Zehn Regeln zur Rettung des Euro

Europa braucht keine Wirtschaftsregierung, um den Euro zu retten. Es braucht politische und marktwirtschaftliche Mechanismen, um die Verschuldung zu begrenzen. Unabdingbar ist ein Insolvenzverfahren für Staaten. Ein Appell an die Bundesregierung.
Autor/en
Hans-Werner Sinn, Clemens Fuest, Martin Hellwig und Wolfgang Franz
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 18.06.2010, Nr. 138, S. 10

Angesichts der Schwere der europäischen Schuldenkrise und der Radikalität der im Mai beschlossenen Maßnahmen sehen wir uns veranlasst, einen öffentlichen Appell an die Bundesregierung zu richten. Wir definieren Eckpfeiler für die nun anstehenden Verhandlungen zur Neuordnung des Euro-Raums, die nach unserer Einschätzung essentiell für den Bestand der Europäischen Währungsunion sind.

Der Euro ist ein wesentliches Element der europäischen Integration. Er ist aber gefährdet, wenn es nicht gelingt, in Zukunft mehr fiskalische Disziplin durchzusetzen. Europa braucht keine Wirtschaftsregierung, wohl aber politische und marktwirtschaftliche Mechanismen, die die öffentliche und private Verschuldung in den Mitgliedstaaten wirksam begrenzen. Es braucht diese Mechanismen nicht nur, um die Staatsfinanzen und die gemeinsame Währung zu stabilisieren, sondern auch, um die Wachstumskräfte in Europa besser auszubalancieren.

Die aktuelle Krise ist keine Währungskrise. Interpretationen der Abwertung des Euro gegenüber dem Dollar als Währungskrise sind reine Hysterie. Die Abwertung ist nur eine Teilkorrektur einer seit 2003 aufgebauten Überbewertung relativ zur OECD-Kaufkraftparität. Die mit der Abwertung verbundene Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der Exportwirtschaft auf den Weltmärkten sollte den europäischen Ländern willkommen sein, zumal diese Länder die Wirtschaftskrise noch nicht überwunden haben. Allerdings betrifft fast die Hälfte des deutschen Außenhandels den Euro-Raum und ist von der Abwertung des Euro nicht unmittelbar betroffen - so wenig wie vorher von der jahrelangen Aufwertung. Die Währungsunion hat, wie seinerzeit geplant, zur Immunisierung der Realwirtschaft gegenüber Wechselkursschwankungen beigetragen.

Die aktuelle Krise beruht auf den Schulden- und Finanzproblemen einiger Mitgliedstaaten. Unter dem Euro ist es in den Ländern der Euro-Zone zu einer Konvergenz der Zinssätze gekommen. Noch 1995 mussten die ursprünglichen Mitglieder der Europäischen Währungsunion (außer Deutschland) für ihre Staatsanleihen durchschnittlich 2,6 Prozentpunkte mehr Zinsen bezahlen als Deutschland, einige von ihnen sogar 6 Prozentpunkte mehr. Mit der Einführung des Euro ist dieser Zinsaufschlag fast vollständig verschwunden. Es wurde ein gemeinsamer Kapitalmarkt geschaffen, der insbesondere den Ländern der südwestlichen Peripherie Europas bis dato ungewohnt günstige Finanzierungsbedingungen geschenkt hat. Das galt nicht nur für den Staat, sondern auch für private Schuldner. Als Folge kam es zu einem gewaltigen Kapitalfluss in diese Länder, der dort einen Bau- und Investitionsboom ermöglichte. Jedoch fehlte es an wirksamen Mechanismen zur Begrenzung der öffentlichen und privaten Schuldenaufnahme. In vielen Ländern entartete der Bauboom zu einer Spekulationsblase. Das Platzen dieser Blasen bedroht jetzt die Solvenz der Banken. Daraus ergeben sich erhebliche Risiken für die Staatsfinanzen einiger Länder. Die Neuverschuldung in Irland, Griechenland, Portugal und Spanien beträgt jeweils mehr als das Dreifache des nach den Maastricht-Kriterien zulässigen Satzes von 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Bei Griechenland kommt hinzu, dass der absolute Schuldenstand schon sehr hoch ist.

