Euro als Standortnachteil

Autor/en
Hans-Werner Sinn
Presseartikel von Hans-Werner Sinn, Focus Money, 01.08.2002, 13

Ifo-Präsident Hans-Werner Sinn über die Folgen der Europa-Währung, die lahmende Konjunktur und den politischen Reformstau am Standort Deutschland

Was bedeutet der Euro für die wirtschaftliche Entwicklung Europas? Dass man nun die Preise besser vergleichen kann und Wechselgebühren spart, ist nebensächlich. Bei weitem am wichtigsten ist die Schaffung eines gemeinsamen europäischen Kapitalmarkts, der von den Barrieren instabiler Wechselkurse befreit wurde. Noch 1995 lagen die Zinsen langfristiger Staatsanleihen in Italien oder Spanien um fünf bis sechs Prozentpunkte über den deutschen Zinsen, weil internationale Kapitalanleger hohe Risikoprämien verlangten. Mit der Einführung des Euro haben sich die Zinsen nahezu perfekt angeglichen.

Investitionsboom. Der Rentabilitätsmaßstab, dem reale Investitionen genügen müssen, ist nun überall in Europa gleich. Firmen in peripheren Ländern können zu den gleichen günstigen Bedingungen Kredite aufnehmen, wie sie früher etwa deutschen Firmen vorbehalten waren. Dies führt zu einem Investitionsboom in den südlichen und peripheren Ländern Europas, der sich in einer Erhöhung der gesamteuropäischen Wachstumsrate niederschlägt. Für Deutschland sind die Folgen jedoch ambivalent. Ob der Euro einen absoluten oder nur einen relativen Nachteil bedeutet, ist nicht klar. Zurzeit sind die Zinsen noch so niedrig, dass man aus der Verbesserung der Situation anderer Länder keine absoluten Nachteile herauslesen kann. Die hohe Kapitalnachfrage in den von den Risikoprämien befreiten Ländern könnte das deutsche Zinsniveau aber mittelfristig über jenes Niveau hinaus erhöhen, das sonst realisiert worden wäre. Dann entstünde ein absoluter Wachstumsnachteil. Ein relativ wahrscheinliches Ergebnis, denn im Außenverhältnis herrschen nach wie vor flexible Wechselkurse, die einen perfekten weltweiten Zinsverbund verhindern.

Gewinner und Verlierer. Die Entwicklung muss aber vorsichtig bewertet werden. Diejenigen Produktionsfaktoren, die zum Faktor Kapital komplementär sind (insbesondere der Faktor Arbeit), werden sicherlich zu den Verlierern gehören. Durch die Verlangsamung der Kapitalakkumulation wächst die Produktivität langsamer, und der Spielraum für beschäftigungsneutrale Lohnerhöhungen verringert sich. Demgegenüber können Sparer, Kapitalanleger und Direktinvestoren durch die gefahrlose Verlagerung ihres Kapitals in bisherige Hochzinsländer vorläufig höhere Renditen erwirtschaften, als es sonst der Fall gewesen wäre. Vermutlich werden die Gewinne der Gewinner die Verluste der Verlierer überkompensieren. Die Deutschen könnten im Durchschnitt Einkommensgewinne erzielen, obwohl die Mehrheit der Bevölkerung verliert.

Wachstums-Schlusslicht. Der Euro hat zusammen mit dem Fall des Eisernen Vorhangs, der eine Niedriglohnkonkurrenz vor der eigenen Haustür geschaffen hat, die Wettbewerbsverhältnisse für den Standort Deutschland verschlechtert. Man kann nicht mehr selbstverständlich davon ausgehen, dass die deutsche Wirtschaft, ausgerüstet mit dem Privileg einer konkurrenzlos stabilen Währung, die Lokomotive des Kontinents bleibt. Deutschland ist Schlusslicht beim Wachstum und wird es vorläufig auch bleiben. Das ist umso problematischer, als die Weltkonjunktur derzeit ohnehin gefährdet ist. Der Börsencrash, das wieder abnehmende Konsumentenvertrauen in den USA, der bröckelnde lfo-lndex-all dies sind zwar konjunkturelle Entwicklungen, die über kurz oder lang überwunden werden, dennoch addieren sie sich mit der Bremswirkung des Euro zu einem unguten Gebräu.

Kehrtwende nötig. Umso dringlicher muss der Reformstau in der Bildungspolitik und auf dem Arbeitsmarkt überwunden werden, der die Wettbewerbsfähigkeit beeinträchtigt. Die Versäumnisse und Fehlentwicklungen der Vergangenheit, die bislang von anderen Vorteilen übertüncht wurden, kommen deutlicher denn je zum Vorschein und verlangen eine mutige Kehrtwende der Wirtschaftspolitik. Dabei kommen wir diesmal mit kosmetischen Reformen nicht durch. Alles, was wir für selbstverständlich halten, gehört auf den Prüfstand. Wir brauchen Reformen, die weh tun und den alten gesellschaftlichen Konsens in Frage stellen. Die neue Bundesregierung, die mit dieser Aufgabe fertig werden muss, ist nicht zu beneiden.