"Politische Konflikte vom Handel trennen"

Der Taiwan-Konflikt offenbart die deutsche Abhängigkeit von China. Der Ökonom Hans-Werner Sinn erklärt, warum er Sanktionen gegen Peking klar ablehnt - und was sie bedeuten würden.
Hans-Werner Sinn

ZDF heute, 16. August 2022.

China ist extrem wichtig für Deutschlands Handel. Doch der militärische Konflikt um Taiwan wirft - wie zuvor auch der Krieg in der Ukraine - ein Schlaglicht auf die Abhängigkeiten, in die sich Deutschland begeben hat: Stockt der Handel mit China, gefährdet das unseren Wohlstand. Sollte man die Abhängigkeit also verringern? Fragen an Hans-Werner Sinn, den ehemaligen Chef des Münchner ifo Instituts.

ZDFheute: Sorgen Sie sich vor einem Handelskrieg mit China?

Hans-Werner Sinn: Ja, sehr. Denn China ist Deutschlands größter und wichtigster Handelspartner. Bei den deutschen Importen ist China Nummer eins, bei den Exporten Nummer zwei. Schaut man die riesengroße Palette von Gütern an, die wir aus China importieren, ist die Frage eher: Was kommt nicht aus China? Bei über 600 Produktgruppen des Statistischen Bundesamtes liegt der Importanteil für chinesische Waren über 50 Prozent. Und bei den für unsere Industrie ganz wichtigen Waren wie seltenen Metallen, Aluminium, Magnesium oder vielen chemischen Zwischenprodukten liegt der Anteil Chinas an den Importen gar bei zwei Dritteln und mehr. Wer den Handel mit China einschränken möchte, sägt den Ast ab, auf dem wir sitzen. Die Leidtragenden wären die einfachen Bürger, denn ihr Lebensstandard sänke erheblich.

Ein Handelskrieg mit China wäre für Deutschland so teuer wie sechs Brexits, das hat das ifo Institut berechnet. Stecken wir mit unserer Wirtschaft also nicht nur in einer Russland-Falle - weil wir von russischem Gas abhängig sind - sondern auch in einer noch größeren China-Falle?

Warum Falle? Handel hält auch den einen oder anderen Partner davon ab, allzu aggressiv in einem Konflikt vorzugehen. Wenn alle Länder autark wären, dann hätten wir viel mehr Kriege auf der Welt, als das heute angesichts der Handelsverflechtungen der Fall ist. Ich halte den moralisch verbrämten Protektionismus für gefährlich, weil er dazu führt, dass einzelne Länder glauben, sie seien unabhängig und könnten allein ihr Geschäft machen - was dann die Neigung zu politischem Extremismus fördert. Der Protektionismus unterminiert die Arbeitsteilung, die die Quelle des Massenwohlstands ist.

Dann sind Sie dagegen, sich wirtschaftlich unabhängiger von China zu machen?

Das ist nur schwer möglich. China ist viel zu groß, viel zu dynamisch, viel zu weit entwickelt. China ist ein Machtfaktor in der Welt und als solcher zu respektieren - auch, wenn es nicht gefällt. Einseitige Abhängigkeiten von nur einem Land sollte man natürlich vermeiden - bei der Energie sind wir zu abhängig von Russland. Doch wenn der Ukraine-Krieg vorbei ist, sollten wir auch hier versuchen, wieder in normaleres Fahrwasser zurückzukehren.

Und wieder Handel mit Russlands Präsidenten Wladimir Putin treiben?

Ich denke an die Zeit nach Putin. Russland ist unser Nachbar im Osten und hat viele Ressourcen. Deutschland als Industrieland braucht diese Ressourcen. Es führt überhaupt kein Weg daran vorbei, dass man die Dinge irgendwann wieder normalisiert, wobei eine stärkere Diversifizierung unserer Energieimporte sicherlich ratsam ist. Der Welthandel ist für sich genommen friedensstiftend. Man braucht ihn weiterhin.

Was ist mit Menschenrechtsverstößen wie die gegen die Uiguren in China?

Solche Probleme sollte man nicht mit wirtschaftlichen Sanktionen angehen. Denn wenn man den Handel unter ein moralisches Diktat stellt, dann bleibt ja in der Dritten Welt kaum ein Land übrig, mit dem man Handel treiben kann. Zu viele Länder haben politische Probleme, die uns nicht gefallen.

Im Übrigen treffen Handelssanktionen die einfachen Menschen der beteiligten Länder und nicht etwa die jeweiligen Potentaten. Wirtschaftssanktionen gegenüber China halte ich deshalb für falsch. Man muss die politischen Konflikte vom Handel trennen.

Das sehen nicht alle so. Der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen forderte in Bezug auf den Taiwan-Konflikt eine Kurskorrektur im Außenhandel. Was müssen Außen- und Wirtschaftspolitik jetzt leisten?

Ich schätze Herrn Röttgen und weiß nicht, ob er hier richtig verstanden wird. Sicherlich will er keinem staatlichen Dirigismus das Wort reden.

Einige deutsche Unternehmen haben doch aber schon angekündigt, ihr China-Geschäft zurückfahren zu wollen.

Ja, sie fürchten den Handelskrieg - und das ist problematisch. So etwas muss sich durch die Firmen selbst ergeben. Verbote, Drohungen und andere dirigistische Maßnahmen sollten die Staaten unterlassen. Wenn, dann sollten sie durch Handelsschutz wie die Hermes-Bürgschaften im positiven Sinne lenkend eingreifen.

Das Interview führten Julia Klaus und Oliver Klein.

Nachzulesen auf www.zdf.de.