In der internationalen Diskussion über die Verteilung der Lasten aus der Krise ist insbesondere von französischer Seite zu hören, Deutschland sei ein Hauptprofiteur der Entwicklung gewesen; der hohe deutsche Außenhandelsüberschuss sei das Spiegelbild der Außenhandelsdefizite der anderen Euro-Länder. An dieser Aussage ist nur richtig, dass der Bau- und Investitionsboom in den Ländern der Peripherie dort eine Inflation hervorrief, die die preisliche Wettbewerbsfähigkeit dieser Länder minderte und zu Außenhandelsdefiziten führte. In Deutschland war die Entwicklung umgekehrt. Die Ersparnisse wurden auf dem Wege über die Banken überwiegend exportiert, nur noch sehr wenig Geld wurde im Inland investiert. Die Binnenkonjunktur erlahmte, Löhne und Preise stiegen nur noch langsam. Dadurch wurde die preisliche Wettbewerbsfähigkeit des Landes verbessert, und ein großer Außenhandelsüberschuss entstand. Dieser Außenhandelsüberschuss war das realwirtschaftliche Gegenstück zu den Kapitalströmen aus Deutschland heraus.

Den Außenhandelsüberschuss und den damit verbundenen Verlust an Investitionskapital als Zeichen der Stärke Deutschlands anzusehen gehört zu den fast schon tragisch zu nennenden Denkfehlern des politischen Diskurses. Deutschlands Nettoinvestitionsquote war im Mittel der Jahre 1995 bis 2008 die niedrigste aller OECD-Länder. 2008 wurden nur 40 Prozent des Sparaufkommens in Deutschland selbst investiert. Dementsprechend niedrig war das Wirtschaftswachstum. Für die Jahre 1995 bis 2008 insgesamt lag das reale Wachstum in Deutschland bei 22 Prozent, auf einem der letzten Plätze der OECD. Portugal etwa verzeichnete 33, Spanien 56, Griechenland 61 und Irland 124 Prozent Wachstum.

Der Kapitalexport kann zwar grundsätzlich als Teil eines nützlichen Konvergenzprozesses in Europa interpretiert werden, der auch Deutschlands Vermögensbesitzern Vorteile gebracht hat. Jedoch war sein Ausmaß übertrieben. Zu viele Ersparnisse flossen in die Länder der südwestlichen Peripherie Europas. Es entstanden zu hohe Ungleichgewichte im Außenhandel. Die deutsche Wirtschaftsdynamik wurde zu sehr beeinträchtigt.

Diese kritische Einschätzung beruht nicht nur auf der Beobachtung, dass der Bau- und Investitionsboom teilweise zu einer Spekulationsblase entartet ist und dass einzelne Mitgliedstaaten in einer Schuldenkrise stecken. Sie beruht vor allem auf der Einschätzung, dass es im Vorfeld der Krisen an angemessenen Schranken für die öffentliche und private Schuldenaufnahme fehlte.

Märkte und Preise trugen den Risiken der Investitionen nicht angemessen Rechnung. Dass beispielsweise die Schuldtitel verschiedener Mitgliedstaaten nicht alle dieselbe Bonität hatten, war seit längerem absehbar. Gleichwohl verlangten die Anleger bis 2008 keine Zinsaufschläge bei Mitgliedstaaten, deren Haushaltspolitik erhebliche Risiken enthielt. Verletzungen des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes blieben ohne Folgen - von Seiten der Kapitalmärkte ebenso wie von Seiten der Europäischen Union.

