Mehr Kinder - niedrigere Rentenbeiträge?

Autor/en
Hans-Werner Sinn
VBKISpiegel, 6/2004, S. 40

Pro und Contra

Pro

Prof. Dr. Dr. h. c. Hans-Werner Sinn
Präsident des ifo Institut für Wirtschaftsforschung e.V. München

In Relation zu seiner Bevölkerung hat Deutschland weniger Kinder als jedes andere Land der Erde. Wirtschaftliche Stagnation und Rentenkrise sind nur zwei der problematischen Folgen dieser Entwicklung. Zu den Ursachen der demografischen Krise gehört aber sicherlich das umlagefinanzierte System der Rentenversicherung selbst. Dieses System hat die demografische Krise, unter der es nun leidet, selbst mit hervorgerufen. Die Rentenversicherung ist eine Versicherung gegen Kinderlosigkeit. Auch wenn man selbst keine Kinder haben kann, muss man im Alter nicht hungern, weil man von den Kindern anderer Leute ernährt wird. Der gegenseitige Versicherungsschutz ist ein großer Vorteil für alle Beteiligten. Problematisch ist aber, dass er die ökonomischen Gründe für den Kinderwunsch aus der Familienplanung ausblendet, indem er die Leistung der Kinder an die vorangehenden Generation fast vollständig sozialisiert. Vor der Einführung der Rentenversicherung durch Bismarck war es auch in Deutschland üblich, Kinder zu bekommen, um den eigenen Alterskonsum sicherzustellen. Heute verbindet jedoch kaum ein junges Paar den Kinderwunsch noch mit der Frage, wie der eigene Lebensabend zu sichern ist. Der Vollkaskoschutz gegen Kinderlosigkeit hat eine Vollkaskomentalität erzeugt.

Wenn nun die Deutschen weniger Kinder haben als frühere Generationen, also weniger Humankapital bilden, müssen sie als Ersatz Realkapital anhäufen, um so die mangels Nachkommen wegfallenden Rententeile zu ersetzen. Dies ist die richtige Überlegung, die zur Riesterrente und zur Rentenkürzung im Umlagesystem geführt hat. Die Riesterrente ist aber noch nicht zu Ende gedacht. Sie verringert die Fehlanreize für die Familienplanung nicht und führt zu kaum tragbaren Lasten bei Familien mit Kindern. Die Familien finanzieren mit ihren Rentenbeiträgen die Ernährung der Generation ihrer Eltern. Sie finanzieren durch die Erziehung ihrer Kinder die Renten der Zukunft. Und zusätzlich sollen sie auf dem Wege des Riester-Sparens ihre eigenen Renten noch einmal finanzieren. Zwei Lasten sind im Generationenzusammenhang normal. Die dritte ist eine zuviel.

Statt eine ganze Generation kollektiv in die Verantwortung zu nehmen, sollten die notwendigen Rentenkürzungen und das kompensierende Riester-Sparen auf die Kinderlosen fokussiert werden. Wer keine Kinder bekommen will oder kann, dem kann zugemutet werden, dass er das Geld, das andere für die Kindererziehung ausgeben, am Kapitalmarkt anlegt, um sich auf diese Weise eine Zusatzrente zu verschaffen. Der Grad der Sozialisierung der Kinder durch das Rentensystem wird zurückgeführt. Der Staat wird aus dem Ehebett vertrieben.

Konkret könnte man so verfahren. Die gesetzliche Rente wird beibehalten, aber sie wird auch nicht immer wieder von neuem mit Steuergeldern aufgeplustert. Beitragssatz und Bundeszuschuss werden eingefroren. Dann fällt das Rentenniveau in dreißig Jahren auf die Hälfte, weil jeder Erwerbstätige doppelt so viele Alte zu ernähren hat. Auch mit der Erhöhung der Altersgrenze und der Vermehrung der Frauenerwerbstätigkeit fällt es von jetzt 48% auf ca. 32%, das heutige Sozialhilfeniveau. Das reicht hinten und vorne nicht. Also bedarf es aufstockender Rentensäulen. Die eine Säule ist die Kinderrente für Eltern. Wer Kinder groß gezogen hat, bekommt eine umlagefinanzierte Rente, die die Gesamtrente zusammen mit der siechenden Altrente wieder auf 48% hebt. Bezahlt wird diese Rente von allen dann erwerbstätigen Personen einschließlich der Selbständigen und Beamten. Die andere Säule besteht in einem erweiterten Riester-Sparen zu etwa 8% des Lohneinkommens, die die Gesamtrente ebenfalls auf 48% hebt. Das Sparen ist Pflicht. Jeder, der in das Erwerbsleben eintritt, muss mitmachen, bis er Kinder bekommt. Wird das erste Kind geboren, wird ein Drittel der angesammelten Ersparnis ausgeschüttet, und ein Drittel des weiteren Pflichtsparens wird erlassen, denn Humankapital mit einem entsprechenden Rentenanspruch steht nun als Ersatz des Realkapitals zur Verfügung. Und so wird bei jedem weiteren Kind bis zu drei Kindern verfahren.

