Wie geht es weiter mit dem Euro?

Presseecho, "Wirtschaftsrat", Mitgliedermagazin der Landesverbände Hamburg und Schleswig-Holstein, Dezember 2012, S. 22

Damit der Euro zum Erfolg werden kann, ist eine Verkleinerung der Eurozone für einen gewissen Zeitraum notwendig. Zu diesem Ergebnis kam Prof. Dr. Dres. h.c. Hans-Werner Sinn, Präsident des ifo Institutes, auf einer Abendveranstaltung des Landesverbandes im Hotel Steigenberger.

Professor Hans-Werner Sinn über die Situation in Deutschland und Europa

Sinns vier Punkte-Plan für die Eurozone sieht außerdem vor: eine Gläubigerbeteiligung für Banken und andere Finanzinstitute, die Neuorganisation des Geldsystems nach amerikanischem Muster sowie die Einführung von Pfandbriefen.

Die Tatsache, dass Südeuropa jetzt wieder Zugang zu den Kapitalmärkten habe und die Länder sich zu niedrigen Zinsen finanzieren könnten, sei trügerisch. Grundproblem der Eurokrise sei die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit Südeuropas, erläuterte Sinn den 300 Teilnehmern. Griechenland, Portugal und Spanien müssten ihre Preise und Löhne um 30 bis 40 Prozent senken. Seit dem Ausbruch der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise vor fünf Jahren habe sich dort aber wenig getan. Der Zinsvorteil, den diese Länder mit dem Beitritt zum Euro erhalten hätten, sei „verfrühstückt“. Einzig Irland sei in der Lage gewesen, seine Schwierigkeiten auszuräumen. Die südeuropäischen Länder hätten die „irische Ochsentour“ jedoch nicht gehen wollen. Vielmehr hätten sie ihr politisches Gewicht in den europäischen Gremien geltend gemacht, um einen anderen Lösungsweg zu finden.

Mit den bisherigen Rettungsmaßnahmen sei das Problem jedoch lediglich aufgeschoben. „Man opfert im Moment eine Generation von jungen Leuten in Griechenland für eine Idee. Die Idee, dass der Euro so zusammenbleiben muss mit allen Ländern, die dazugehören.“ Ein großes Risiko sieht Sinn auch in Frankreich, das mit einer Staatsquote von 56 Prozent unter den entwickelten Ländern an zweiter Stelle liege. Der Anteil der französischen Industrie an der Wertschöpfung betrage nur noch neun Prozent Deutschland: 20 Prozent). Kein Land der Euro-Zone sei dem Sozialismus so nahe wie Frankreich. „Hollande spricht von einer Wachstumspolitik. Wenn Politiker von einer Wachstumspolitik reden, meinen sie immer Verschuldungspolitik. Hollande ist noch nicht da, wo Schröder vor zehn Jahren war.“

Ausführlich widmete sich Sinn der „Target-Falle“. In seinem gleichnamigen Buch hatte der Volkswirt die These aufgestellt, dass die Krisenländer ihre Finanzprobleme mit Hilfe des Zahlungssystems der Europäischen Zentralbank (Target) gelöst und damit eine Rettungskaskade erzeugt hätten: Den Kreditblasen wurde mit Staatspapierkäufen der Europäischen Zentralbank und der Einführung von Rettungsschirmen (EFSF und ESM) begegnet. Über eine Bankenunion wird derzeit diskutiert. Als letzte Konsequenz in der „Logik der Target-Falle“ sieht Sinn die Einführung von Eurobonds. Eine Stufe folge auf die nächste, „so dass sich für Politiker die Situation ergibt, dass sie gar keine Alternative zulassen und auch keine öffentliche Diskussion“. Mit Eurobonds werde nicht nur die Marktwirtschaft verlassen, es würden auch zwischenstaatliche Konflikte heraufbeschworen. Eine solche Politik schaffe keinen Frieden in Europa. „Es hat noch nie so viel Unfrieden gegeben in Westeuropa wie heute. Der Euro hat die Länder Südeuropas in eine zum Teil ausweglose Situation in der Wettbewerbsfähigkeit gebracht. Das, was das Friedensprojekt sein soll, erwies sich als Projekt maximalen Unfriedens. Das wird bei den Eurobonds erst recht so sein. Weil wir aus Nachbarländern, befreundeten Ländern, Gläubiger und Schuldner machen. Und Gläubiger und Schuldner gehen nie besonders nett miteinander um.“

Besonders problematisch sei die Rettung der Banken. Mit 9.300 Milliarden Euro übersteige ihre Verschuldung die europäischen Staatsschulden (3.400 Milliarden Euro) erheblich. Für Abschreibungsverluste dürfe nicht der Steuerzahler aufkommen, vielmehr müsse das jeweils betroffene Vermögen herangezogen werden (Debt-Equity-Swaps). Da in Europa ein Ausgleichssystem fehle, forderte Sinn, das Geldsystem nach amerikanischem Muster zu organisieren: „Das System in Amerika funktioniert. Das führt dazu, dass sich die Zinsen regional ausspreitzen. Wenn irgendwo Geld gebraucht wird, muss man sich das am Kapitalmarkt besorgen, und man kann es sich nicht aus der Druckerpresse ziehen.“ Eine Lösung könnten Pfandbriefe sein. Der amerikanische Bundesstaat New York überwand 1975 auf diese Weise eine Finanzierungskrise. Auch Finnland ging in den 90er Jahren diesen Weg. Der griechische Staat verfüge über ein Immobilienvermögen im Umfang des Wertes eines Sozialprodukts. Ebenso interessant für Pfänder könnten Gasfunde in der Ägäis sein. Pläne für die sogenannten „Covered Bonds“ seien in Vorbereitung. Schon vor zwei Jahren sei auf einer Konferenz in Griechenland darüber diskutiert worden. „Aber solange das Geld aus Europa fließt, muss man diese Kugel, die man noch hat, nicht einsetzen.“

Aus deutscher Perspektive sei der Euro keinesfalls eine Erfolgsgeschichte: „Das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf war 1995 beim Gipfel in Madrid, als der Euro angekündigt wurde, an dritter Stelle im Euro-Raum und jetzt sind wir an siebter Stelle. Wir sind also dramatisch bei der Wirtschaftsleistung pro Kopf zurückgefallen.“ Dennoch hält Sinn nichts davon, aus dem Euro auszusteigen oder ihn ganz aufzugeben. Der Ausweg liege vielmehr im temporären Austritt peripherer Euro-Länder und damit in einer Verdichtung der Eurozone auf einen harten Kern. Je früher, desto besser. Die Konsequenzen fürchtet er weniger. Seit dem Zweiten Weltkrieg habe es weltweit über 180 Staatskonkurse gegeben. „Die Welt dreht sich immer noch“, versicherte Sinn.

Dr. Christina M. Arndt