Erst in der Krise, von 2008 an, ist es wieder zu erheblichen Zinsaufschlägen für Staatsanleihen entsprechend der Bonität der Schuldner gekommen. Diese Entwicklung ist nicht, wie der eine oder andere Schuldner meint, als anstößig zu betrachten, sondern notwendig für das langfristige Überleben des Euro. Die Aufschläge sind zwar deutlich kleiner als in der Vor-Euro-Zeit, sie helfen aber, die fehlende Schuldendisziplin wieder zu stärken, und sind grundsätzlich für einen funktionierenden Kapitalmarkt im Euro-Raum erforderlich. Der Kapitalfluss wird gebremst, die staatlichen Schuldner werden wirksam überwacht, und die Überhitzung wird vermieden. Es ist nun zu erwarten, dass mehr Kapital in Deutschland bleibt und hier für Investitionen zur Verfügung steht. Die deutsche Binnenwirtschaft sollte daher erstarken und das Wachstum wieder anziehen. Und natürlich verringern sich auch die Außenhandelssalden wieder.

Durch die Rettungsbeschlüsse der EU-Länder wurde aber die No-Bail-out-Klausel des Maastricht-Vertrags außer Kraft gesetzt, um einen Staatsbankrott Griechenlands und eventuell weiterer Mitgliedstaaten zu verhindern. Ohne ein Urteil über diese Beschlüsse abgeben zu wollen, sind wir der Meinung, dass diese Pakete in der jetzigen Form nicht über die vereinbarten Fristen hinaus verlängert werden sollten. Sie aufrechtzuerhalten würde die Euro-Zone weiter destabilisieren. Die Rettungspakete sehen den vollständigen Freikauf der Gläubiger vor, ohne dass diese Gläubiger einen Teil der Risiken, die sie eingingen, tragen müssen. Die Schonung der Gläubiger verführte wieder zur Sorglosigkeit bei der Kreditvergabe und erzeugte ein Übermaß an Zinskonvergenz. Die Korrekturfunktion der Kapitalmärkte würde abermals unterminiert, und der Anreiz, die staatlichen Budgetdefizite unter Kontrolle zu halten, würde geschwächt. Es ist zu erwarten, dass die deutsche Bevölkerung ein pauschales Einstehen für andere Länder nicht lange akzeptieren würde. Ein Regime, in dem Deutschland verpflichtet ist, für die Schulden anderer Länder aufzukommen, birgt Sprengstoff für den Euro, wenn nicht für die europäische Integration insgesamt. Selbst wenn es nicht zu neuen Krisen käme, würden auf jeden Fall die Ungleichgewichte im Außenhandel und bei den Kapitalbewegungen perpetuiert, mit nach wie vor negativen Wirkungen auf das deutsche Wirtschaftswachstum.

Zugunsten einer Fortsetzung der Rettungsschirmpolitik wird angeführt, dass die damit verbundenen Zinssenkungen es Ländern mit hoher privater und öffentlicher Verschuldung in der aktuellen Krise erlauben, ihre Defizite schneller abzubauen. Durch die Rettungspakete sind die hochverschuldeten Länder im Euro-Raum indes schon erheblich entlastet worden. Eine darüber hinausgehende Zinskonvergenz durch Solidarhaftung wäre schädlich. Schon bei der Einführung des Euro sind viele Mitgliedstaaten durch niedrigere Zinsen erheblich entlastet worden. Ihre Schulden abgebaut haben sie deshalb nicht. Offenbar waren die Entlastungswirkungen schwächer als die zusätzlichen Verschuldungsanreize, die mit niedrigen Zinsen - und mit geringerer Kapitalmarktdisziplin - einhergehen. Erst die im Laufe der aktuellen Krise entstandenen Zinsaufschläge und Begrenzungen der Neuverschuldung haben dafür gesorgt, dass die Politik ernsthaft versucht, die Staatsverschuldung zu begrenzen.

Aus diesem Grund wäre es auch ein schwerer Fehler, Eurobonds, also gemeinsame Staatsanleihen aller Staaten der Euro-Zone, einzuführen, wie derzeit diskutiert wird. Sie würden die Solidarhaftung perpetuieren und die institutionelle Basis für eine solide Finanzpolitik in Europa endgültig zerstören.

