Gute und schlechte Spekulation

Die meisten Spekulanten sind nützlicher als viele meinen. Allerdings sollte man sie zwingen, ihre Geschäfte mit mehr Eigenkapital zu unterlegen, sagt Hans-Werner Sinn.
Autor/en
Hans-Werner Sinn
Wirtschaftswoche, 20.07.2009, Nr. 30, S. 34

Viele machen die Spekulation dafür verantwortlich, dass der Ölpreis in letzter Zeit Kapriolen geschlagen hat. Da das Handelsvolumen auf den Terminmärkten um Zehnerpotenzen größer ist als die Fördermenge, so eine häufig zu hörende These, sei der Ölpreis heute eine rein spekulative Größe, auf die weder Förderländer noch Endnachfrager einen maßgeblichen Einfluss haben. Die Zocker vor den Bildschirmen destabilisierten die Märkte und damit die ganze Welt. Man müsse ihnen das Handwerk legen.

Aber so einfach ist es nicht. Zum einen ist die Terminspekulation das notwendige Korrelat der Absicherungsgeschäfte, die die Wirtschaft braucht, um längerfristige Planungssicherheit herzustellen. Ein Verbot dieser Spekulation würde der Realwirtschaft großen Schaden zufügen. Zum anderen kann die Terminspekulation die laufenden Preise in aller Regel gar nicht beeinflussen, weil sich die damit verbundenen Geschäfte auf dem Kassamarkt ausgleichen. Wenn beispielsweise Händler Öl auf dem Terminmarkt verkaufen, dann werden sie in der Regel das Öl erst zum vereinbarten Liefertermin kaufen. Sie zweigen also einen Teil der Fördermenge für ihr Geschäft ab und geben genau diese Menge wieder in den Markt zurück. Sie haben damit zwar einen Einfluss auf den Terminkurs, nicht aber auf den Kassakurs, also den laufenden Marktpreis.

Um einen Einfluss auf den laufenden Marktpreis auszuüben, müssen die Spekulanten das Öl früher kaufen, als sie es liefern, doch dafür brauchen sie physische Lagerkapazität. Nur in dem Maße, wie sie über solche Kapazität verfügen, können sie den Preis beeinflussen. Das bloße Herumzocken am Bildschirm ist irrelevant. In der Tat wird mit einer Veränderung der Lagerkapazitäten munter spekuliert. Die großen Ölkonzerne verfügen über umfangreiche Lager, die sie spekulativ bewegen, und auch die Schiffe auf den Ozeanen sind riesige Tanklager. Derzeit bummeln auf den Weltmeeren viele voll beladene Öltanker herum und liefern ihre Ladung nicht ab, weil die Eigentümer der Ladung auf höhere Preise warten.

Diese Spekulation ist aber nicht schlecht, sondern gut. Im Normalfall hilft sie, die Preisausschläge zu glätten, denn ein Spekulant macht dann einen Gewinn, wenn er das Öl billig kauft und teuer verkauft. Wenn der Preis niedrig ist, wie heute, kauft er das Öl und erhöht so den Preis. Und wenn der Preis hoch ist so wie noch vor einem Jahr, verkauft er das Öl und senkt den Preis. Je größer die Gewinne der „Lager-Spekulanten“ sind, desto stärker ist die Stabilisierungswirkung, die sie entfalten.

Zu den Spekulanten, die so agieren, gehört vor allem auch die Opec, denn sie verfügt ja über riesige Lagerkapazitäten in Form der Bodenschätze selbst. Die Rezession hat die Nachfrage nach Öl im letzten Jahr dramatisch reduziert, und bevor die Fördermengen reagieren konnten, hat das die Preise gedrückt. Dann aber haben die Ölförderländer ihr Angebot reduziert und damit die Preise im Frühjahr 2009 wieder hochgedrückt. Auch die Opec gehört zu den stabilisierenden Spekulanten. Der Vertreter der Vereinigten Arabischen Emirate bei der Opec, Ali Obaid Al-Yabhouni, hatte im Mai auf dem Munich Economic Summit gesagt, man müsse die Opec ähnlich wie die Zentralbank als eine Institution sehen, die die Weltwirtschaft stabilisiert. Damit hatte er gar nicht so unrecht.

Dessen ungeachtet gibt es auch destabilisierende Spekulation. Sie hat stets damit zu tun, dass Spekulanten sich Bargeld oder das Spekulationsobjekt leihen, um so eine große Hebelwirkung auf den Markt entfalten zu können. Das ist aus zwei Gründen problematisch. Zum einen, weil die Spekulanten dann in der Regel Risiken eingehen, für die sie selbst gar nicht geradestehen können, wenn sie sich verspekulieren. So sind die institutionellen Großspekulanten meistens unterkapitalisierte Institutionen beschränkter Haftung, die im Falle des Fehlschlags zwar pleitegehen, dann aber nur einen Teil der Verluste, die sie erzeugen, selbst tragen können. Zum anderen ist die Hebelwirkung problematisch, weil der einzelne Spekulant auf diese Weise Marktmacht ausüben, also selbst das Preisniveau am Markt beeinflussen kann. Wann immer die bewegten Mengen so groß sind, dass ein einzelner Spekulant die Preise verändern kann, ist etwas faul. Andere werden übervorteilt, und vor allem versagt der Markt bei der Aufgabe, wirtschaftliche Effizienz und Stabilität herzustellen.

Klare Beispiele für Marktversagen sind im Zusammenhang mit Leerverkäufen deutlich geworden. Man leiht sich große Mengen eines Vermögensobjektes, wirft diese Mengen auf den Markt, drückt den Preis, ruft über Herdeneffekte Panikverkäufe aus, die den Preis noch mehr drücken, und kauft das Objekt dann billig zurück, um es einschließlich der Leihgebühr an den Ausleiher zurückzugeben. Das hat Lehman Brothers kaputt gemacht, und damit hat Georges Soros das Pfund geknackt. Solcherlei Aktivitäten sind schädlich für die Stabilität der Wirtschaft. Man muss sie eindämmen. Leerverkäufe sollte man strikt begrenzen, wenn nicht gar verbieten. Am wirksamsten ist es jedoch, wenn man alle Spekulanten zwingt, ihre Geschäfte mit wesentlich mehr Eigenkapital zu unterlegen, als das bislang der Fall war, sodass sie für die möglichen Verluste auch aufkommen können.

Das begrenzt die Ausübung von Marktmacht durch Leverage und erzeugt wieder mehr Vorsicht. Der Kasino-Kapitalismus hat sich ausbreiten können, weil das Rechtsinstitut der beschränkten Haftung auf dem Wege der Minimierung der Eigenkapitalquoten auf breiter Front künstliche Risikovorliebe hervorgerufen hat. Diesen Effekt muss man eindämmen, doch sollte man sich hüten, das Kind mit dem Bade auszuschütten. Spekulanten sind nützlicher, als viele es meinen.