Hartz-Pläne sind nicht bezahlbar

Norbert Berthold, Axel Börsch- Supan, Wolfgang Franz, Hans-Werner Sinn
Autor/en
Hans-Werner Sinn
Presseartikel von Hans-Werner Sinn, Süddeutsche Zeitung, 15.11.2002, 2

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Norbert Berthold, Axel Börsch- Supan, Wolfgang Franz, Hans-Werner Sinn

Vier Millionen Arbeitslose - ist endlich ein Ende in Sicht? Das Herzstück der Hartz-Vorschläge, die Personal-Service-Agenturen (PSA), sollen Arbeitslose in Leiharbeiter verwandeln, von denen möglichst viele per "Klebeeffekt" dauerhaft beim Entleiher angestellt bleiben. Diese Verwandlung soll die gebeutelte Staatskasse entlasten. Die Expertenkommission rechnet dies für einen Arbeitnehmer vor, der brutto 2000Euro im Monat verdient hatte, bevor er arbeitslos wurde und 755 Euro Arbeitslosengeld erhielt. Als Hartzscher Leiharbeiter verdient er nun 1400 Euro im Monat. Von den insgesamt anfallenden Lohnkosten einschließlich Sozialversicherung zahlt der Arbeitgeber 843 Euro, während der Staat das neue Beschäftigungsverhältnis mit weiteren 843 Euro im Monat großzügig subventioniert.

Der Clou des Hartzschen Vorschlages ist, dass diese (im Hartz-Bericht in einer Fußnote versteckte) Subvention immer noch deutlich niedriger ist als das Arbeitslosengeld einschließlich Sozialversicherung, das zusammen monatlich mit 1309 Euro zu Buche schlägt. Die Volkswirtschaft hat also einen Arbeitslosen weniger, und der Staat spart 466 Euro im Monat. So hofft Hartz. Diese Hoffnung ist trügerisch. Die Hartzsche Rechnung wird durch Mitnahmeeffekte schnell zunichte gemacht. Der Grund ist einfach. Subventionierte Leiharbeiter sind für den Arbeitgeber deutlich billiger als normale Arbeitnehmer. Selbst wenn nur ein Bruchteil der sieben Millionen Arbeitnehmer, die pro Jahr einen Job wechseln, den neuen Job als subventionierter Leiharbeiter einer PSA finden, kippt die Hartzsche Rechnung in ein Finanzdesaster um: Die Staatskasse wird nicht entlastet, sondern mit den Subventionen für die PSA belastet. Das Gutachten enthält keine Vorschläge, diesen Mitnahmeeffekt zu begrenzen. Im Gegenteil, durch den Ausschluss der entsprechenden Verbotsklausel des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes für die PSA wird dieser Effekt sogar erleichtert. Den Mitnahmeeffekt kann man durch Verbotsklauseln nicht eindämmen. Denn den berüchtigten "Drehtüreffekt" - Arbeitnehmer werden entlassen und anschließend vom selben Unternehmen auf dem Weg über die PSA subventioniert wieder eingestellt - wird man kaum kontrollieren können, und schon gar nicht die natürliche Fluktuation zwischen verschiedenen Unternehmen. Im Prinzip kann sich dieser Mitnahmeeffekt also auf alle sieben Millionen Arbeitnehmer erstrecken, die pro Jahr ihren Job wechseln, und es ist kaum vorstellbar, dass sich die Arbeitgeber nicht von einer so massiven Lohnsubventionierung anlocken lassen.

Die Konsequenzen für den Staatshaushalt liegen auf der Hand. Wäre die Menge der Arbeitslosen im Zeitablauf unveränderlich, so wären die Subventionen der PSA auf diese Menge beschränkt. Dann würde das Hartz-Kalkül stimmen. Diese statische Betrachtung ist aber falsch. Wegen der natürlichen Fluktuation der Beschäftigungsverhältnisse sind immer Arbeit Suchende auf dem Markt, die auf dem Wege über die PSA einen subventionierten Arbeitsplatz finden können, der sich für den Arbeitgeber rechnet. Die fiskalischen Kosten werden dann nicht mehr beherrschbar sein. Wie schnell sie den Rahmen sprengen, der bislang für Maßnahmen der Arbeitsmarktpolitik vorgesehen war, ist schnell eingesehen: Helfen die PSA, zehn Prozent der Arbeitslosen und ABM-Beschäftigten in Leiharbeiter zu verwandeln, spart der Staat nach dieser Rechnung etwa 3,1 Milliarden Euro im Jahr. Landet aber nur jeder zwanzigste der jährlich sieben Millionen Jobwechsler in einer PSA, entstehen Mitnahmeeffekte von rund 3,5 Milliarden Euro im Jahr - und schon ist die Bilanz für die Staatskasse negativ. Weitere Steuer- und Abgabenerhöhungen sind unvermeidlich. Damit ist aber nicht nur das Ziel verfehlt, die Staatskasse zu entlasten. Denn die gestiegenen Steuern und Abgaben haben schädliche Rückwirkungen auf die Beschäftigung und machen zunichte, was Hartz erreichen wollte: eine Entlastung des Arbeitsmarktes.