Bis zum Auslaufen der Rettungspakete muss die Politik ein tragfähiges Konzept für die künftigen fiskalpolitischen Regeln in Europa entwickeln. Dieses Konzept muss zwei Elemente enthalten: schärfere politische Schuldenschranken und vor allem ein Insolvenzverfahren für Staaten. Das Insolvenzverfahren dient nicht nur der Bewältigung künftiger Krisen. Es sorgt auch dafür, dass die Mitgliedstaaten ihre Verschuldung unter Kontrolle halten und dass die Akteure an den Finanzmärkten mit größerer Vorsicht vorgehen. Essentiell ist es, dass die Regeln des Insolvenzverfahrens glaubwürdig sind. Die damit betrauten Institutionen müssen selbst willens und in der Lage sein, sie wirksam durchzusetzen. Anders als beim Stabilitäts- und Wachstumspakt oder jetzt bei der No-Bail-out-Klausel dürfen die Regeln nicht wieder unterlaufen werden, sobald sie greifen sollen.

Um zu verstehen, unter welchen Umständen ein solches Insolvenzverfahren funktionieren kann, ist es hilfreich zu fragen, warum auch die Bundesregierung in der aktuellen Krise dem Rettungsschirm zugestimmt hat, obwohl er gegen den Maastricht-Vertrag verstößt. Sicher hat der politische Druck der hochverschuldeten Länder eine Rolle gespielt. Entscheidend für die Einwilligung der Bundesregierung war aber wohl die Sorge, dass eine staatliche Insolvenz im Euro-Raum eine allgemeine Kapitalmarktkrise auslösen könnte, in der es zu Bankenzusammenbrüchen und einer erneuten Finanz- und Wirtschaftskrise kommt. Unabhängig davon, ob diese Sorge letztlich berechtigt war oder nicht, wurde allein das Risiko als zu groß angesehen. Die Euro-Zone war nämlich auf diese Situation nicht vorbereitet. Die fehlende Vorbereitung hat das Entstehen der Krise gefördert, denn die Kapitalanleger wussten, dass die Euro-Zone im Fall einer Überschuldung einzelner Mitgliedstaaten kaum eine formelle Insolvenz riskieren würde. Weil die No-Bail-out-Klausel unglaubwürdig war, konnten diese Staaten sich viel stärker verschulden, ohne dass die Zinssätze die Risiken widerspiegelten.

Um staatliche Haushaltsdisziplin in Europa durchzusetzen, muss man den Kapitalmärkten glaubwürdig vermitteln, dass im Fall einer Überschuldung eines Landes zuerst die Gläubiger haften, bevor Hilfen von Gemeinschaftsinstitutionen oder von anderen Mitgliedstaaten in Frage kommen. Entscheidend ist die Reihenfolge, denn nur sie veranlasst die Gläubiger, bei der Vergabe der Kredite vorsichtig zu sein. Glaubhaft ist das Verfahren aber nur dann, wenn dafür gesorgt ist, dass die dadurch verursachten Verluste der Gläubiger keine allgemeine Finanz- und Wirtschaftskrise auslösen.

Dazu sollte die Eigenkapitalregulierung der Banken gestärkt werden. Wenn Staatsanleihen hochverschuldeter Länder mit mehr Eigenkapital unterlegt werden müssen, wird schon dies dafür sorgen, dass die Kreditvergabe an diese Länder reduziert oder ein Zinsaufschlag dafür verlangt wird. Es ist im Übrigen notwendig, ein einfaches, transparentes und regelgebundenes Verfahren für die Restrukturierung öffentlicher Verschuldung zu vereinbaren. Nur wenn ein solches Verfahren existiert, kann man erwarten, dass eine Finanzmarktpanik im Fall einer staatlichen Insolvenz ausbleibt.

