Das Vakuum füllt sich

Denkfabrik | Während hoch Qualifizierte das Land verlassen, werden zu viele gering Qualifizierte vom Sozialstaat angezogen. Von Hans-Werner Sinn
Autor/en
Hans-Werner Sinn
Wirtschaftswoche, 25.10.2010, Nr. 43, S. 43

Gemessen an seiner Bevölkerungsgröße, hat Deutschland die kleinste Zahl der Neugeborenen unter allen OECD-Ländern, und das, obwohl unter diesen Neugeborenen bereits ein Drittel einen Migrationshintergrund hat. Kein entwickeltes Land dieser Erde schrumpft derzeit prozentual so schnell wie wir. Eine verkorkste Geschichte, abstruse Emanzipationsmodelle, ein kinderfeindliches Rentensystem und falsche Anreize im Steuersystem haben den Deutschen die Lust auf Kinder genommen. Das Gebiet, auf dem die Deutschen leben, entleert sich. Neue Völker drängen hinein und füllen das Vakuum.

Wer kommt, muss besser integriert werden. Es ist ein Skandal, dass die Kinder der Immigranten in unserem dreigliedrigen Schulsystem verkommen. Sie brauchen mindestens den Pflichtkindergarten, um eine faire Chance zu erhalten.

Aber was nutzt die ganze Bildung, wenn viele der gut ausgebildeten Menschedoch wieder weglaufen. In letzter Zeit emigrierten knapp 30 000 Deutsche pro Jahr in die Schweiz, und davor waren schon sehr viele in die USA und andere Länder ausgewandert. In den USA leben 350 000 Immigranten aus Deutschland, die über einen Hochschulabschluss verfügen. Mit seinen vergleichsweise geringen Gehältern für hoch Qualifizierte und seinen hohen Abgaben ist Deutschland kaum wettbewerbsfähig.

Stattdessen ziehen Deutschland wie auch Frankreich speziell weniger gut ausgebildete Bevölkerungsschichten an. Während in den USA und Großbritannien etwa ein Drittel der immigrierten erwerbsfähigen Bevölkerung eine Hochschulausbildung hat, liegt dieser Wert in Deutschland und Frankreich nur bei etwa einem Fünftel.

Dass Deutschland insbesondere schlecht ausgebildete Immigranten anzieht, liegt daran, dass diese Bevölkerungsschichten zusätzlich zu ihrem Arbeitsloheine Immigrationsprämie erhalten. Die wenigen Sozialabgaben und Steuern, die typische Immigranten zahlen, stehen nämlich in keinem Verhältnis zu den staatlichen Leistungen - vom Wohngeld bis zur freien Nutzung der öffentlichen Infrastruktur -, die sie dafür erhalten.

Nach einer etwas älteren Analyse des sozioökonomischen Panel durch das ifo Institut erzielten Immigranten während der ersten zehn Jahre ihres Aufenthalts in Deutschland im Schnitt und pro Kopf ein Geschenk von etwa 2400 Euro im Jahr.

Rente geschenkt Das Problem der Fehlselektion der Migranten durch den Sozialstaat wird sich in den kommenden Jahren noch ganz erheblich verschärfen, weil sich herumsprechen wird, wie es den nicht erwerbstätigen Immigranten aus EU-Ländern hier geht. Wer nicht arbeiten will, darf schon seit 2005 ungehindert in den Sozialstaat einreisen. Er muss sich nur die ersten fünf Jahre selbst versorgen und hat danach ohne Antrag das automatische Daueraufenthaltsrecht mit den gleichen Ansprüchen auf steuerfinanzierte Sozialleistungen wie Einheimische auch. Ein Rumäne, der mit Anfang 60 einreist und fünf Jahre später die Sozialhilfe beansprucht, kann sich so faktisch ein leistungsloses Renteneinkommen sichern, das nicht nur weit über dem Lebensstandard der Rentner zu Hause, sondern sogar noch deutlich über dem Lebensstandard der dort beschäftigten Arbeitnehmer liegt.

Zur Finanzierung dieser Lasten wird man die Vermögen der Deutschen heranziehen. Das ist schon deshalb unvermeidlich, weil viele der Immigranten eingebürgert werden und dann das allgemeine Wahlrecht erhalten. Die Gruppe der Wähler, die durch die Umverteilung gewinnen, wird durch sie gestärkt.

Eher Vorteile sind zu erwarten, wenn ab Mai 2011 endlich auch die Arbeitnehmer aus den meisten osteuropäischen EU-Ländern einwandern dürfen (aus Bulgarien und Rumänien ab 1. Januar 2014). Das Thema Fachkräftemangel wird sich dann erst einmal von selbst erledigen, wie der massenhafte Ansturm der Polen auf Großbritannien vor einigen Jahren gezeigt hat, als dort die Grenzen geöffnet wurden.

Für eine Erleichterung der Immigration aus Drittländern, die nicht zur EU gehören, gibt es im Moment keine Veranlassung. Die Auswirkungen der Arbeitnehmerfreizügigkeit innerhalb der EU müssen nun erst einmal abgewartet werden, bevor man noch mehr Immigranten aus Nicht-EU-Ländern hereinlässt. Da hat der bayrische Ministerpräsident wohl recht. Erst nach der Grenzöffnung stellt sich die Frage, ob Deutschland zusätzlich ein Punktesystem für die Immigration von Fachkräften aus Nicht-EU-Ländern benötigt.

Aus anderen EU-Ländern werden aber auch gering Qualifizierte einwandern. Damit sie genug Stellen erhalten, muss die Strategie der Lohnflexibilisierung weiter entwickelt werden. Eine Ausweitung der Mindestlöhne und eine Stärkung des Lohnersatzsystems würde neue Jobs verhindern und hätte eine indirekte Immigration in die Sozialsysteme zur Folge. Ausländische Arbeitnehmer, die keine Ansprüche gegen das Sozialsystem haben, nähmen die Jobs und würden einheimische Arbeitnehmer in die Sozialsysteme drängen.

Sinn, Hans-Werner