erde. Wenn man also Wälder reduziert, um Land für die Produktion von Biokraftstoff zu gewinnen, beschleunigt man dadurch die Erderwärmung, da Biokraftstoff - pflanzen wesentlich weniger Kohlenstoff speichern als Bäume.

Selbstverständlich könnte sich neben dem negativen Speichereffekt eine positive Wirkung auf das Weltklima ergeben, wenn die Biokraftstoffe die fossilen Brennstoffe bei Verbrennungsvorgängen ersetzen. Doch setzt dies voraus, dass die Ölscheichs weniger Öl fördern, weil es mehr Biokraftstoff gibt. Wenn sie dies nicht tun, verliert sich der positive Effekt. Die Weltmarktpreise für fossile Brennstoffe werden einfach niedriger, als sie es andernfalls wären, so dass der Verbrauch von fossilen Brennstoffen und Biokraftstoff durch die zusätzliche Produktion von Biokraftstoff steigt.

Eine Fläche wie Irland

Die verbleibende Alternative lautet, Flächen zu nutzen, die zuvor noch nicht kommerziell genutzt wurden. Doch sind diese Flächen normalerweise bewaldet. Die Ersetzung von Wäldern durch Mais, Raps und anderen Ölsaatanbau verringert den Bestand an Biomasse und führt ebenso zu einer Erhöhung der Konzentration von CO2 in der Atmosphäre. Brasilien hat für die Produktion von Bioethanol, die den Generalsekretär beeindruckt hat, riesige Gebiete seines Urwalds abgeholzt. Damit hat das Land der Bekämpfung des Klimawandels einen Bärendienst erwiesen.

Tatsächlich verliert die Welt jedes Jahr Waldgebiete von der Größe Irlands. Die Wirkung auf die Atmosphäre entspricht 18 des jährlichen CO2-Ausstoßes, mehr als die Emissionen des gesamten Beförderungssektors der Welt. Die Entwaldung muss umgekehrt werden, nicht beschleunigt.

Nur aus Abfall

Die Nutzung von Flächen in jeglicher Form zur Produktion von Biokraftstoff ist nicht sinnvoll. Im Hinblick auf die Umwelt- und Sozialpolitik ist lediglich die Produktion von Biokraftstoff ohne die Nutzung von zusätzlichem Land vertretbar. Das würde bedeuten, landwirtschaftlichen und anderen Abfall zu verwenden, der sonst verrotten und nahezu gleiche Mengen von CO2 und Methan und sogar noch gefährlicherem Treibhausgas produzieren würde.

Diese Option sollte unterstützt werden. Doch muss die offizielle Förderung für die Produktion von Biokraftstoff auf Flächen, die zu anderen Zwecken genutzt worden wären, eingestellt werden.

Hans-Werner Sinn ist Professor für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft an der Universität München und Präsident des Ifo-Instituts.

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