Zur Glaubwürdigkeit der Regeln für Krisen gehört es, die Gemeinschaftskompetenz zur Durchsetzung von Haushaltsdisziplin sowohl im Vorfeld einer Krise als auch in der Krise selbst deutlich zu stärken. Die Wahrnehmung dieser Kompetenz sollte unmittelbar bei der Europäischen Kommission liegen. In der jetzigen Krise sah die Kommission ihr Eigeninteresse nicht in der Durchsetzung des Maastricht-Vertrags, sondern in der mit den Bail-out-Maßnahmen verbundenen Ausweitung der Gemeinschaftskompetenzen. Gibt man der Kommission eine Kompetenz zur Festlegung und Durchsetzung der Bedingungen, unter denen Hilfe gewährt wird, so wird sie selbst daran interessiert sein, diese Kompetenz im Krisenfall wahrzunehmen.

Wie sollten die fiskalpolitischen Regeln für die Euro-Zone also reformiert werden? Folgendes ist aus unserer Sicht notwendig:

1. Hilfen können bedrängten Staaten grundsätzlich nur nach einer einstimmigen Feststellung der drohenden Zahlungsunfähigkeit durch die an den Hilfsaktionen beteiligten Länder und den IWF gewährt werden.

2. Die Hilfen sollten als verzinsliche Bürgschaften (Avalkredite) oder als Kredite gewährt werden, deren Zins um einen angemessenen Prozentsatz (möglicherweise 3,5 Punkte) über dem europäischen Durchschnittszins liegt. Die Kredite sollten einen bestimmten maximalen Prozentanteil des Bruttoinlandsproduktes des hilfsbedürftigen Landes nicht überschreiten.

3. Zugleich mit der Gewährung der Hilfen müssen die Altgläubiger durch einen sogenannten Haircut auf einen Teil ihrer Ansprüche verzichten. Der maximale Verzicht sollte klar beziffert werden, um eine panikartige Zuspitzung des Krisengeschehens auszuschließen. Wir halten einen Haircut von 5 Prozent pro Jahr seit der Emission eines Staatspapiers für angemessen. Das begrenzt den Zinsaufschlag, den Gläubiger im Vorhinein fordern, auf maximal etwa 5 Prozentpunkte. Man könnte zusätzlich eine pauschale Laufzeitverlängerung für Papiere mit einer Restlaufzeit unter drei Jahren vorsehen. Entscheidend ist, dass die Kapitalmärkte eine klare Kalkulationsgrundlage haben.

4. Das Budget des von der Zahlungsunfähigkeit bedrohten Landes wird unter die Kontrolle der EU-Kommission gestellt. Die Kommission erarbeitet mit dem betreffenden Land ein Programm zur Sanierung der Staatsfinanzen, das auch Reformen zur Stärkung des Wirtschaftswachstums beinhalten kann. Die Hilfen werden unter der Bedingung aufrechterhalten, dass das Land die Auflagen des Programms erfüllt.

5. Diese Insolvenzordnung darf keinesfalls durch andere Hilfssysteme unterlaufen werden, die Anreize zu opportunistischem Verhalten geben, insbesondere nicht durch die von manchen Schuldenländern favorisierten Eurobonds. Eurobonds bedeuten eine vollkommene Zinsangleichung ungeachtet der Bonität der Schuldenländer und kommen deshalb einer Subventionierung des Kapitalflusses in diese Länder gleich. Sie wären ein Freibrief für abermalige Verschuldungsexzesse und hätten darüber hinaus die erwähnten negativen Folgen für das deutsche Wirtschaftswachstum. Eine besonders große Gefahr bei den nun anstehenden Verhandlungen liegt darin, dass Deutschland eine Insolvenzordnung zugestanden wird, wenn es den Eurobonds zustimmt.

Wir halten es darüber hinaus für erforderlich, die politischen Schuldenschranken nach der Art des Stabilitäts- und Wachstumspaktes zu stärken. Wir betonen aber, dass diese Schranken die von den Finanzmärkten ausgehende Disziplinierung über bonitätsabhängige Zinsaufschläge nicht ersetzen können. Im Einzelnen sollten folgende Vorkehrungen getroffen werden:

6. Die Defizitgrenze des Stabilitäts- und Wachstumspaktes sollte in Abhängigkeit von der Schuldenquote modifiziert werden, um von hochverschuldeten Ländern frühzeitig mehr Schuldendisziplin einzufordern. Beispielsweise könnte man die Grenze für je 10 Prozentpunkte, um die die Schuldenquote über 60 Prozent liegt, um je einen Prozentpunkt kürzen. Ein Land mit einer Schuldenquote von 80 Prozent dürfte dann nur maximal ein Defizit in Höhe von 1 Prozent des Bruttoinlandsproduktes haben. Ein Land mit einer Schuldenquote von 110 Prozent müsste einen Budgetüberschuss von mindestens 2 Prozent erzielen.

