„Auch Österreich muss in der Realität aufwachen“

Der Top-Ökonom analysiert die breit gefächerten Folgen des russischen Angriffskrieges und der EU-Sanktionen

Der Kurier, 5. März 2022, Nr. 64, S. 8-9.

Mit dem deutschen Wirtschaftsexperten sprach der KURIER über die Machtverschiebung Richtung China, die Renaissance der Atomkraft sowie die nötige Zinsanhebung durch die EZB gegen die hohe Inflation.

Herr Professor, Konzerne von Airbus bis Volkswagen kappen ihr Russlandgeschäft. Folgt daraus nicht wesentlich mehr Schaden als allein durch die Sanktionen?

Es ist zweifellos beabsichtigt, die russische Wirtschaft schwer zu treffen. Natürlich haben jetzt auch die Firmen kein Interesse daran, ihre Produktionen und Verbindungen aufrecht zu erhalten.

Es wird auch nicht mehr investiert werden, also sehr lange sehr finster bleiben zwischen der EU und Russland ...

Das hängt davon ab, wie lange Herr Putin lebt. Ein Nachfolger wird bestimmt eine Kursänderung versuchen.

Nach grob einer Woche Krieg, wie lautet also Ihre Bestandsaufnahme?

Es ist die schmerzliche Zerstörung großer Hoffnungen. Man würde sich wünschen, dass sich die Ukraine widersetzen kann, aber es fällt schwer, sich das vorzustellen.

Wie tief schneidet sich die EU mit ihrem Wirtschaftskrieg selbst ins Fleisch?

Massiv, denn Russland ist der natürliche Handelspartner Westeuropas. Russlands Rohstoffe und Westeuropas Industrieproduktion passen perfekt zusammen. Dieser Handel ist für beide Seiten nützlicher als ein Handel zwischen ähnlichen Ländern mit ähnlichen Produkten. Es werden zwar Autos zwischen beiden Seiten des Atlantiks hin und her verkauft. Aber nur, weil die Transportkosten so niedrig sind. Es ist zu Russland eine politische Grenze entstanden, die ökonomisch widersinnig ist. Aber so ist es nun einmal, die Ökonomie muss sich den politischen Verhältnissen fügen.

Es herrscht also Blockbildung USA-EU auf der einen, Russland-China auf der anderen Seite: Verabschieden wir uns soeben von der Globalisierung?

Nicht wirklich. Russland ist auch nur ein Land und gar kein so wirtschaftlich starkes. Was man aber sehr wohl sieht, ist ganz klar eine Machtverschiebung Richtung China. Die Ressourcen, die die Russen jetzt nicht mehr in Westeuropa verkaufen können, ob das jetzt Metalle aller Art sind, oder Kohle, Öl oder
Erdgas, die verkaufen sie nach China, und das hilft den Chinesen ungemein.

Weil China einen so hohen Energiebedarf hat ...

Ja, das zeigt auch das große Problem der europäischen Umweltpolitik. Wir Europäer verzichten hier freiwillig auf Brennstoffe, für die es einen Weltmarkt gibt. Und indem wir das tun, drücken wir den Weltmarktpreis dieser Brennstoffe und fördern damit die Nachfrage in anderen Teilen der Welt – auch in China und Co. Kurzum: Dem Klima hilft unsere Politik nicht, wohl aber unseren Konkurrenten auf den Weltmärkten.

Wenn Kohle und Atomstrom in der EU eine Renaissance erleben, ist das auch gleichzeitig das Ende für die Energiewende?

Der gute Teil der jetzigen Entwicklung ist ja, dass die Atomkraft eine Renaissance erlebt. Das Abschalten der Atomenergie in Deutschland habe ich schon immer für einen schweren Fehler gehalten. Die Atomenergie macht uns unabhängiger vom Energieimport aus anderen Ländern und ist CO2-frei. Grüne Energie in Form von Windund Solarenergie kann ja nicht im Netz verwertet werden, wenn es keine regelbare, konventionelle Energie gibt, die Dunkelflauten mit Strom ausfüllt. Im schlechteren Fall ist das Kohle oder Gas, im fürs Klima günstigeren die Atomenergie.

Was machen Länder wie Österreich, die nie Atomstrom wollten?

Auch Österreich muss langsam in der Realität aufwachen.

Apropos Realität: Russland wurde auf Ramsch-Niveau gestuft. Ist eine Pleite denkbar?

