Mehr Geld für den Osten ist nicht die Lösung...

Interview mit Hans-Werner Sinn, Wirtschaft & Markt 11/2001, S. 16

PROF. DR. HANS-WERNER SINN, PRÄSIDENT DES IFO INSTITUTS, ÜBER DEN HANDLUNGSBEDARF DER POLITIK UND DAS WIRTSCHAFTLICHE DILEMMA IM OSTEN:

W&M: Herr Professor, die Konjunktur in Deutschland lahmt schon seit Monaten, droht nach den Terroranschlägen in den USA nun eine Rezession?

HANS-WERNER SINN: In den USA schon, in Deutschland wohl nicht. Dennoch verringert sich auch hier zu Lande das Wachstumstempo. Dass der Aufschwung in diesem Jahr auslaufen würde, hat sich bereits im Frühjahr angekündigt. Wir selbst haben schon im Sommer das Wachstum nur noch auf 1,2 Prozent geschätzt. Diese Prognose haben die Wirtschaftsinstitute jüngst weiter nach unten revidieren müssen.

Mag sein, ist aber nicht schon ungeachtet der Folgen des Attentats 2001 ein Jahr der verlorenen Hoffnungen?

Das gilt nicht nur für uns, sondern insbesondere auch für Amerika. Dort hat man gedacht, der über zehn Jahre anhaltende Aufschwung geht immer so weiter. Aber das war eine Fehlrechnung, wie schon die Entwicklung vor dem Attentat gezeigt hat.

Wo liegen die eigentlichen Ursachen für den Konjunkturabfall?

Ein ganz wichtiger Punkt sind die stark angestiegenen Ölpreise, die die Terms of Trade, also die Austauschrelationen, verschlechtert haben. Die höheren Ölrechnungen haben die Konsumenten »ärmer« gemacht. Es fehlte ihnen damit an Kaufkraft für andere Waren.

Die Ölscheichs sind schuld an der schlechten Konjunktur?

Ja, aber nicht allein. Es gibt auch andere negative Effekte, die mehr oder weniger stark damit zusammenhängen. Der Börsencrash in Amerika, mit all seinen Folgen für die übrigen Aktienmärkte, ist hier vor allem zu nennen.

Wie kam es dazu?

Die Amerikaner haben die Weltkapitalmärkte mit ihren Aktien und neu emittierten Wertpapieren überschüttet, denn sie selbst haben netto gar nichts gekauft. Die Sparquote der privaten Haushalte war ja negativ. Der Crash kam, als auch die Ausländer die neuen amerikanischen Wertpapiere nicht mehr kaufen wollten. Der Crash hat die Amerikaner ärmer gemacht und sie zu einem zurückhaltenderen Konsumgebaren veranlasst. Die schlechteren Absatzerwartungen und das verschlechterte Emissionsklima für Aktien haben außerdem die Investitionen verringert. Deshalb brach die Konjunktur in sich zusammen.

Ihr Institut hat frühzeitig vor dem Konjunktureinbruch gewarnt. Warum wurden sie nicht ernst genommen?

Wir wurden schon ernst genommen, aber viele wollten die Wahrheit nicht hören. Wir befragen jeden Monat rund 7.000 Unternehmen und können damit den Stand der Dinge ganz gut einschätzen. Dabei kommen auch unbequeme Wahrheiten zutage.

Ist die Politik zu ignorant gegenüber Ihren Analysen?

Politiker, zumal wenn sie in der Regierungsverantwortung stehen, bevorzugen positive Nachrichten. Das hat sicherlich mit dem Phänomen der sich selbst erfüllenden Prognosen zu tun. Man prognostiziert positive Daten, Unternehmen glauben daran und investieren wieder. Die Wirtschaft kommt in Gang, und aus dem Glauben ist Wahrheit geworden.

Diesmal glaubt sie offensichtlich nicht daran. Die Politik muss handeln - nur wie?

Die Bundesregierung sollte ihre Ausgaben auch bei geringeren Steuereinnahmen verstetigen und, abweichend vom geplanten Stabilitätsprogramm, zeitweilig auf eine Rückführung des Budgetdefizits verzichten.

Ein Teil der Wirtschaft fordert von der Bundesregierung Aktivprogramme, um die Konjunktur wieder auf Trab zu bringen - Sie auch?

