Wie deutsch ist ein Luxusauto?

Presseecho, Handelsblatt Weekend Journal, 27.01.2006, S. 5

"Der Kunde schaut bei Porsche nicht auf die Zulieferkette"

Von Dieter Hintermeier

Porsche & Co. stehen für Lifestyle und nicht für den Industrie-Standort, sagt Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer im Interview.

FRANKFURT. Damit macht man sich eine Firma zum Gegner. "Autoprofessor" Ferdinand Dudenhöffer erklärt, bei Porsche herrsche eine "Basarökonomie"; ein Ausdruck, den der Wirtschaftsforscher Hans-Werner Sinn geprägt hat und für die er als Beispiel zuerst den Porsche Cayenne, dann aber den VW Touareg genannt hat. Sinn wurde für seine These schon von Norbert Walter, Chefvolkswirt der Deutschen Bank, gescholten: "Alle . . ., die Händler sind, wissen, dass man im Basar selten arm wird . . . Auch ein Herr Sinn redet manchmal Unsinn." Angesichts der steigenden Leistungsbilanzüberschüsse stimme es nicht, dass die Deutschen das, was sie exportierten, bereits vorher importiert hätten. Dudenhöffer erklärt aber nun, der deutsche Fertigungsanteil beim Porsche-Modell Cayenne liege nur bei 33 Prozent und nicht wie vom Hersteller behauptet bei 55 Prozent. Bei dieser Rechnung geht Dudenhöffer davon aus, dass 88 Prozent des Cayenne-Produktionswerts in Pressburg erstellt werden, zwölf Prozent direkt bei Porsche. "Und von den in Bratislava verbauten Teilen werden nur 21 Prozent in Deutschland gefertigt", erläutert er weiter. Auch wenn man die Entwicklungskosten der deutschen Seite hinzurechne, habe dies nur marginale Auswirkungen: "Rund 1 400 Euro stecken in jedem verkauften Cayenne."

Weekend Journal: Hat Ihnen Porsche-Chef Wendelin Wiedeking schon den Kopf gewaschen, weil Sie an seinen Bekenntnissen zum Standort Deutschland gekratzt haben, indem Sie sagen, Porsche lasse Erfolgsmodelle zum großen Teil im Ausland produzieren?

Ferdinand Dudenhöffer: Den Kopf kriege ich von meinem Friseur gewaschen - und von sonst niemandem. Wiedeking macht bei Porsche einen tollen Job. Da gibt es nichts dran zu deuteln. Allerdings ist er mit Sicherheit nicht der Retter von Deutschland. Auch wenn er sich noch so gern in dieser Rolle gefallen würde. Tatsache ist, dass wesentlich weniger deutsche Wertschöpfung im Porsche Cayenne steckt als der Eindruck, den Wiedeking vermittelt.

Was ist daran verwerflich?

Nichts. Absolut gar nichts. Ganz im Gegenteil. Porsche hat eine sehr effiziente Unternehmensstrategie, bei der die Abgabe von Kapazitätsrisiken an andere Unternehmen im Ausland, wie etwa VW in Bratislava oder Valmet in Finnland, eine wichtige Rolle spielt. Nur - dazu kann man doch stehen. Wiedeking provoziert jedoch mit Sprüchen wie "Porsche nimmt keine Stütze" und macht andere wie BMW madig. Da muss er sich schon gefallen lassen, dass man einfach mal nachrechnet.

Was macht denn den Einkauf im Ausland so charmant?

Die vielfältigen Auflagen in Deutschland bescheren uns Kostennachteile. Arbeits- und energieintensive Produkte, die im Weltmarkt wettbewerbsfähig sein und gegen die Toyotas dieser Welt antreten sollen, lassen sich da nur mit niedrigem Deutschland-Anteil herstellen.

Wie funktioniert das?

Ein Großteil der Komponenten und Module - also Zulieferteile - wird in Osteuropa produziert. Der überwiegende Produktinhalt kommt daher aus dem Ausland. In Deutschland wird am Montageband dann eine Art Hülle darüber gestülpt. Oder wie beim Cayenne, bei dem in das fast komplett in Bratislava gefertigte Auto noch der Motor eingeschraubt wird.

Aber Cayenne und Boxster gelten gleichwohl als deutsche Lifestyle-Karossen?

Die Zeit des "Made in Germany" ist schon lange vorbei. "Made in Germany" interessiert keinen Menschen. Was interessiert, ist "Made by Porsche" oder " Made by Mercedes". Die Unternehmensmarken stehen im Mittelpunkt. Cayenne und Boxster sind als Porsche positioniert. Genauso wie die M-Klasse als Mercedes oder der X5 als BMW. Ob die in den USA oder Deutschland produziert werden, interessiert keinen Kunden. Also, Porsche steht für Lifestyle - und nicht Deutschland.

