Sarkozys geringe Chancen

Autor/en
Hans-Werner Sinn
Die Welt, 12.05.2007, Nr. 110, S. 14

Nicolas Sarkozy wird es nicht leicht haben. Seit vier Jahren schon boomt die Weltwirtschaft mit einer Wachstumsrate von etwa fünf Prozent, was ein historisch einmaliges Ereignis ist, aber die französische Wirtschaft macht nicht mit. Das Land liegt deutlich unter dem Durchschnitt der alten EU-Länder, wo für die Jahre 2007 und 2008 Wachstumsraten von 2,6% beziehungsweise 2,4% erwartet werden. Gegenwärtig ist Frankreich eins der Schlusslichter Europas, knapp vor Italien und Portugal. Sogar Deutschland wächst schneller. Mit einer Wachstumsrate von 2,7% schaffte es die deutsche Wirtschaft im Jahr 2006, wieder nahezu den Durchschnitt der alten EU-Länder zu erreichen, und für 2007 und 2008 wird ein Zuwachs von jeweils 2,4 prognostiziert.

Das niedrige Wachstum der Franzosen überrascht, denn bis vor Kurzem zeigte das Land noch gute Leistungen und überflügelte viele EU-Staaten. Während Deutschland in den Jahren 1995 bis 2005 nur um 14% wuchs und auf dem zweitletzten Platz knapp vor Italien rangierte, wuchs Frankreich um 23,6%. Das war fast der Durchschnitt der alten EU (24,3%). Im Jahr 2001 hat Frankreich Deutschland sogar beim Niveau überholt, und noch heute liegt das französische Bruttonationaleinkommen je Kopf um vier Prozent über dem deutschen. Nun aber scheint sich dieser Trend umgedreht zu haben.

Die Beschäftigtenzahlen in Frankreich waren schon des Längeren schlecht Im Jahr 2006 betrug die Arbeitslosenquote 9,4% und war damit einen ganzen Prozentpunkt höher als in Deutschland. Für das Jahr 2008 wird erwartet, dass die französische Arbeitslosenquote auf 8,2% sinkt, während die deutsche auf 6,3% fällt. Ähnliches ist bei der Staatsverschuldung zu beobachten. Deutschland verletzt den Stabilitäts- und Wachstumspakt nicht mehr und wird vermutlich im Jahr 2008 sogar ein ausgeglichenes Budget haben. Frankreich indes könnte in den Jahren 2007 und 2008 Defizitquoten von 2,4% und 2,3% aufweisen. Wenn der Aufschwung der Weltwirtschaft ins Stocken gerät, wird Frankreich von Neuem den Stabilitäts- und Wachstumspakt verletzen wie schon in den Jahren 2002, 2003 und 2004.

Was erklärt die Unterschiede in der Konjunkturentwicklung der beiden Länder? Da ist die unterschiedliche Spezialisierung beider Länder an erster Stelle zu nennen. Während Frankreich sich auf die Herstellung von Konsumgütern, vor allem Nahrungsmittel und Pharmazeutika, spezialisiert hat, ist Deutschland der führende Exporteur von Investitionsgütern. Da der gegenwärtige Boom der Welt- wirtschaft größtenteils von der Nachfrage nach Investitionsgütern und weniger von der Nachfrage nach Konsumgütern getragen wird, profitiert nur Deutschland in vollem Maße von ihm. Deutschland ist das Land, bei dem der Rest der Welt seine Maschinen einkauft. Deutschland hat 450 Weltmarktführer bei industriellen Nischenprodukten und weitere 500 Unternehmen in der Top-drei-Kategorie. In Deutschland finden 15 der 20 weltweit größten Messen statt, wenn man die Ausstellungsfläche in der Halle als Maßstab nimmt Und das Land ist bekanntlich Weltmeister bei den Güterexporten. Kein Wunder, dass das deutsche Wirtschaftswachstum anzieht, wenn die weltweite Nachfrage nach Kapitalgütern in die Höhe schießt.

Natürlich hat Deutschland auch weiterhin eine Menge Probleme. Das Land verwandelt sich schrittweise in eine Basar-Ökonomie, indem es seine Werkbänke in die Niedriglohnländer des ehemaligen Ostblocks verlagert Dies ist auch einer der Gründe, warum der Aufschwung des Jahres 2006 nicht zu zusätzlichen Arbeitsplätzen in der deutschen Industrie geführt hat, warum Deutschland immer noch den bedenklichen Titel des Weltmeisters bei der Arbeitslosigkeit der Niedrigqualifizierten trägt. Zwar wird sich die französische Wirtschaft mittelfristig vermutlich wieder stabilisieren, weil sie über solidere inländische Sektoren verfügt als die deutsche, doch profitiert Deutschland definitiv mehr vom gegenwärtigen Konjunkturaufschwung.

Vielleicht lag der Fehler der französischen Politik darin, die kleinen und mittelständischen Firmen zu vernachlässigen und sich zu sehr auf die staatlich kontrollierten Megaunternehmen zu spezialisieren. Airbus, Renault, Credit Lyonnais und Aistom sind allseits bekannte Beispiele für fehlgeschlagene Industriepolitik, die französische Steuergelder verschwendet hat und eng mit dem Namen Sarkozy verbunden ist. Das eigentliche Problem Frankreichs ist die hohe Zahl staatseigener Unternehmen, die zwar sehr geschäftig, aber nicht sonderlich erfolgreich auf ihren Märkten agieren. In Frankreich arbeiten 25% der abhängig Beschäftigten im Staatssektor, in der EU-15 sind es 19% und in Deutschland gar nur 12%. Die französische Staatsquote beträgt 54%, die deutsche nur 47%. Mit Ausnahme Italiens ist Frankreich das Land mit der größten Linksorientierung der Bevölkerung und der Politik. Der staatliche Interventionismus ist dort populärer als in den meisten anderen europäischen Ländern. Und insofern, als die Linkslastigkeit zu Verhältnissen geführt hat, in denen kleine und mittelständische Unternehmen nicht florieren konnten, hat sie zu den französischen Problemen beigetragen.

Es bleibt abzuwarten, ob der neue französische Präsident das Steuerrad herumreißen und das Land auf Erfolgskurs bringen kann. Die Chancen sind nicht besonders groß. Sarkozy wird vermutlich einiges zur Erhöhung der Flexibilität des französischen Arbeitsmarktes tun, was für einen strukturellen Wandel und die Expansion kleiner Firmen unerlässlich ist Aber er wird die schwerfälligen französischen Giganten wahrscheinlich auch weiterhin mit Steuergeldern päppeln, wie er es in der Vergangenheit allzu oft getan hat.

Hans-Werner Sinn ist Professor für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft und Präsident des Ifo-Instituts