Lohnerhöhung ist Gewinnsenkung

Autor/en
Hans-Werner Sinn
Abendzeitung, 28.03.2007, Nr. 73/13, S. 6

Zum Kaufkraftargument von Detlef Wetzel, IG Metall

Seine Forderung nach einer Tariferhöhung um 6,5 Prozent begründete der nordrhein-westfälische Vertreter der IG Metall, Detlef Wetzel, vergangene Woche mit einem Zitat Henry Fords: „Autos kaufen keine Autos." Man müsse die Löhne kräftig erhöhen, damit neue Kaufkraft in der Wirtschaft entstehe und sich die Nachfrage weiter belebe.

Es ist rührend zu sehen, wie sich die IG Metall um das Gemeinwohl sorgt. Doch leider ist das Kaufkraftargument schon aus logischen Gründen falsch: Eine Lohnerhöhung ist eine Gewinnsenkung, und so, wie Lohnerhöhungen die Kaufkraft der Arbeitnehmer erhöhen, senken sie jene der Arbeitgeber. Die bestehende Kaufkraft wird also nur anders verteilt. Zwar steigt der Konsum der Arbeitnehmer, wenn bei gegebener Beschäftigung mehr Lohn gezahlt wird. Doch nimmt die Investitionsneigung ab, weil die Lohnerhöhung viele potenzielle Investitionsprojekte unter die Rentabilitätsschwelle drückt und das verringert die Nachfrage.

Auch Investitionen sind Nachfrage: Man kann das Sozialprodukt aufessen; dann ist es Konsum. Oder man kann es auf den Haufen legen, den wir Kapitalstock nennen; dann ist es eine Investition. Beides ist Nachfrage nach den Produkten aus laufender Produktion. Autos kaufen vielleicht keine Autos, aber Investoren kaufen Maschinen und Bauleistungen. Eine Lohnerhöhung senkt diesen Teil der Binnennachfrage. Das sollte Herr Wetzel nicht übersehen.

Eine Gesellschaft, die im Verhältnis zu ihrer gesamtwirtschaftlichen Produktivität niedrige Löhne hat und die dementsprechend dauerhaft einen höheren Prozentsatz ihres Sozialprodukts investiert und einen kleineren Prozentsatz konsumiert, baut ihre Produktionskapazität schneller auf. Sie wächst deshalb schneller. Ihre Produktion und ihre Lohneinkommen steigen rascher an. Das schlägt sich auf die Dauer trotz der anfänglichen Lohnzurückhaltung in höheren Löhnen und einem höheren Konsumniveau nieder.

Der derzeitige Boom der deutschen Wirtschaft ist der beste Beweis dafür, dass es für eine gute Konjunktur auf eine sofortige Erhöhung der Konsumgüternachfrage auch gar nicht ankommt. Obwohl der Konsum stagnierte, ging die Post ab. Während die private Konsumgüternachfrage nur um schlappe 0,8 Prozent anstieg, nahm die Investitionsgüternachfrage um 5,6 Prozent und das Bruttoinlandsprodukt um 2,7 Prozent zu. Wenn die Gewerkschaften nun so zulangen, wie sie es ankündigen, werden sie den Aufschwung bald wieder kaputt machen, weil sie den Firmen die Lust am Investieren nehmen.