Kindergeld kommt nicht immer bei den Kindern an

Interview mit Hans-Werner Sinn, Main-Echo, 28.04.2007

Frage: Herr Prof. Sinn, verschiedene Politiker haben in den letzten Wochen das Thema Steuersenkung ins Gespräch gebracht. Ist da Substanz dahinter oder nur heiße Luft?

Sinn: Die Wirtschaftsforschungsinstitute haben empfohlen, die Steuern nicht zu erhöhen. Die Steuererhöhung kommt automatisch durch die Progressivität des Steuersystems. Wenn es -- wie jetzt -- einen wirtschaftlichen Aufschwung gibt, wächst das Steueraufkommen schneller als das Sozialprodukt. Man spricht auch von einer kalten Progression. Das führt zu einer Erhöhung der Staatsquote, weil das Geld mehr Ausgaben ermöglicht. Niemand kann diesen Automatismus wirklich wollen. Am besten wäre es, den Steuertarif auf Räder zu stellen, und Jahr für Jahr durch eine Erhöhung der Bemessungsgrenzen zu korrigieren. Alternativ kann ich mir eine deutliche Begrenzung des Höchsteuersatzes vorstellen, der jetzt inklusive Soli bei 47 Prozent liegt.

Welcher Steuersatz schwebt Ihnen vor?

Sinn: Vor einiger Zeit haben wir in Deutschland die Senkung des Spitzensatzes auf 40% diskutiert. Diese Diskussion sollten wir wieder aufnehmen. Ob man das in einem Schritt erreichen kann, ist eine andere Frage. Man könnte an eine ähnliche Drei-Schritt-Steuerreform denken wie man sie schon einmal unter der Regierung Schröder gemacht hat.

Davon würden dann aber nicht nur die Spitzenverdiener profitieren?

Sinn: So ist es. Auch der durchschnittliche deutsche Arbeitnehmer ist sehr stark belastet, auch er würde profitieren. Die Gesamtbelastung der zusätzlichen Arbeitsleistung eines normalen Arbeitnehmers mit Steuern und Sozialabgaben ist im internationalen Vergleich mit 65,4% außerordentlich hoch. Dazu trägt auch die persönliche Einkommensteuer bei. Das würde sich automatisch ändern, wenn man mit der Senkung des Spitzensteuersatzes auch die Progression verringert.

Die Finanzpolitiker, insbesondere Bundesfinanzminister Steinbrück, leisten gegen die Steuerreduzierungswünsche heftigen Widerstand. Sind denn nicht der Abbau der Staatsschulden und die Herstellung eines ausgeglichenen Bundeshaushalts auch sehr wichtige Ziele?

Sinn: Ich verstehe den Finanzminister. Er wehrt sich gegen die Abschaffung des kalten Progression, weil er das Geld gut gebrauchen kann. Er sollte aber bitte sein Kabinett zum Sparen veranlassen statt die Bürgern durch die automatischen Steuererhöhungen zum Sparen zu zwingen. Wohlgemerkt: Es geht den Instituten nicht um Steuersenkungen, sondern um den Verzicht auf die schleichenden Steuererhöhungen, wie sie wegen des progressiven Steuersystems im Zuge des Wirtschaftsaufschwungs derzeit stattfinden. Die deutsche Staatsquote ist wegen der kalten Progression über Jahrzehnte hinweg angestiegen. Wenn die Wirtschaft wächst, kommen immer mehr Menschen in die Progression hinein, so dass der Staat an der Wirtschaftsentwicklung überproportional partizipiert. Das darf nicht sein.

Es gibt einige sehr teure politische Projekte wie etwa Familienförderung, Bildung, auch Klimaschutz. Können das Argumente sein, die Steuerentlastung hinauszuschieben oder ganz auf sie zu verzichten?

Sinn: Die Familienpolitik muss in ihrer Struktur geändert werden. Wir geben relativ viel Geld in Form von Kindergeld aus. Machen wir uns nichts vor: Das Kindergeld kommt gerade beim so genannten Prekariat nicht immer bei den Kindern an, sondern wird für alle möglichen anderen Zwecke verwendet. Um sicherzustellen, dass das Geld auch wirklich den Kindern zu Gute kommt, muss der Staat seine Leistungen in Zukunft verstärkt in Form von Sachleistungen geben, also in Form von Kinderkrippen, Kindergärten und Ähnliches. Das hat ja auch die SPD eingesehen.

Sie weisen immer wieder darauf hin, dass die Konjunktur eine zyklische Veranstaltung ist. Es wird also wieder einen Abschwung geben. Wird dann dem Staat das Geld für seine Aufgaben wieder fehlen, wenn er zuvor kräftig die Steuern gesenkt hat?

Sinn: Ich glaube nicht, dass es einen Abschwung in dem Sinne gibt, dass wir negatives Wirtschaftswachstum bekommen. Die hohen Wachstumsraten, die wir derzeit haben, bedeuten einen Anstieg von Sozialprodukt und Volkseinkommen. Das führt dazu, dass die Steuern schneller wachsen als das Sozialprodukt. Das muss korrigiert werden. Wenn die Wirtschaft sich wieder normalisiert oder gar in einen Abschwung kommt, dann heißt das ja nur, dass wir kein weiteres Wachstum haben. Das würde die Steuerquote nicht vermindern, sondern nur ihren weiteren Anstieg beenden.

Wie groß sehen Sie die Gefahr, dass die Politik die derzeitigen Steuermehreinnahmen für alle möglichen schönen Dinge verfrühstückt. so dass für Steuersenkungen kein Raum mehr ist?

Sinn: Die Gefahr ist groß. Es gibt ja schon Bestrebungen, das Geld für die Krankenversicherung zu verwenden. Auch ist die Rede davon, dass die Renten mit Steuern finanziert werden sollen. Man findet immer Wege, das Geld wieder auszugeben. Der Staat kann nicht dem Bürger einen immer größeren Prozentsatz seines Geldes aus der Tasche ziehen wie das automatisch durch die Progression des Steuersystems eintritt.

Das Interview erschien auch in:
Saale-Zeitung, 28.4.2007
Kölnische Rundschau, 3.5.2007
Straubinger Tagblatt, 28.4.2007
Märkische Allgemeine, 2.5.2007