Fass ohne Boden

Griechenland soll die Währungsunion verlassen - mit dieser Forderung hat Hans-Werner Sinn für viel Wirbel gesorgt. Hier erläutert er die ökonomischen Hintergründe seines Vorstoßes.
Autor/en
Hans-Werner Sinn
Wirtschaftswoche, 08.03.2010, Nr. 10, S. 42

Griechenland braucht in diesem Jahr 50 Milliarden Euro allein für den Ersatz auslaufender Altschulden - und noch einmal 30 Milliarden Euro für das geplante Defizit. Ohne Hilfen wird es nicht möglich sein, die nötigen Anleihen zu platzieren. Nur, wer soll helfen? Hilfen der EU-Länder sind allenfalls bei Einstimmigkeit möglich. Die Artikel 123 und 124 des Unionsvertrages regeln explizit, dass weder die EU als Ganzes noch einzelne Mitgliedsländer für Schulden einzelner Beitrittsländer haften. Das war Deutschlands Bedingung für den Euro, und damit wurde im Maastrichter Vertrag der vom damaligen Kommissionspräsidenten Delors gewollte Rettungsfonds gekippt. Auf Basis einer Mehrheitsentscheidung darf die EU nach Artikel 122 nur bei "Naturkatastrophen und außergewöhnlichen Ereignissen, die sich seiner Kontrolle entziehen, helfen". Doch dieser Artikel ist nicht anwendbar, weil Griechenlands Probleme hausgemacht sind.

Griechenland hat unter dem Schutz des Euro hemmungslos auf Pump gelebt und seine Schulden verschleiert. Das Land hat sich mit getürkten Statistiken in den Euro hineingemogelt und danach immer weiter geschummelt, bis der EU der Geduldsfaden riss und sie die griechische Statistikbehörde unter ihre direkte Kontrolle stellte. Dank der Verschuldung konnten die Lohnkosten der Staatsbediensteten von 1999 bis 2008 um 62 Prozent schneller als im Durchschnitt der Euro-Zone steigen, die Sparquote auf den niedrigsten Wert der Euro-Zone sinken, die Sozialleistungen um 74 Prozent schneller als die Wirtschaftskraft anwachsen und die Renten nach nur 15 Beitragsjahren auf unglaubliche 111 Prozent des Nettolohns der Beitragszahler steigen. In Deutschland muss man mindestens 35 Jahre arbeiten, um auf 61 Prozent zu kommen. Was in Griechenland geschah, hat wenig mit der Weltwirtschaftskrise zu tun.

Die EU zur Entschuldung Griechenlands einzuschalten wäre ein fundamentaler Paradigmenwechsel, den die großen EU-Länder nicht ohne eine Neuverhandlung des Vertrags von Lissabon mit einer Änderung der Stimmengewichte im EU-Parlament und Ministerrat zulassen dürfen. Wenn die jetzige EU erst einmal das Mandat erhält, Vermögen in Europa umzuverteilen, dann wird es kein Halten mehr geben. Da die gefährdeten Staaten, zu denen neben Griechenland auch Portugal, Spanien, Irland, Belgien und Italien gehören, bei EU-Entscheidungen mit abstimmen, sind massive Vermögensverluste für Deutschland programmiert. Deutschland wird jetzt schon von der griechischen Regierung unter Hinweis auf den Zweiten Weltkrieg erpresst. Man wolle das Thema der Reparationszahlungen noch zurückstellen, bis man sich der Solidarität der EU sicher sei, bekundete der stellvertretende Außenminister Droutsas im "Handelsblatt". Man darf nicht vergessen, dass Deutschland schon heute von jedem von der EU ausgegebenen Euro 20 Cent bezahlt, aber nur 11 Cent zurückerhält. Solange sich die EU auf allokative Aufgaben beschränkte, war das hinnehmbar. Bei der Umverteilung von Vermögen hört der Spaß indes auf. Unser Wirtschaftssystem hat schon durch die Umverteilung zugunsten der neuen Bundesländer einen Knacks erhalten. An einem europäischen Finanzausgleich würde es zerbrechen.

Europäische Eitelkeit verhindert die Hilfe des IWF Insofern wären bilaterale Hilfen für Griechenland besser als gemeinsame EU-Hilfen. Einzelne EU-Länder können, durchaus auch koordiniert, außerhalb der EU-Gremien bilaterale Hilfen gewähren. Wenn es schon deutsches Geld zu verteilen gibt, dann sollte Deutschland auch allein darüber entscheiden. Noch sinnvoller wäre freilich die Einschaltung des Internationalen Währungsfonds (IWF). Dessen Mittel wurden kürzlich auf eine Billion Dollar aufgestockt; davon steht die Hälfte für Länder mit Währungskrisen zur Verfügung. Der IWF hat viel Erfahrung mit der Rettung gefährdeter Länder. Nicht immer war er erfolgreich, aber meistens. Anders als es die EU je könnte, setzt er einen strikten Sparkurs durch und zahlt sein Geld nur in Tranchen nach dem Erfolg der Sparanstrengungen. Wenn die Hilfe des IWF die Eitelkeiten der EU-Politiker verletzt, ist das deren Problem. Die Sachargumente wiegen schwerer. Das Geld für die Griechenland-Hilfe ist eingezahlt, und es ist nicht einzusehen, warum man ein zweites Mal zahlen sollte.

Doch was immer Griechenland an Soforthilfe erhält, das Geld wird nicht reichen. Es tut sich ein Fass ohne Boden auf. Das zentrale Problem des Landes liegt in seinem gigantischen Leistungsbilanzdefizit von zuletzt knapp 14 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, etwa 33 Milliarden Euro pro Jahr. Um das Defizit zu beseitigen, müsste Griechenland abwerten, denn nur so können die Importe reduziert und die Exporte (inklusive des Tourismus) gestärkt werden. Das Land kann innerhalb der Euro-Zone aber nur abwerten, indem es seine Löhne und Preise senkt. Das würde Mord und Totschlag bringen, weil sich jede Gruppe, bei der die Kürzungen anfangen, radikalisiert. So bleibt nur die offene Abwertung durch den Austritt aus der Euro-Zone, gekoppelt mit einem Schuldenmoratorium, das die Ansprüche der Gläubiger kürzt. Die Verluste der deutschen Banken wären ein Klacks im Vergleich zu den Lasten eines europäischen Finanzausgleichs. Eine offene Abwertung machte griechische Produkte billiger, ohne dass sich im Innenverhältnis viel ändern würde. Die sozialen Spannungen blieben beherrschbar. Griechenland würde nachhaltig stabilisiert. Und der Euro auch.