Kann sein, dass das nötig sein wird. Aber ich würde mit dieser Entscheidung noch zwei bis drei Monate warten, bis wir klarer sehen, wohin die Konjunktur wirklich geht. Derzeit sind alle Prognosen reichlich spekulativ.

Die Amerikaner warten nicht, die haben solche Programme längst aufgelegt.

Stimmt, sie machen jetzt aktive Konjunkturpolitik und nehmen damit eine Nettoneuverschuldung von über einem Prozent in Kauf. Aber in den USA ist die Verunsicherung von Investoren und Konsumenten am größten. Wir Europäer sind da in einer noch vergleichsweise glimpflichen Lage, zumal wir nun hoffen können, dass die US-Konjunktur im nächsten Jahr wieder anspringt und sich damit unsere Exporte stabilisieren.

Die deutschen Exporte laufen schon jetzt leidlich. Dennoch dümpelt das deutsche Wirtschaftswachstum seit mindestens fünf Jahren im europäischen Vergleich am untern Rand. Wo klemmt es bei uns wirklich?

Am Arbeitsmarkt. Die mangelnde Flexibilität, die exzessiven Arbeitnehmerrechte und nicht zuletzt der hohe Lohn schaffen eine ungute Kombination von Standortfaktoren, die die Unternehmer vertreibt. Im verarbeitenden Gewerbe haben wir pro Stunde gerechnet die höchsten Lohnkosten der Welt und betreiben seit langem eine Sozialpolitik, die die faktischen Arbeitskosten immer weiter aufbläht. Unser Land bietet damit kaum mehr attraktive Investitionschancen für Investoren.

Deutschland ist nicht mehr wettbewerbsfähig?

Ich bin sehr pessimistisch, weil die anderen europäischen Länder weit bessere Bedingungen bieten und mit dem Euro nun auch die Wechselkursrisiken gefallen sind. Das Kapital geht halt dorthin, wo die besten Verwertungsbedingungen herrschen.

Wenn wir denn schon unsere strukturellen Probleme nicht lösen, sollte die Regierung dann. nicht wenigsten die Steuerreform vorziehen, um die Konjunktur zu pushen?

Ja, das könnte sinnvoll sein, aber wie gesagt, ich würde noch zwei Monate warten, bis wir harte Fakten zur Konjunkturlage nach dem Anschlag auf das World Trade Center haben. Wenigstens die für 2003 geplante Stufe könnte man bereits im Jahr 2001 beginnen lassen. Das würde 16 Milliarden Mark zusätzliche Kaufkraft bringen.

Sollte man auch die Personengesellschaften entlasten?

Das würde mit dem Vorziehen der Steuerreform automatisch passieren, denn von der Absenkung des Tarifs der Einkommensteuer würden natürlich auch die Personengesellschaften profitieren.

Wie beurteilen Sie die Situation in den neuen Bundesländern?

Dort haben wir tatsächlich eine Rezession. Die Wirtschaftsleistung lag im ersten Halbjahr 2001 um 0,6 Prozent unter dem Wert des Vorjahres. In den neuen Ländern läuft schon seit dem Auslaufen des Fördergebietsgesetzes 1996 nicht mehr viel. Der Abstand zum Westen hat sich Jahr um Jahr vergrößert. Pro Erwerbsfähigem werden heute auf dem Gebiet der ehemaligen DDR nur 57 Prozent der Wirtschaftsleistung des Westens erreicht. 1996 lag der Wert schon einmal über 60 Prozent.

Was läuft denn seit langem im Osten schief?

Der gesamte Baubereich ist total eingebrochen. Das hat auch die verarbeitende Industrie mit durchaus noch guten Wachstumsraten nicht kompensieren können.

Mit Verlaub, das ist doch inzwischen Allgemeingut...

... und dennoch die Wahrheit...

...aber sicherlich nicht der einzige Grund für diese negative Entwicklung?

