Der Dinosaurier und seine Thesen

Der Naturschutzbund Deutschland verlieh dem Ifo-Präsidenten den Preis "Dinosaurier des Jahres 2009". Hier seine Antwort
Autor/en
Hans-Werner Sinn
Süddeutsche Zeitung, 25.01.2010, Nr. 19, S. 16

Seit Ende 2009 schmückt ein besonderer Preis mein Arbeitszimmer: die Nachbildung einer Riesenechse. Sie wurde mir vom Naturschutzbund Deutschland für mein Buch "Das grüne Paradoxon" und meine Artikel zu Energiepolitik und Klimaschutz verliehen. Ich bedaure, dass mir der Nabu den Preis nicht persönlich überreichen wollte.

Der Symbolgehalt des Preises ist eindeutig. Dinosaurier stehen für die Unfähigkeit, sich an die veränderte Umwelt anzupassen. Deshalb sind sie vor etwa 65 Millionen Jahren ausgestorben. Ähnlich dem Untergang geweiht seien auch meine Argumente, will der Preis wohl ausdrücken. Ich stünde, behauptet der Nabu, für "veraltete Theorien vom alles regulierenden Markt". Aber Dinosaurier sind hartnäckig und langlebig. Immerhin haben sie zehnmal so lange gelebt wie der Mensch seit seiner Abspaltung vom Affen. Insofern nehme ich den Preis gerne an. Aber der Nabu sollte mir nun auch zuhören. Noch werden keine Paläontologen gebraucht, um aus den Funden meiner alten Knochen Rückschlüsse auf mein Leben und Wirken zu ziehen.

Mir geht es wie dem Nabu um wirksamen Klimaschutz. Die Menschheit muss den Ausstoß an Kohlendioxid in der Tat drosseln. Und sie braucht dazu auch den grünen Strom, der aus Wasser, Windkraft und Sonnenenergie erzeugt wird. Nur müssen die Instrumente, mit denen eine Verhaltensänderung veranlasst werden soll, auch wirken und ethisch vertretbar sein. Leider hapert es genau da.

Dino-These 1: Das Erneuerbare-Energien-Gesetz senkt nicht den Ausstoß von Kohlendioxid, wohl aber den Lebensstandard der Deutschen.

Deutschland hatte gehofft, seine Förderung des grünen Stroms auf Europa übertragen zu können. Aber die EU entschied sich für einen anderen Weg: den Emissionshandel. Den Kraftwerken werden Emissionsrechte zugeteilt, die über die Börse in Leipzig frei handelbar sind. Damit ist das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) überflüssig. Es sorgt dafür, dass in Deutschland der fossile Strom zum Teil durch grünen Strom verdrängt wird. Deshalb brauchen die deutschen Kraftwerksbetreiber weniger Emissionszertifikate. Ihre überschüssigen Zertifikate verkaufen sie zu fallenden Preisen an andere EU-Länder. Dadurch erhöht sich der Ausstoß an Kohlendioxid in diesen Ländern genau in dem Umfang, wie er in Deutschland fällt. Was für die Umwelt erreicht wird, hängt allein davon ab, wie viele Emissionsrechte die EU verteilt. Die Einspeisetarife des EEG leisten keinerlei zusätzlichen Beitrag. Sie machen den Strom in Deutschland nur teurer - und in anderen Ländern billiger.

Dino-These 2: Die deutsche Energiepolitik erhöht in Europa den Widerstand gegen erneuerbare Energien.

Das EEG sorgt dafür, dass der Preis für Emissionsrechte sinkt. Deshalb haben andere europäische Länder einen geringeren Anreiz, ebenfalls in erneuerbare Energien zu investieren. Die Windflügel und Solardächer, die in Deutschland zusätzlich aufgestellt werden, verhindern Windflügel in der Bretagne und Solarstromanlagen in Andalusien. Der grüne Strom wird unnötig teuer erzeugt, und die Umweltforschung wird in die falsche Richtung gelenkt. Der Widerstand der europäischen Bevölkerung gegenüber einer weiteren Reduktion der Emissionsrechte vergrößert sich.

Dino-These 3: Alleingänge Europas beim Klimaschutz sind nutzlos.

Die gesamt EU-Klimapolitik lief darauf hinaus, die Nachfrage nach fossilen Brennstoffen zu senken, was deren Preise verringerte. Da die Preise dennoch weit über den Produktionskosten lagen, fiel die Produktion der fossilen Brennstoffe nicht. Die in der EU freigegebenen Mengen wurden in Amerika, China und anderen Ländern verbrannt und erhöhten dort den CO 2-Ausstoß. Je mehr Schlote die Europäer außer Betrieb nahmen, desto mehr kamen im Rest der Welt dazu.

Dino-These 4: Die Ankündigung der grünen Politik hat die Erderwärmung beschleunigt.

In den vergangenen drei Jahrzehnten wurde intensiv über grüne Energieoptionen und über Maßnahmen diskutiert, den Verbrauch fossiler Brennstoffe zu drosseln. Dies kam aus der Sicht der Kohlebarone und Ölscheichs einer angekündigten Vernichtung ihrer Märkte gleich und veranlasste sie zu Angstverkäufen. Dadurch wurden die Preise der fossilen Brennstoffe abermals gedrückt. Die Länder, die nicht durch das Kyoto-Protokoll gebunden waren, verbrauchten deshalb auch noch jene Mengen, die die Ressourceneigentümer aus Angst vor der grünen Politik zusätzlich aus dem Boden holten. Das ist das grüne Paradoxon, das meinem Buch den Namen gab.

Dino-These 5: Ein weltweiter Emissionshandel würde helfen.

Wirksame Umweltpolitik verlangt, dass sich alle Länder zur Einschränkung des Verbrauchs fossiler Brennstoffe verpflichten. Das kann geschehen, indem der Emissionshandel der UN, der 30 Prozent des Weltausstoßes erfasst, auf 100 Prozent ausgedehnt und nach EU-Vorbild weiterentwickelt wird. Dazu müssen USA, China und Indien ins Boot kommen. Angenehmer Nebeneffekt wäre, dass ein Teil der Einnahmen der Ressourceneigentümer an die nationalen Finanzminister umgeleitet würde. Die Ressourcenländer hätten geringere Einnahmen, die Verbraucherländer niedrigere Energiekosten - und die Erderwärmung schritte langsamer voran.

Dino-These 6: Der Biosprit hat die Welthungerkrise verursacht.

Salatöl kann man in den Tank schütten, nicht aber Erdöl an den Salat. Deshalb waren die Märkte für Nahrungsmittel und Brennstoffe lange getrennt. Im Boom der Jahre 2006 bis 2008 hatte der Ölpreis erstmals ein Niveau erreicht, das die Verkoppelung der Märkte ermöglichte. 30 Prozent der amerikanischen Maisernte wurde an die Hersteller von Biosprit verkauft. Das führte zur Verdoppelung der Preise für die wichtigsten Grundnahrungsmittel und verursachte Hungerproteste in 37 Ländern. Die amerikanische Politik hat die Verkoppelung von Öl- und Nahrungsmittelmarkt durch Zuschüsse für den Aufbau einer Infrastruktur zur Ethanol-Verarbeitung erleichtert. Wir Deutschen sollten uns hüten, diesem Weg zu folgen.

So weit die Hauptthesen des Dino. Hoffentlich muss ich auf eine seriöse Diskussion nicht warten, bis meine Knochen verblichen sind.

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