Sollen Kinderlose weniger Rente erhalten?

Autor/en
Hans-Werner Sinn
Rheinischer Merkur, 10.04.2003, S. 12

Ja, sie sparen genug Geld, um zusätzlich vorzusorgen

Deutschland steckt in einer Rentenkrise. Kürzungen von Renten sind, wie alle wissen, unvermeidbar, weil die Deutschen immer weniger Kinder großziehen. Jede Generation kann im Alter nur leben, wenn sie in ihrer Jugend selbst vorgesorgt hat, entweder durch "Humankapital" in Form von Kindern oder durch angespartes Realkapital. Da die Deutschen heute weniger Humankapital bilden, als es frühere Generationen taten, müssen sie als Ersatz Realkapital anhäufen, um so die mangels Nachkommen wegfallenden Rententeile zu ersetzen. Diese Überlegung hat zur Riester-Rente und zur Rentenkürzung im Umlagesystem geführt. Die Riester-Rente ist aber noch nicht zu Ende gedacht; denn sie führt zu kaum erträglichen Lasten bei denjenigen, die durch die Erziehung von Kindern bereits den vollen Beitrag zur Finanzierung der Umlagerenten leisten.

Historisch gesehen hat es immer zu den normalen Pflichten einer Generation gehört, zwei Leistungen zu erbringen: In der leistungsfähigen Lebensphase musste man seine Eltern ernähren, und man musste seine Kinder großziehen. Die erste dieser beiden Leistungen wird heute noch in Form der Rentenbeiträge erbracht, die ja in vollem Umfang an die heutigen Rentner fließen. Wenn die zweite Leistung von vielen nicht mehr erbracht wird, ist es wohl gerecht, diesen Menschen eine Mehrleistung in Form des Riester-Sparens abzuverlangen. Dadurch sichern sie sich die Rente, deren Vollfinanzierung man den wenigen zukünftigen Beitragszahlern nicht mehr zumuten kann.

Menschen, die mehrere Kinder großziehen, an der Riester-Rente zu beteiligen hieße im Gegenzug, ihnen eine dreifache Last aufzuerlegen. Als Beitragszahler ernähren sie die jetzt Alten, als Eltern finanzieren sie die Renten aller zukünftiger Rentenbezieher einschließlich der Kinderlosen, und als Riester-Sparer müssten sie zusätzlich ihre eigenen Renten finanzieren.

Die notwendigen Rentenkürzungen und das kompensierende Riester-Sparen sollten daher auf die Kinderlosen konzentriert werden. Wer keine Kinder in die Welt setzt und großzieht, dem kann zugemutet werden, das Geld, das andere Leute in die Kindererziehung stecken, am Kapitalmarkt anzulegen. Im Ausgleich kann der Rentenanspruch aus der Umlagerente halbiert werden. Das impliziert zwar immer noch eine Umverteilung von den Familien mit Kindern zu den Kinderlosen, aber die Last wird doch wenigstens etwas gleichmäßiger verteilt.

Man beachte: Das Plädoyer für eine Kürzung der Umlagerenten für Kinderlose hat nicht das Geringste mit der Frage zu tun, warum sie keine Kinder haben. Auch jene Menschen, die Kinder bekommen wollen, aber nicht können, besitzen die für das Riester-Sparen nötige Liquidität, da bei ihnen keine Ausgaben für die Kindererziehung anfallen. Es stimmt zwar, dass sie die Kinder anderer Leute auf dem Wege über das Steuersystem mitfinanzieren. Aber diese Mitfinanzierung ist volumenmäßig viel zu klein, als dass sie einen nennenswerten Rentenanspruch begründen könnte. Das Volumen ist nicht nur viel kleiner als die Kosten der Kindererziehung, sondern - wie Rechnungen des Ifo-Instituts zeigen - vor allem nur ein Bruchteil der Vorteile, die sie selbst aus der umlagefinanzierten Rentenversicherung erzielen.

Bei alldem sollten aus Gründen des Vertrauensschutzes allerdings die bereits aufgebauten Anwartschaften nicht angetastet werden. Es geht nicht um die Rentner von heute und morgen, sondern um die Rentner von übermorgen, die heute auf dem Wege einer Rentenreform noch rechtzeitig auf die notwendigen Rentenkürzungen vorbereitet werden können und denen genug Zeit für ein kompensierendes Riester-Sparen bleibt, wenn sie sich gegen Kinder entscheiden oder keine Kinder bekommen können.

Seitenanfang