Ich sage ja auch nicht, dass das der Grund ist. Der Einbruch ist nicht der Grund, sondern das Kennzeichen der negativen Entwicklung. Der Grund liegt natürlich viel tiefer. Man hat zehn Jahre lang die falsche Politik für den Osten gemacht und es versäumt, die Bedingungen für einen sich selbst tragenden Aufschwung zu schaffen. Man kann das auch noch zehn Jahre so weiter tun, nur wird der Aufschwung dann auch nicht kommen. Und dass er nicht kommt, liegt nicht daran, dass zu wenig Geld geflossen wäre. Eher daran, dass zu viel Geld für die falschen Dinge ausgegeben wurde.

Zum Beispiel?

Es ist zuviel Geld für soziale Zwecke ausgegeben worden, anstatt durch den Aufbau einer leistungsfähigen Infrastruktur eine Hilfe zur Selbsthilfe zu geben. Die Sozialausgaben haben relative komfortable Daseinsalternativen zur Arbeit geschaffen, und damit haben sie die Löhne nach oben gedrückt, weit über die Produktivität der meisten Arbeitsplätze. Die Folge war eine Massenarbeitslosigkeit.

Im Osten wird zu viel verdient?

Im Verhältnis zur vorhandenen Produktivität schon. Neben dem Einfluss des Sozialsystems ist hier insbesondere auf die problematischen Stellvertreter-Lohnverhandlungen hinzuweisen, die westdeutsche Tarifpartner im Jahr 1991 für die neuen Bundesländer durchführen durften, obwohl es dort doch noch keine privaten Unternehmer gab, die sich hätten wehren können. Die Umstellung der Löhne eins zu eins nach der Währungsreform ist nicht zu kritisieren. Sie hat im Osten einen Lohn erzeugt, der in etwa bei 30 Prozent des Westlohnes lag. Wäre man dabei zunächst geblieben und hätte es nicht zugelassen, dass die westdeutschen Tarifpartner den herrenlos gewordenen ostdeutschen- Unternehmen westdeutsche Löhne aufschwatzten, dann wäre der sich selbst tragende Aufschwung heute wohl voll im Gange.

Dann wäre ein zweites Wirtschaftswunder erzeugt worden?

Ja, ähnlich wie nach dem Krieg im Westen. Die Investoren wären aus aller Welt gekommen und hätten um die gut ausgebildeten Arbeitskräfte der neuen Länder konkurriert. Auch hätten die neuen Unternehmen ihre Investitionen aus eigenen Gewinnen finanzieren können. Auch dadurch wären die Löhne letztlich bis auf das Westniveau gestiegen. Aber sie wären im natürlichen Rhythmus gestiegen, halt langsamer als bei der Hau-Ruck-Methode, die die westdeutschen Tarifpartner für den Osten vorgesehen hatten. Die Löhne können der Produktivität nun einmal nicht vorauseilen, weil die Gewinne dann zu klein sind und die Investoren nicht kommen. Nur umgekehrt funktioniert die Sache. Die Löhne müssen der Produktivität hinterherlaufen, und je mehr sie das tun, desto schneller kommt der Aufschwung und desto größer wird die Kraft, die dann die Löhne mitzieht.

Wären dann nicht die neuen Bundesbürger allesamt in den Westen gezogen?

Nein, ich glaube nicht, dass mehr gekommen wären als es wegen der Hochlohnpolitik ohnehin der Fall war. Die hohen Löhne haben eine Massenarbeitslosigkeit erzeugt und viele Menschen in den Westen getrieben. Niedrige Löhne hätten ein Beschäftigungswunder geschaffen und gerade die Jungen im Osten gehalten, die von ihrem ungestillten Tatendurst in den vergangenen Jahren in den Westen getrieben wurden. Im Übrigen teile ich die Sorge, die aus Ihrer Frage spricht, auch deshalb nicht, weil es besser ist, wenn ein ostdeutscher Arbeitnehmer für einige Jahre in den Westen geht, wo er Beschäftigung findet, als dass er sich im Osten vom Arbeitslosengeld ernährt.

Nun ist das aber alles nicht so gekommen. Können wir nicht auch heute Hoffnung schöpfen? Zeigt nicht das geplante BMW-Werk in Leipzig, dass der Osten für Investoren attraktiv sein kann?

 Ja, ich glaube schon. BMW kam wegen flexibler Zeitarbeitsmodelle, wegen des Verzichts auf die Zahlung außertariflicher Leistungen und nicht zuletzt wegen erheblicher öffentlicher Subventionen nach Leipzig. Die Subventionen müssen uns trotz des großen Erfolges bedenklich stimmen.

