Die griechische Tragödie

Hans-Werner Sinn

ifo Schnelldienst 68, Sonderausgabe Mai, 2015, S. 3-33. In englischer Sprache erschienen als The Greek Tragedy, CESifo Forum 16, Special Issue Juni, 2015, S. 35. In chinesischer Sprache erschienen im Chinese Review of Financial Studies 8, Nr. 1, Februar 2016, S. 33

Zusammenfassung

Griechenland hat bis Ende März 2015 insgesamt 325 Mrd. Euro an Krediten von den Rettungseinrichtungen der EU, dem IWF und der EZB erhalten, und doch ist die Arbeitslosenquote mehr als doppelt so hoch wie vor fünf Jahren, als die fiskalischen Rettungsaktionen begannen. Dies liegt an der sogenannten Hollän-dischen Krankheit. Je mehr Geld fließt, desto geringer sind die Anreize, die ex-zessiven Preissteigerungen in den ersten Jahren des Euro wieder rückgängig zu machen und den steinigen Weg zur Wiederherstellung der Wettbewerbsfähigkeit zu gehen.Auch die griechische Bevölkerung hat von den Rettungskrediten profitiert. Ge-rechnet vom Krisenbeginn, wurden die öffentlichen Kredite zu etwa einem Drittel zur Finanzierung des griechischen Leistungsbilanzdefizits, zu einem Drittel für die Schuldentilgung und zu einem Drittel für eine griechische Kapitalflucht ins Aus-land eingesetzt. Griechenland hat zudem erhebliche Vorteile aus der künstlichen Absenkung der Zinsen für seine Auslandskredite erzielt. Diese Vorteile könnten in realer Rechnung für die Jahre 2008 bis 2014 bei etwa 50 Mrd. Euro gelegen haben. Im Jahr 2014 lag der griechische Gesamtkonsum im privaten und öffent-lichen Sektor bei knapp 114% des Nettonationaleinkommens. Die griechischen Banken haben in den letzten Monaten für etwa 80 Mrd. Euro ELA-Kredite der griechischen Notenbank erhalten. Die ELA-Kredite, die nur mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit des EZB-Rates hätten verhindert werden können, gingen weit über das Maß hinaus, für das die griechische Notenbank bei einem Konkurs des Staates und einer Entwertung der von den Banken eingereichten Pfänder haften kann. Mit ihrer Hilfe gelang es, die Kapitalflucht griechischer Bür-ger, die ihr Vermögen im Ausland in Sicherheit brachten, durch öffentliche Kredit-mittel der Staatengemeinschaft zu kompensieren und so den Drohpunkt bei den Verhandlungen mit eben dieser Staatengemeinschaft stark zu verbessern. Das könnte der Grund dafür sein, dass die griechische Regierung bei den Verhand-lungen auf Zeit gespielt hat. Sollte es zum Austritt kommen, wäre es wichtig, so rasch wie möglich ein neu-es gesetzliches Zahlungsmittel einzuführen, damit alle Preisschilder sowie alle Miet-, Kredit- und Lohnkontrakte im Gleichschritt abgewertet werden können, um die Wettbewerbsfähigkeit der griechischen Wirtschaft wiederherzustellen. Ein schleichender Übergang zur neuen Währung auf dem Umweg über eine Ver-wendung staatlicher Schuldscheine, die nicht gesetzliches Zahlungsmittel sind, würde zwar die Zahlungsfähigkeit der griechischen Regierung notdürftig sichern, er wäre aber kein Beitrag zur Lösung des Wettbewerbsproblems. Verschiede-ne ökonometrische Studien deuten darauf hin, dass ein Wirtschaftsaufschwung bereits ein bis zwei Jahre nach einer Abwertung und einem Schuldenschnitt be-ginnen könnte.

Inhalt

1. Die öffentlichen Kredithilfen

2. Hat das Geld geholfen?

3. An wen flossen die Kredite?

4. Die Zinsnachlässe

5. Das Risiko der Geberländer

6. Der Verlust der Wettbewerbsfähigkeit und vier Optionen für Griechenland

7. Vor- und Nachteile des Grexit

8. Zum Prozedere des Austritts

9. Schlussbemerkungen

Schlagwörter

Griechenland, Schuldenübernahme, Kredittilgung, Internationaler Kredit, Eurozone

JEL Klassifikation

F330, F340, G010