Sollen wir den Euro aufgeben?

Autor/en
Hans-Werner Sinn
Spiegel online, 05.12.2011

"Rettungspakete bringen nichts"

Weitere Nothilfen oder Untergang des Euro? Die Frage suggeriert, die angeblichen Rettungspakete lieferten einen nachhaltigen Beitrag zur Stützung des Euro. Das tun sie allenfalls kurzfristig. Mittel- und langfristig ist das Gegenteil der Fall. Die Rettungspakete halten nur die Preise der Staatspapiere und anderer Vermögensobjekte aus den Krisenländern auf einem künstlich überhöhten Niveau, das gar nicht dem gleichgewichtigen Marktwert entspricht. Sie schützen dadurch die Banken, Versicherungen und Pensionskassen vor Abschreibungsverlusten, doch treiben sie das private Investitionskapital auf diese Weise aus den Krisenländern heraus und verschärfen die Krise. Die Preisstützung führt nämlich zu einem einseitigen Abwärtsrisiko bei Vermögenswerten wie Staatsanleihen. Dieses Risiko ist nur durch die Tiefe der Taschen der Retter begrenzt. Wer sich davor schützen will, muss fliehen.

Die Kapitalflucht aus den Krisenländern führte nach Deutschland und in die Schweiz. Dort boomt die Wirtschaft, doch in den Krisenländern fehlt das Geld. Sie kommen in die Rezession, und es entwickelt sich eine Massenarbeitslosigkeit. Allein im August und September ist privates Kapital für etwa 80 Milliarden Euro aus Italien nach Deutschland verlagert worden. Man kennt das alles aus den Zeiten, als Zentralbanken Wechselkurse stützen wollten und somit einseitige Abwärtsrisiken schufen. Solche Strategien ziehen die Krise endlos in die Länge und erschöpfen die Kraft der Retter.

Die Alternativstrategie besteht darin, den Aufkauf von Staatspapieren durch die EZB auslaufen zu lassen und die Vermögenspreise fallenzulassen. Dann kehrt das Kapital auch wieder zurück, und die Gesundung der Länder kann beginnen. Die Banken, die dabei in Schwierigkeiten kommen, muss der Staat stützen.

Gegenläufig zu den Marktwerten der Staatsanleihen verändern sich übrigens die Zinsen. Italien zahlt heute gut sieben Prozent. Das sehen einige als den beginnenden Weltuntergang, obwohl in Wahrheit nur ihr eigenes Vermögensportfolio vom Untergang bedroht ist. Die italienischen Zinsen sind heute niedriger als jene, die selbst der deutsche Staat von Mitte der siebziger Jahre bis Mitte der neunziger Jahre zahlen musste. Und sie sind sogar um fünf Prozentpunkte niedriger als die Zinsen, die der italienische Staat in den Jahren vor der Ankündigung des Euro zahlen musste - also bis zur Mitte der neunziger Jahre.

Deutschland tut gut daran, sich der Interpretation nicht anzuschließen, der Euro müsse allen Staaten, unabhängig von ihrer Bonität, die gleichen Zinsen bringen. Es ist nur natürlich, wenn Kapitalanleger, die sich verspekuliert haben, nervös sind. Wir können und sollten diese Nervosität nicht durch die Nervosität der deutschen Steuerzahler, Rentner und Hartz-IV-Empfänger ersetzen. Genau dies wäre aber der Fall, wenn wir den Investoren ihre toxischen Papiere abkaufen und dann später selbst versuchen müssten, das Geld bei den südlichen Ländern des Euro-Raums einzutreiben. Dieser Weg sät Unfrieden.

von Hans-Werner Sinn