„Amerika gerät in Konkursgefahr“

Die USA leben seit Jahrzehnten auf Pump. Ökonom Hans-Werner Sinn sagt, was Trump richtig erkannt hat – und was Europa droht.
Hans-Werner Sinn

 Aargauer Zeitung, 6. Juni 2025, Nr. 129, S. 3.

Aargauer Zeitung: Sie haben früh darauf hingewiesen, wie gefährlich die Staatsverschuldung der USA ist. Jetzt reden plötzlich alle darüber. Wie lange kann es mit dieser Schuldenwirtschaft noch gut gehen?

Hans-Werner Sinn: Nicht mehr lange. Die Amerikaner müssen jetzt, wo es zum Thema geworden ist, reagieren. Die Zolloffensive ist eine dieser Reaktionen. Nur klappt das nicht so, wie sie sich das vorgestellt haben.

Steht Amerika vor dem Bankrott?

Aber die Konkursgefahr hat sich definitiv vergrössert. Die Amerikaner müssen etwas tun, um die Situation zu entkrampfen. Trump hat erkannt, dass das Leistungsbilanzdefizit reduziert werden muss. Es kann auf Dauer nicht sein, dass Amerika immer weniger Fabriken und dafür immer vollere Einkaufstempel hat, wo die Leute auf Pump importierte Produkte shoppen können.

Was ist das Wichtigste, was ein Staat in dieser Situation machen sollte?

Den Gürtel enger zu schnallen. Kein Land kann dauerhaft über seine Verhältnisse leben. Die amerikanische Volkswirtschaft hat sich über Jahrzehnte hinweg zur Finanzierung einer negativen Leistungsbilanz massiv im Ausland verschuldet. Das betrifft nicht nur den Staat, sondern alle Sektoren zusammen, auch die privaten Haushalte.

Diese Feststellung ist nicht neu, trotzdem ist die Rechnung bislang immer aufgegangen. Vielleicht liegt das an der Sonderstellung des Dollars, der ja international die unbestrittene Leitwährung ist. 55 bis 60 Prozent aller weltweiten Devisenreserven sind in Dollar.

Diese Sonderstellung hat die Verschuldung erleichtert und verstärkt, weil sie für eine hohe Bonität stand. Der Bogen ist aber überspannt. Das Schuldenmachen wird für die Amerikaner teurer und teurer. Moody’s – eine amerikanische Rating-Agentur – hat die Bonität des amerikanischen Staates zurückgenommen, sie haben jetzt kein AAA mehr. Moody’s hat es sich gewiss nicht leicht gemacht, den eigenen Staat herabzustufen. Das war längst überfällig, aber jetzt mussten sie es tun, sonst hätten sie ihre eigene Glaubwürdigkeit verloren.

Wird das Leben auf Pump nun als Bluff entlarvt?

Der Kapitalmarkt sendet diese Signale aus. Wenn sich die Bonität Amerikas verschlechtert, steigen die Risikoprämien beim
Zins. Schauen Sie, der amerikanische Staat gibt inzwischen bereits je nach Rechnung 12 bis 13 Prozent seiner Ausgaben für
Zinszahlungen aus, das ist wesentlich mehr als etwa die 2 Prozent, die Deutschland hat. Die Schweiz hat noch weniger.

Die Schulden der USA sind, gemessen am BIP, kaum höher als in Frankreich. Dramatisieren Sie?

Die USA liegen mit 123 Prozent neun Prozentpunkte über Frankreich. Eine solche Schuldenquote bedeutet bei der grössten Volkswirtschaft der Welt eine ungeheure Summe. Auch Frankreich hat Probleme, aber seine Bonität wird durch die europäischen Systeme der Gemeinschaftshaftung gestützt, die im Wesentlichen an Deutschland hängen, allen voran das Eurosystem. Das hilft, die französischen Zinsen zu drücken. Wer hilft aber den Amerikanern? Übrigens: Konkurse auf Gemeindeebene sind in Amerika nicht ungewöhnlich. Auch Staatskonkurse auf Ebene der Bundesstaaten sind möglich.

In Trumps Umfeld zirkulieren Ideen, die einem Schuldenschnitt nahekommen.

Die Frage, die sich Trumps Beratern stellt, lautet: Wie können wir die Bonität Amerikas erhalten, ohne dass es wie ein Konkurs
wirkt? Einer der Vorschläge – von Wirtschaftsberater Stephen Miran – geht sehr weit: Die USA könnten institutionelle Anleger bitten, kurzfristige Staatsanleihen in langfristige umzuwandeln, mit einer Laufzeit von bis zu 100 Jahren. Diese hätten dann sehr niedrige Zinsen. Für eine Nation wie die USA ist das eigentlich unvorstellbar. Dass die Idee dennoch publik wurde, hat an der Wall Street erhebliche Sorgen ausgelöst, zu einer Kapitalflucht geführt und den Dollar gedrückt.

Werden Länder für die US-Schuldenwirtschaft bezahlen müssen?

Die Amerikaner werden versuchen, mit ihren Gläubigern zu verhandeln. Die Chinesen haben bereits einen Teil ihrer US-Papiere abgestossen, bleiben aber wichtige Gläubiger. Sie werden einen Teufel tun, den Amerikanern entgegenzukommen. Bei den Japanern, die
ebenfalls viele US-Staatsanleihen haben, ist das weniger klar.

Das heisst, dass Länder wie die Schweiz, die US-Schuldenpapiere haben, schlechtere Konditionen haben werden?