Das ist denkbar, weil man den Russen die Devisenreserven eingefroren hat. Das hat dramatische Konsequenzen, weil die russische Notenbank nicht mehr in der Lage ist, eine Rubel-Abwertung zu bekämpfen. Die Notenbank müsste in der jetzigen Situation ja Rubel aufkaufen, und zwar mit ihren Devisen-Reserven. Aber an ihre Dollarund Euro-Reserven kommt sie eben nicht mehr heran.

Diese Isolation der russischen Zentralbank gilt also nicht zu Unrecht als das Herzstück der Sanktionen.

Genau. Die Russen sind jetzt schon in einer ähnlichen Situation wie England 1992, als George Soros gegen das britische Pfund spekulierte. Er wusste ganz genau, dass er mehr Pfund hatte, als die britische Notenbank Dollars hatte. Soros hat das Pfund solange runter getrieben und die Notenbank hat solange Pfund nachgekauft, bis sie keine Dollar mehr hatte. Dann brach der Kurs zusammen und wir hatten die erste große Krise des europäischen Währungssystems noch vor der Euro-Einführung. Dort steht Russland jetzt schon.

Sollte man den Importstopp für Russen-Gas erwägen?

Nein, wir würden uns selbst mehr schaden als den Russen. Polen kann so etwas fordern, weil sie auf Kohle setzen. Die Franzosen können das sagen, weil sie Atomkraft haben oder die Amerikaner mit ihrem Öl aus Schiefergestein. Aber Deutschland und Österreich sind abhängig vom russischen Gas und teils vom Öl.  Man kann nicht Österreich in die Knie zwingen, um den Russen zu schaden. Das wäre ein zu hoher Preis.

Rechnen Sie mit einer Rezession aufgrund der Auseinandersetzung mit Moskau?

Nein, die Wirtschaft wächst weiter, auch Flauten sind dadurch gekennzeichnet, dass man langsamer wächst und nicht schrumpft. Das Problem ist: Wir stecken in Wahrheit seit 2020 durch Corona und den Lockdowns in einer Phase der Stagflation, in der das Angebot stagniert, während die Güternachfrage kräftig wächst.

Das bedeutet?

Die Firmen konnten nicht produzieren, weil sie keine Arbeiter, keine Vorprodukte bekamen, weil die chinesischen Häfen unter Quarantäne standen und so fort. Der Welthandel brach zusammen. Und jetzt hat uns die Politik einen Strich durch die Rechnung gemacht. Eigentlich dachte man, das war’s jetzt, das Virus verabschiedet sich. Stattdessen taumeln wir von der einen Krise in die nächste.

Was muss die EZB tun, um die Inflation zu bekämpfen, aber das Wachstum nicht völlig abzuwürgen?

Die EZB muss jetzt bremsen. Wenn sie die Zinsen anhebt, bremst sie die schädliche Überschuss-Nachfrage, die inflationär ist. Die Staaten würden sich auch weniger verschulden. Das wäre eine wirksame Anti-Inflationspolitik, die ansonsten unschädlich ist. Man muss nicht befürchten, dass daraus eine Bremswirkung für die Realwirtschaft entsteht, weil die Realwirtschaft die überbordende Nachfrage ohnehin nicht befriedigen kann. Die Geldpolitik ist nur dann in der Lage, die Realwirtschaft zu bremsen, wenn die Nachfrage und nicht wie heute das Angebot der begrenzende Faktor ist.

Braucht es einen Schutzschirm für einzelne Branchen? In Österreich wurde das im Zusammenhang mit den stark in Russland engagierten Banken debattiert ...

Eventuell. Da es politische Aktionen sind, unter denen die Banken leiden, wird der österreichische Staat wohl helfen müssen. Die schlechteste Form ist, ihnen einfach Geld zu schenken. Wenn schon Eigenkapital zur Verfügung gestellt werden muss, dann sollte der Staat als Gegenleistung Anteilsrechte bekommen.

Abschlussfrage: Was sagt Ihr Gefühl, wie geht es mit Russland weiter?

Da kann alles Mögliche passieren, wenn ich beispielsweise an die Putsch-Versuche denke, an die ich mich noch lebhaft erinnere. Russland ist kein stabiles Land. Seine Regierung sitzt auf einem Pulverfass und könnte versuchen, es zu uns herüberzurollen, statt selbst in die Luft zu gehen.

Das Interview führte Michael Bachner.

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