Junge Paare wissen nun, wie es wirklich ist. Zur Sicherung des Alterskonsums müssen sie sparen oder Kinder groß ziehen. Viele werden sich angesichts dieser Verhältnisse entschließen, sich ihren latent vorhandenen Kinderwunsch zu erfüllen. Außerdem ist die Rente gesichert, weil entweder Real- oder Humankapital zu ihrer Finanzierung zur Verfügung steht. Nur so kann Deutschland seine Krise meistern.

Contra

Prof. Dr. Hans D. Barbier
Vorsitzender der Ludwig-Erhard-Stiftung

Ein Bonus für Rentner, die Kinder bekommen haben? Ein Malus für Rentner, die keine Kinder bekommen haben? Das kann man machen. Man sollte es aber nicht tun - jedenfalls nicht in zivilisierten Breiten. Es ist wahr: In Deutschland wird es ein Rentenproblem geben, das auch etwas mit der Demografie zu tun hat. Darauf sollte man sich einstellen. Aber Zeugungsprämien in der Rentenversicherung sollten nicht in den Instrumentenkasten der Sozialpolitiker oder der Gesellschaftspolitiker gepackt werden. Bevölkerungspolitiker sollten erst gar nicht zu Kabinettsrang kommen.

Wenn Renten im Umlageverfahren finanziert werden, dann sollte es bei der Formel bleiben: Die Rente richtet sich nach den gezahlten Beiträgen. Eine solche Rechnung mit Zeugungserfolgen zu belasten, kann nur in den Horror führen. Was ist mit Ehepaaren, die sich vergeblich bemüht haben, Kinder zu bekommen? Sollen die sich jede erfolglose Bemühung ärztlich bescheinigen lassen, um einem Rentenabzug zu entgehen? Was ist mit Kindern, die als Zwanzigjährige in eine Sozialhilfekarriere einschwenken und dort über Jahrzehnte verbleiben? Ist das der Nachwuchs, der zur Auszahlung einer "Rente mit Zeugungserfolg" berechtigt? Oder was ist mit dem jungen Physiker, der nach dem Studium in die Vereinigten Staaten geht, um dort eine lebenslange Berufskarriere in der Forschungsabteilung eines Elektronikkonzerns einzuschlagen? Was leistet der - in der schrecklichen Logik einer Rentenformel mit Zeugungserfolg - für die Stabilität des deutschen Rentensystems?

Es gibt bessere Mittel, um auch bei verändertem Bevölkerungsaufbau dem Rentensystem ein wenig zur Hilfe zu eilen. Wenn die Menschen dank des medizinischen Fortschritts älter werden und wenn junge Paare aus Gründen, die wir nicht im einzelnen kennen, die wir uns aber als recht vielfältig und sehr persönlich vorstellen dürfen, auf Nachwuchs verzichten, wenn diese beiden Effekte zusammenkommen, dann hilft es schon, den Missbrauch der Frühverrentung aufzugeben. In einer in Gesundheit alternden Gesellschaft empfiehlt es sich, länger zu arbeiten: so einfach kann Rentenrechnung sein.

Und es hilft auch, das aus der Bergbauernökonomie stammende Umlageverfahren der Rentenfinanzierung schrittweise durch ein System der Kapitaldeckung abzulösen oder doch wenigstens kräftig zu ergänzen. In einer offenen Welt konvertibler Währungen hilft das mehr als manche Ökonomen meinen.

Insgesamt: Es wäre falsch zu sagen, ein stark verändertes Bild des Altersaufbaus stelle kein Problem der Rentenfinanzierung dar. Daraus folgt aber nicht, dass es richtig wäre, die Lösung in Kinderprämien oder Kinderlosigkeitsstrafen zu suchen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Seitenanfang