Wenn eine Anleihe ausläuft, kann man diese dann vielleicht plötzlich nicht realisieren. Deutschland ist zum Glück nur wenig betroffen. Die Schweiz hingegen stärker, ebenfalls Belgien und Frankreich, die grössere Bestände an US-Staatspapieren haben. Möglicherweise werden die Amerikaner sagen: Kauft diese Papiere doch bitte durch eure Zentralbank und nehmt sie in eure Bücher. Aber das ist nur eine Möglichkeit von vielen.

Trump will die Europäer für die Nato bezahlen lassen, für den Krieg in der Ukraine, für die Handelsbilanzdefizite der USA – und nun auch noch für die amerikanischen Staatsschulden?

Es sind Tricksereien, die aufgrund der schwierigen Situation der USA nachvollziehbar, aber nicht schön für den Rest der Welt sind. Amerika muss endlich lernen, mit seinen eigenen Einnahmen auszukommen und nicht mehr auszugeben, als es einnimmt. Jahrzehntelang haben sie unter dem Schutz eines exorbitanten Privilegs gelebt: Sie konnten sich in derjenigen Währung verschulden, die sie
selbst drucken und welche global führend ist. Das funktioniert nur, solange die Gläubiger diese Dollars akzeptieren. Und das ist
immer weniger der Fall.

Die Abwertung des Dollars hat schon eingesetzt.

Ja, das wurde nach dem 28. Februar 2025 deutlich – direkt nachdem der ukrainische Präsident Selenski im Weissen Haus
vorgeführt wurde. Man fragte sich: Was läuft da? Wir wurden Zeugen einer Art Schutzgeld-Erpressung. Trump wollte sich einen beträchtlichen Teil der ukrainischen Bodenschätze sichern, dafür, dass er das Land verteidigt. Als Selenski zögerte zu unterschreiben, hat er ihm die Radarverbindung gekappt.Später hat Selenski dann doch ein ähnliches Abkommen unterschrieben. Wir kennen das Abkommen nicht, es wurde nie veröffentlicht, aber es ist für die Ukraine kaum vorteilhaft.

Was würde passieren, wenn die USA in eine Griechenland-ähnliche Situation kämen? Gäbe das eine grosse weltweite Rezession?

Das kann niemand voraussehen. Aber Tatsache ist: Die negative Nettoauslandsposition der USA, also die Differenz zwischen dem, was Ausländer an Vermögenstiteln in den USA und Amerikaner im Ausland besitzen, beläuft sich auf etwa 26’000 Milliarden Dollar. Und jedes
Jahr kommen über 1000 Milliarden Dollar dazu. Das sind unermesslich grosse Summen.

Die Republikaner setzen stark auf Wachstum – durch Steuersenkungen, Zölle, Deregulierung. Und sie haben alle Macht: Weisses Haus, Kongress, Supreme Court. Könnte mit Wirtschaftswachstum das Schuldenproblem gelöst werden?

Nein, das ist ein grosser Irrtum. Durch noch mehr Verschuldung entsteht nur ein inflationäres Strohfeuer, kein wirkliches Wachstum. Amerika muss endlich den privaten Konsum zurückdrängen, damit mehr vom Sozialprodukt für Investitionen übrig bleibt.

Und wenn es Inflation gibt? Das würde die Schulden kleiner werden lassen.

Inflation bedeutet Geldentwertung – und das führt zu einer sinkenden Schuldenquote. Das ist ein mediterraner Trick, wie ihn Italien und Spanien früher genutzt haben. Aber Wachstum durch Schulden? Das ist ein Mythos.

Wenn Sie Trump beraten könnten – was würden Sie empfehlen?

Es kommt darauf an, ob ich ihn für seinen Wahlerfolg oder für das Wohl des Landes beraten sollte. Für den Wahlerfolg müsste man wohl zu dem raten, was er jetzt tut. Aber für die Nation wäre jetzt eine «Blut, Schweiss und Tränen»-Rede fällig: Der Lebensstil der Amerikaner ist nicht mehr finanzierbar. Man fragt sich ja oft, woher dieser Lebensstandard kommt – überall Malls, aber kaum Fabriken. Das muss sich ändern.

Konsumverzicht und Sparen: Das ist das Letzte, was Trump einfallen würde. Und der letzte republikanische Präsident, der die
Steuern erhöhte – George Bush senior – wurde abgewählt.

Das ist ja das Dilemma der Politik in Demokratien. Die Demokratie ist die beste unter den möglichen Staatsformen. Aber sie neigt nicht zur intertemporalen Rationalität. Jeder will heute profitieren, das dicke Ende verschiebt man. Aber am Ende zahlt jemand. Und das wird nicht Gott sein.

Wir haben über viele düstere Themen gesprochen – gibt es auch etwas, das Hoffnung macht?

Natürlich. Man muss Trump zugutehalten, dass er bestimmte Probleme überhaupt erst thematisiert. Er ignoriert sie nicht einfach oder macht so weiter wie seine Vorgänger. Das Grundproblem liegt ja gar nicht bei ihm, sondern bei denen, die vor ihm im Amt waren. Nur – die Lösungen, die Trump jetzt anbietet, sind für den Rest der Welt nicht sehr angenehm. Er versucht immerhin, einen offenen und ehrlichen Ansatz zu wählen. Das gilt etwa auch für die Ukraine.

Wie meinen Sie das hinsichtlich des Krieges?

Man wirft Trump vor, dass er Putins Argumentation übernimmt – etwa, dass die Nato-Annäherung der Ukraine den Krieg provoziert hat. Trump hält diese Sichtweise für nachvollziehbar und bezeichnet sie sogar als «wahrscheinlich» richtig. Aber: Diese Kurskorrektur könnte in gewisser Weise helfen, sich von ideologischen Positionen zu lösen und zu einem tragfähigen Frieden zu kommen. Ich finde,
darin liegt durchaus eine gewisse Hoffnung.

Das Interview führte Patrik Müller.