Problematische Auswirkungen sind auch für die Lohnpolitik zu erwarten. Bislang müssen die Gewerkschaften bei der Lohnpolitik einkalkulieren, dass aggressive Lohnforderungen zur Vernichtung von Arbeitsplätzen führen. Dies schwächt sich in Zukunft ab, denn eine so verursachte Entlassungswelle würde von den PSA aufgefangen. Das Hartz-Konzept mag den Gewerkschaften zu einer aggressiveren Lohnpolitik und den Unternehmen zu subventionierten Löhnen verhelfen - die sich dazwischen öffnende Spanne zahlt aber der nicht mehr lachende Dritte - der Steuerzahler. Man könnte den Begünstigtenkreis einschränken, etwa auf Langzeitarbeitslose oder gering Qualifizierte. Dies ist aber im debattierten Gesetz ausdrücklich nicht der Fall, denn man möchte die subventionierten Arbeitskräfteverleiher nicht nur auf den Problemfällen sitzen lassen. Das Hartzsche Konzept ist also in der Klemme zwischen Subventionsmissbrauch und Funktionsfähigkeit.

Leichter zu handhaben sind Lösungen, bei denen keine Bürokratie die guten von den bösen Subventionsfällen unterscheiden muss, sondern die Betroffenen sich selbst entscheiden. Wir plädieren daher für einen Vorschlag des wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium für Wirtschaft, der die Sozialhilfe und die Arbeitslosenhilfe zu einem neuen System der Einkommenshilfen für gering Qualifizierte vereint. Dieser Vorschlag belohnt Arbeit - so wie die Hartz-Vorschläge -, lässt aber weniger Raum für Missbrauch. Eine Variante dieses Vorschlags sieht vor, dass die Sozial- und Arbeitslosenhilfe für arbeitsfähige, aber nicht arbeitswillige Personen zu einem Sockelbetrag von 75 Prozent des heutigen Sozialhilfeanspruchs gesenkt wird, dass im Gegensatz dazu aber die Hinzuverdienstgrenzen verdreifacht werden und darüber hinaus gehende Bezüge nur zu 40 Prozent mit der Sozialhilfe verrechnet werden. Dies führt dazu, dass bereits bei einer Halbtagsbeschäftigung die neue Sozialhilfe höher ist die derzeitige. Auch dieser Vorschlag sieht eine Subventionierung von neuen Beschäftigungsverhältnissen vor. Er begrenzt im Gegensatz zu den Hartz- Vorschlägen aber die Mitnahmeeffekte auf gering verdienende Arbeitnehmer, und er birgt nicht die Versuchung einer aggressiven Lohnpolitik in sich. Damit sind die finanziellen Risiken beherrschbar. Der Vorschlag erlaubt zudem die Selbstfinanzierung durch die Senkung der Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe für diejenigen, die die ihnen angebotenen subventionierten Beschäftigungsoptionen nicht annehmen.

Mit ganzer Kraft muss gegen die Missstände am Arbeitsmarkt vorgegangen werden. Neue Ideen sind willkommen. Die Vorschläge der Hartz-Kommission sind jedoch undurchdacht. Mitnahmeeffekte kann man nicht wegdiskutieren. Ökonomische Ausweichreaktionen und Risiken für das staatliche Budget müssen vorweg bedacht werden. Die Vorschläge der Hartz-Kommission mögen helfen, die Verwaltung der Arbeitslosigkeit effizienter zu machen. Aber sie lösen nicht das Arbeitslosenproblem.

Norbert Berthold ist Ordinarius für Volkswirtschaft in Würzburg, der Volkswirtschaftsprofessor Axel Börsch-Supan ist Direktor des Mannheimer Instituts "Ökonomie und demographischer Wandel", Wolfgang Franz, Professor für Volkswirtschaft, ist Präsident des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung, Professor Hans-Werner Sinn ist Präsident des Ifo- Instituts in München.

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