7. Für die Überschreitung der Schuldengrenzen sind Strafen zu definieren, die automatisch ohne weiteren politischen Entscheid fällig werden, wenn Eurostat die Defizite formell festgestellt hat. Die Strafen können pekuniärer Natur sein und die Form von Pfandbriefen annehmen, die mit privatisierbarem Staatsvermögen besichert sind, und sie können auch nichtpekuniäre Elemente enthalten wie zum Beispiel den Entzug von Stimmrechten.

8. Eurostat erhält zum Zweck der Feststellung der Defizite und Schuldenquoten die Befugnis, von allen Ebenen der nationalen Statistikbehörden direkt Auskunft zu verlangen und vor Ort eigenständige Kontrollen der Erhebungsprozeduren vorzunehmen.

9. Schlussendlich sollte für den Fall, dass alle genannten Hilfs- und Kontrollsysteme versagt haben und dennoch eine abermalige Insolvenz eintritt, der Austritt des betroffenen Landes aus dem Euro-Verbund durch mehrheitlichen Beschluss der Euro-Länder ermöglicht werden.

10. Der freiwillige Austritt aus dem Euro-Verbund sollte jederzeit möglich sein.

Wir sind überzeugte Europäer und befürworten die weitere Integration der EU. Indes sind wir der festen Überzeugung, dass das europäische Modell scheitern wird, wenn es nicht gelingt, die Eigenverantwortlichkeit der Länder Europas wieder zu stärken. Deswegen sind die hier unterbreiteten Vorschläge in ihrem Kern alternativlos.Die Autoren Clemens Fuest lebt und forscht zwar in Oxford. Doch ist der Finanzwissenschaftler in der wirtschaftspolitischen Debatte in Deutschland präsenter denn je, zumal er als Spezialist für Staatsverschuldung und Besteuerung den Wissenschaftlichen Beirat beim Bundesfinanzministerium führt. Sein Rat wird gern gesucht, weil er komplizierte Sachverhalte klar darzustellen vermag und Provokation meidet. Martin Hellwig leitet das Max-Planck-Institut zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern in Bonn. Auf die deutsche Wettbewerbspolitik nimmt der renommierte Ökonom starken Einfluss. Lange hat er die Monopolkommission geleitet. Als Vorsitzender des Lenkungsrates des Deutschlandsfonds hat Hellwig gerade maßgeblich daran mitgewirkt, dass Opel Staatshilfe verweigert wurde. Hans-Werner Sinn ist Präsident des Ifo-Instituts in München und einer der gefragtesten Volkswirte des Landes. Dies nicht nur, weil er in ungewöhnlich vielen Themen bewandert ist. Sinn hat auch eine gewisse Lust an der Zuspitzung und hält mit seinen Emotionen nicht hinter dem Berg. Derzeit treibt ihn der Euro um. Sinn sieht "schicksalhafte Wochen für Deutschland und Europa". Wolfgang Franz ist Vorsitzender des Sachverständigenrates, der jährlich im Herbst über die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung urteilt. Außerdem leitet der auf Arbeitsmarktfragen spezialisierte Ökonom das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim. Mit einiger Sorge beobachtet er die Brandeinsätze für den Euro. Sie könnten Deutschland überfordern. (hig.) Die Rettungspakete sollten in der jetzigen Form nicht verlängert werden. Es wäre ein schwerer Fehler, gemeinsame Staatsanleihen einzuführen. Im Fall einer Überschuldung eines Landes müssen zuerst die Gläubiger haften.