Ist BMW ein Beispiel für den von Ihnen geforderten Paradigmenwechsel, damit der Osten nicht zum Mezzogiorno verkommt?

BMW ist ein Hoffnungsschimmer - mehr nicht.

Was muss vor allem passieren?

Wir müssen die Arbeitsmarktpolitik verändern. Die Löhne können vorläufig nicht mehr steigen, ja sie müssen vielleicht sogar fallen, und um das zu ermöglichen, könnte man die neuen Bundesbürger zu Miteigentümern an ihren Unternehmen machen. Damit würde dann auch einer der großen Fehler der Vereinigungspolitik behoben.

Was meinen Sie?

Es wurde versäumt, den neuen Bundesbürgern verbriefte Anteilsrechte am ehemals volkseigenen Vermögen zu übereignen, wofür nach dem Einigungsvertrag ja Möglichkeiten geschaffen werden mussten. Über neunzig Prozent der Treuhandobjekte und zwei Drittel der Restitutionsobjekte gingen in westdeutsche Hände.

Die Umverteilung ist längst gelaufen. Wie soll da jetzt Eigentum bei den Ostdeutschen entstehen?

Über die Mitbeteiligung der Arbeitnehmer an den Unternehmen. Das braucht natürlich einen rechtlichen Rahmen, der es den Unternehmen erlaubt, ihren Arbeitnehmern Lohnsenkungen abzukaufen. Entsprechende Öffnungsklauseln gehören in das Betriebsverfassungsgesetz hinein.

Sie fordern Beteiligungsrechte gegen Lohnverzicht?

Ja, es geht um effizienzverbessernde Maßnahmen, durch die niemandem etwas weggenommen wird. Die Unternehmen erhielten sofort Liquidität und würden kreditwürdiger. Vor allem würde die Lohnabsenkung es rentabel machen, neue Leute einzustellen, die dann zunächst freilich noch nicht an den Unternehmen zu beteiligen wären. Dadurch stiegen die Unternehmensgewinne um mehr als nur den Lohnverzicht, und an diesen Gewinnen würden Neu- und Alteigentümer partizipieren. Allen ginge es besser.

Was könnte man sonst noch machen?

Zur Zeit gibt es fürs Nichtstun zu viel und fürs Tun zu wenig Geld. Das trifft im Westen genauso zu wie im Osten, nur dort ist das Problem noch viel gravierender. Wir müssen die Hebelwirkung ändern und den Anreiz schaffen, dass die Menschen statt bloß Sozialhilfe in Anspruch zu nehmen, lieber Jobs mit niedrigen Löhnen akzeptieren. Die Sozialhilfe alter Art muss man absenken und durch Lohnergänzungszahlungen ersetzen. Zugleich sollte man denen, die mit der abgesenkten Sozialhilfe nicht zurecht kommen, übergangsweise staatliche Jobs anbieten, wo sie so viel Geld bekommen wie derzeit die Sozialhilfeempfänger. Ein solches Programm würde den Betroffenen in der Summe aus staatlichem und privatem Geld mehr Einkommen verschaffen, ohne dass das Ganze für den Staat teurer käme.

Sie wollen mit Kombi-Modellen die Löhne über den Sozialhilfesatz hieven?

Ja und nein. Die Löhne fallen unter die heutigen Sozialhilfesätze, und deswegen entstehen neue Jobs. Für die Unternehmer lohnt es sich, mehr Leute einzustellen. Zugleich erhalten diejenigen, deren Lohn unter die heutige Sozialhilfe fällt, eine Hilfe neuer Art, die das Gesamteinkommen über dieses Niveau anhebt.

Glauben Sie wirklich, dass dadurch neue Arbeitsplätze entstehen?

Die Amerikaner haben ihr Jobwunder der letzten zwanzig Jahre diesem Effekt zu verdanken. Während wir für jede Mark, die ein Sozialhilfeempfänger verdient, die Sozialhilfe um eine Mark kürzen, geben die Amerikaner für jeden Dollar, den man selber verdient hat, 40 Cent hinzu. Es sind Jobs entstanden, und die Jobs haben den Amerikanern einen gewaltigen Wachstumsschub gebracht.

