EZB sollte Target-Salden veröffentlichen

Frank Westermann, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12.02.2015, S. 27.

Zu den Artikeln "Das Kapital flüchtet aus Griechenland" (F.A.Z. vom 7. Februar) und der Seite "Attacke auf Deutschlands bekanntesten Ökonomen" im Wirtschaftsteil mit dem Artikel "Target-System, Pleitestaaten und Zombies" (F.A.Z. vom 30. Januar): In dem jüngsten Disput über die wissenschaftlichen Leistungen des Ifo-Präsidenten Hans-Werner Sinn standen wieder einmal die Target-2-Salden im Eurosystem im Mittelpunkt. Jedoch gibt es auch fast vier Jahre nach Sinns ersten Beiträgen, unter anderem in der F.A.Z. vom 4. Mai 2011, noch immer keine offiziellen Daten hierzu von der Europäischen Zentralbank (EZB). Auch von den nationalen Notenbanken sind die Target-2-Salden nur teilweise oder mit Verzögerungen verfügbar.

Hans-Werner Sinn hatte 2011 als weltweit erster Wissenschaftler darauf hingewiesen, dass sich bei der EZB Forderungen und Verbindlichkeiten der nationalen Notenbanken untereinander auftürmen. Die Bundesbank sammelte zum Beispiel Forderungen gegen das Eurosystem von in der Spitze bis zu 750 Milliarden Euro. Sinn interpretierte sie als Zeichen für eine Zahlungsbilanzkrise und argumentierte, dass die Politik der EZB einem "heimlichen Bail-out" der Krisenländer im Eurowährungsgebiet gleichkomme. Zu diesem Zeitpunkt berichtete die Bundesbank die Salden noch unter dem nicht weiter aufgeschlüsselten Bilanzposten "Other Items". Gemeinsam mit Timo Wollmershäuser, heute kommissarischer Leiter der Ifo-Konjunkturabteilung, erstellte Professor Sinn den ersten Target-2-Datensatz mit Hilfe von Zahlungsbilanzdaten des Internationalen Währungsfonds und dokumentierte die Quellen in einem wissenschaftlichen Beitrag für die Fachzeitschrift "International Tax and Public Finance". Im Laufe der letzten Jahre konnten die Bilanzen der einzelnen Notenbanken weiter aufgeschlüsselt, indirekt approximiert und zum Teil recht präzise geschätzt werden. Das Institut für Empirische Wirtschaftsforschung (IEW) der Universität Osnabrück berichtet diese Daten seit Herbst 2011 auf einer regelmäßig aktualisierten Internetseite www.eurocrisismonitor.com. Aktuelle Entwicklungen, wie zum Beispiel die erneute Kapitalflucht aus Griechenland, lassen sich damit zeitnah verfolgen.

Auch die Bundesbank verlinkt den Target-2-Saldo inzwischen in der Rubrik "Häufig nachgefragt" auf der Hauptseite ihrer Internetpräsentation. Das trifft aber nicht auf alle Notenbanken zu. Bis heute sind das Ifo-Institut und das IEW die einzigen frei zugänglichen Quellen für Ländervergleichsdarstellung in Monatsdaten. Die EZB, die aggregierte Bilanzindikationen zum Teil wöchentlich auf ihrer Internetseite aktualisiert, berichtet diese länderspezifischen Daten nicht. Es wäre für sie ein Leichtes, dieses Defizit zu beheben. Dass die Kredite der Notenbanken im Eurosystem einem "Bail-out" gleichkamen, bestreiten auch die Kritiker von Hans-Werner Sinn nicht. Nur den Vorwurf des "heimlichen Bail-outs" möchten sie und die EZB sich nicht gerne gefallen lassen. Die neue Diskussion, die noch immer ohne offizielle Statistiken geführt werden muss, verdeutlicht, wie wichtig die Arbeit ist, die Sinn in den vergangenen Jahren der Euro-Krise geleistet hat, sowie die Bedeutung unabhängiger Forschungsinstitute für die öffentliche Meinungsbildung.