Wie schafft es Porsche, die Qualität zu halten?

Die Basarökonomie hat keinerlei Qualitätsbeeinträchtigungen zur Folge. Das kann man am besten an Toyota sehen. Der Avensis wird in der Türkei produziert, der Aygo in Tschechien, Motoren in Polen, der Yaris in Nord-Frankreich. Eine große Zahl von Zulieferern steuert dazu bei. Überall die gleiche Toyota-Qualität. Nicht der Standort ist entscheidend, sondern die Prozesse. Und die kann man sauber exportieren.

Welche (Länder)Hände durchläuft denn ein Porschemodell?

Wenn wir jetzt jedes Teil und jeden Werkstoff im Porsche berücksichtigen, kann das kein Mensch mehr sagen. Platinen für Steuergeräte kommen möglicherweise aus China, die Software für Steuergeräte zum Teil aus Indien oder Schwieberdingen, Reifen möglicherweise aus Rumänien, Kabelbäume werden mit viel Handarbeit in der Ukraine gebaut, Kolben werden von Mahle in Deutschland, aber auch in Osteuropa mit Aluminium gegossen, das aus Kanada kommt, Radsensoren aus Ungarn oder Deutschland. Wir haben eine sehr weit verästelte globale Wertschöpfungskette.

Wie viel spart Porsche dadurch?

Das ist jetzt sehr schwer zu schätzen - einfach, weil es keine Vergleichsmöglichkeiten gibt. Wir wissen nur, dass es erheblich ist und Porsche - genauso wie andere Autohersteller - ohne das internationale Zuliefernetz nicht wettbewerbsfähig wäre. Ohne Basarökonomie wäre Porsche im Vergleich zu BMW, Mercedes, Audi oder Jaguar in den Preissegmenten 40 000 bis 100 000 Euro zu teuer.

Immerhin, Porsche weist bei der Rendite alle Mitbewerber in die Schranken.

Das ist richtig. Porsche macht 18 Prozent Umsatzrendite. Im Klartext, von 100 Euro Umsatz bleiben stolze 18 Euro vor Steuern in der Kasse. BMW und Toyota liegen bei sechs Prozent Umsatzrendite; Jaguar ist blutrot.

Was halten Sie vom viertürigen Porsche, der bald produziert werden soll? Bereichert er das Programm, oder wird die Modellpalette bald etwas unübersichtlich und die Einzigartigkeit geht verloren?

Es ist sehr wichtig, dass dieses Fahrzeug Eigenständigkeit zeigt und deutlich Porsche zum Ausdruck bringt. Nach meiner Meinung deutlicher als der Cayenne. Viertürer als Coupés liegen ja im Trend. Das Fahrzeug-Konzept ist also geeignet. Aston Martin hat in Detroit eine sehr schöne Studie gezeigt, die vor Porsche im Markt sein wird. Mercedes hat mit dem CLS einen Klassiker geschaffen. Und BMW wird bald mit einer Art X-Version des 6er Coupés im Markt sein. Also, das Segment ist schon da. Die Frage ist, wie groß dieses Segment sein wird, wenn Porsche in den Markt kommt. Durch seine Strategie, in größere Stückzahlen zu gehen, verliert Porsche an Exklusivität. Ferrari, Lamborghini, Aston Martin werden mehr Raritäten-Charakter haben. Aber das hat Wiedeking mit einkalkuliert.

Welche Strategie verfolgt denn dabei Ferrari?

Ferrari hat eine reinrassige Sportwagen-Strategie und ist mit drei Grundmodellen im Markt: dem F430, dem 575M Maranello und dem 612 Scaglietti. Und dann gibt es noch den Enzo. Aber mit seinem Basispreis von 645 000 Euro sollte man da nicht von Grundmodell sprechen.

Lässt Ferrari auch bei Zulieferern produzieren?

Ferrari montiert seine Fahrzeuge in Maranello. Wie bei Porsche werden auch bei Ferrari wesentliche Zulieferteile rund um den Erdball bei High-Tech-Lieferanten eingekauft. Auch bei Ferrari ist die Wertschöpfung damit überschaubar.

Würden Sie gern einen "Basar-Boxster" fahren?

Es gibt keinen "Basar-Boxster", sondern nur den Boxster. Der Kunde schaut nicht nach der Zulieferkette, sondern beurteilt das Fahrzeug nach seinen Fahrleistungen, seiner Verarbeitung, seinem Design, seiner Marke und seinem Preis.