Hände weg von der Entfernungs-Pauschale

Autor/en
Hans-Werner Sinn
Süddeutsche Zeitung, 25. September 2003, S. 20

Sind die Kosten für die Fahrt zum Arbeitsplatz nicht mehr absetzbar, drohen Fehlentscheidungen der Bürger

Bei der Suche nach neuen Steuereinnahmen erwägt die Regierung nun, die so genannte Entfernungspauschale für Arbeitnehmer auf 15 Cent pro Kilometer zu kürzen. Dieses als "Subventionsabbau" zu begründen, bedeutet eine Begriffsverwirrung, denn ein Subventionsabbau führt zur Verminderung der Ausgaben des Staates, nicht zur Erhöhung der Einnahmen, wie es die Kürzung der Kilometer-Pauschale tut. Aber es geht nicht um Semantik, sondern um ökonomische Vernunft. Richtig ist, dass der Abbau der Pauschale die Wege der Pendler verringern wird, weil viele von ihnen nicht mehr solche Arbeitsplätze wählen werden, die entfernter liegen. Nun sagen die einen, weniger Verkehr sei besser, während die anderen sagen, Mobilität sei gut. Wer hat Recht?

In der Marktwirtschaft ist das Kriterium für das richtige Verhalten der Menschen in aller Regel zunächst die Situation ohne staatlichen Einfluss, also ohne die Einkommensteuer. Die Einkommensteuer ist neutral und verzerrungsfrei, wenn ihre Erhebung die Wahlentscheidungen der Menschen nicht verändert. Ein Beispiel: Gesetzt den Fall, einem Arbeitnehmer wird ein entfernter Arbeitsplatz angeboten, bei dem er vor Steuern im Jahr 5000 Euro mehr an Werten erzeugt und auch verdient, jedoch 4000 Euro an zusätzlichen Wegekosten hat. Dann würde er den Arbeitsplatz annehmen, wenn es keine Steuern gäbe. Durch seine Entscheidung entsteht im Vergleich zum Verharren auf dem alten Arbeitsplatz ein verteilbarer Überschuss von 1000 Euro.

Ein effizientes Steuersystem, das die Entscheidung nicht verändert, erlaubt den Abzug der tatsächlichen Wegekosten. Es definiert das zusätzliche steuerpflichtige Einkommen als 5000 Euro Lohn minus 4000 Euro Wegekosten, also als 1000 Euro. Wenn von diesen 1000 Euro ein Teil, sagen wir die Hälfte, weggesteuert wird, wird der Vorteil aus dem Arbeitsplatzwechsel zwar kleiner, aber er bleibt als solcher erhalten. Deshalb findet der Arbeitsplatzwechsel nach wie vor statt. Der gesellschaftliche Überschuss in Form von 1000 Euro infolge des Arbeitsplatzwechsels, geht in dem Beispiel zur Hälfte an den Staat und zur Hälfte an den Arbeitnehmer.

Ineffizientes System

Ein System, das den Abzug der Kosten nicht erlaubt, würde das private Verhalten im Vergleich zur Situation ohne Steuern jedoch ändern und ist deshalb ineffizient. Der Netto-Lohnzuwachs betrüge in einem solchen System noch 2500 Euro, und nach Abzug der Brutto-Wegekosten von 4000 Euro entstände ein privater Verlust von 1500 Euro, obwohl nach wie vor ein sozialer Gewinn für den Arbeitnehmer und den Staat in Höhe von 1000 Euro winkt. Der Arbeitnehmer würde sich nun hüten, die Stelle zu wechseln, und ein möglicher Gewinn für alle Beteiligten würde nicht realisiert.

Diese Überlegungen sind nicht auf die Wegekosten beschränkt, sondern berühren die ökonomischen Grundprinzipien der Besteuerung. Immer wenn eine Steuer mehr oder weniger als den Abzug der wahren Kosten erlaubt, ruft sie schädliche Verhaltensänderungen hervor. Genau deshalb sind Werbungskosten grundsätzlich abzugsfähig. Verlässt man das Prinzip der Abzugsfähigkeit der tatsächlichen Werbungskosten, so wirft man Sand in das Getriebe der Wirtschaft. Indem man bestimmte Kosten mit Sondersteuern belegt, lässt man sie im privaten Kalkül der Bürger größer erscheinen, als sie wirklich sind, und provoziert ökonomische Fehlentscheidungen.

Um die Reduktion der Kilometer-Pauschalen zu rechtfertigen, muss man schon argumentieren, dass diese Pauschalen größer als die tatsächlichen Wegekosten sind. Bei derzeit nur 36 Cent für die ersten zehn Kilometer und 40 Cent ab dem elften ist dies aber kaum möglich. Die ADAC-Zahlen zu den Geldkosten der Autofahrt liegen bei 50 Cent und mehr. Um Sondersteuern für die Fahrt zum Arbeitsplatz zu begründen, könnte man allenfalls jene Kosten anführen, die den Arbeitnehmern noch nicht angerechnet werden - beispielsweise für Umweltverschmutzung oder Straßenbau.

Aber dies lieferte nur schwache Argumente angesichts des Umstandes, dass es mit der Mineralölsteuer und neuerdings auch der Straßenmaut sehr viel zielgenauere Mittel zur Umlegung dieser Kosten gibt. Deshalb: Hände weg von der Entfernungs-Pauschale!

Prof. Dr. Hans-Werner Sinn ist Präsident des Ifo-Instituts München.