Warum tun sich die Deutschen damit so schwer?

Das hat diverse Gründe. In Deutschland hängt man immer noch der Idee nach, dass wir Wachstum brauchen, um Arbeitsplätze zu schaffen. Umgekehrt wird ein Schuh daraus. Lohnsenkungen schaffen Beschäftigung, und Beschäftigung schafft Wachstum. Außerdem ist die Öffentlichkeit nicht bereit, ökonomische Argumente wirklich zu akzeptieren. Gerade in der Politik grassiert noch immer die Angst vor grundlegenden Reformen.

Weil es erst einmal um die Verteidigung der eigenen Besitzstände geht?

Freilich geht es darum. Auch in der Politik. Keiner will die nächste Wahl verlieren.

Ist darum auch der Bundestagspräsident Wolfgang Thierse mit seinen Thesen zum ostdeutschen Dilemma von seinen eigenen Genossen so angefeindet worden?

Ja, weil sie befürchten, Wähler an die PDS zu verlieren, wenn sie die Wahrheit sagen. Thierse hatte aber völlig Recht, und er hat auch nicht übertrieben. Er hat die Dinge im Osten so beschrieben, wie sie wirklich sind. Und ich glaube, wenn die Schwierigkeiten in den neuen Ländern weiter zunehmen, werden immer mehr Leute Wert darauf legen, dass man ihnen reinen Wein einschenkt. Ich glaube nicht dass die Menschen dumm sind. Sie werden nur diejenigen Politiker wählen, die schonungslos die Wahrheit sagen. Die Schönredner sind sie leid.

Muss man den Ostdeutschen mit mehr Geld aus dem Westen unter die Arme greifen?

Der Solidarpakt II ist auf den Weg gebracht, der Länderfinanzausgleich verabschiedet, und das auf eine Weise, die den neuen Ländern finanziell entgegenkommt. Die Infrastrukturlücke kann mit diesen Hilfen in den nächsten Jahren geschlossen werden. Es fließt also weiterhin eine Menge Geld von West nach Ost. Noch mehr Geld zur Verfügung zu stellen, ist nicht die Lösung.

Weil das dem Bundesbürger West nicht mehr zu vermitteln ist?

Ja, auch deswegen. Schon jetzt verschweigt die Bundesregierung offenbar aus Scham, dass noch immer mindestens jede dritte Mark, die in den neuen Ländern ausgegeben wird, aus dem Westen kommt. Ich kann da nur warnen: Es gibt weltweit keine Region, die in einem so hohem Maße von dem Ressourcenzustrom aus anderen Regionen ahängig ist. Der Importüberhang über die eigenen Exporte liegt in den neuen Ländern bei 46 Prozent. Selbst das italienische Mezzogiorno, Portugal und Israel, drei weitere, klassische Transferökonomien, haben nur einen Importüberhang in Höhe von 13 Prozent der eigenen Erzeugung.

Was passiert, wenn weiterhin die Hälfte des ostdeutschen Bruttoinlandsprodukts subventioniert werden muss?

Vorsicht. Das sind nicht alles Subventionen. Von den 220 Milliarden Mark, die schätzungsweise jedes Jahr in die neuen Länder fließen, werden 140 Milliarden über die öffentlichen Kassen transferiert - zumeist handelt es sich um Zahlungen innerhalb der Sozialsysteme sowie um den Länderfinanzausgleich - und 80 Milliarden Mark kommen als freiwillige Kapitalströme. Dennoch sind die Zahlen bedrohlich genug. Ich vermute, dass Deutschland, das unter den EU-Ländern ohnehin das geringste Wirtschaftswachstum aufweist, in den nächsten Jahren noch weiter zurückfällt, weil die wachsende Abgabenlast immer mehr Leistungsträger verschreckt. Wir sind, was das Sozialprodukt je Kopf betrifft, seit der Vereinigung nur noch Mittelmaß. Um den weiteren Rückfall unseres Landes noch abzuwenden, müsste ein wirklicher Ruck durch unser Land gehen, der den Reformstau beseitigt. Wir brauchen eine Offensive, die von vielen Parteien getragen wird und den Sozialstaat an Haupt und Gliedern reformiert. Nur dann haben wir eine Chance.

Herr Professor Sinn, wir danken für das Gespräch.