Sozialismus und Neid

Hans-Werner Sinn über das deutsche Gleichheitsideal und die Millionärssteuer
Autor/en
Hans-Werner Sinn
Wirtschaftswoche, 18.08.2005, S. 114

Der deutsche Verfassungsrichter Udo Steiner hat einmal gesagt, die Deutschen seien gleichheitskrank. Das ist eine höfliche Umschreibung des Neidkomplexes, unter dem unser Volk leidet. Die Deutschen haben den Sozialismus erfunden. Und der Sozialismus ist in seinem Kern eine Ideologie des Neides, der Versuch, die Missgunst hoffähig zu machen und ihr eine akzeptierte gesellschaftliche Organisationsform zu verschaffen. Die von Karl Marx und Friedrich Engels formulierte Neidideologie hat sich von Deutschland aus über die ganze Welt verbreitet und wurde für 28 Prozent der Menschheit ein halbes Jahrhundert lang zur Staatsräson. Ein Fünftel unseres Volkes hat das Experiment nolens volens mitgemacht.

Auch der Nationalsozialismus hat den Neidkomplex weidlich für seine Ziele ausgeschlachtet. Der Bezug auf den Sozialismus im Namen ist kein Zufall. Hitler wusste, wie er den Bedürfnissen der Arbeiterschaft und des Kleinbürgertums gerecht werden konnte. Auch die Judenverfolgung war zu einem erheblichen Teil durch die Missgunst des Proletariats gegenüber dem wohlhabenden Bürgertum motiviert. Die Juden waren wirtschaftlich erfolgreich und bekleideten einen weitaus höheren Anteil der besser bezahlten Posten der Gesellschaft, als es ihrem Bevölkerungsanteil entsprach. Sie waren das natürliche Opfer des Neidkomplexes.

Ausgerottet ist der Neidkomplex immer noch nicht, er wechselt nur seine Kleider. Zwar setzt sich heute nicht einmal mehr die PDS für eine sozialistische Planwirtschaft ein, doch durchzieht der Neid unter dem Deckmantel der Forderung nach sozialer Gerechtigkeit die öffentlichen Debatten. Er behindert den Blick auf die ökonomischen Notwendigkeiten in der Zeit der Globalisierung und lähmt Parlament und Regierung bei der Suche nach adäquaten Politikreaktionen.

Kaum ein Politiker wagt es, der Bevölkerung klarzumachen, wie eine Marktwirtschaft funktioniert. Es wird verschwiegen, dass Ungleichheit die Voraussetzung für wirtschaftliche Prosperität ist und dass die Entlohnung in der Marktwirtschaft nicht nach dem Prinzip der Gerechtigkeit, sondern nach dem Prinzip der Knappheit erfolgt. Und die Bevölkerung wird im Unklaren darüber gelassen, dass mehr Gleichheit nur um den Preis eines schrumpfenden Kuchens, der für alle zusammen zur Verteilung zur Verfügung steht, zu haben ist. Neoliberale Erkenntnisse sind geradezu verpönt.

Reichtum ist in Deutschland verdächtig, insbesondere solcher, der auf eigener Arbeit beruht. Alter Adel und ererbter Reichtum wird noch halbwegs akzeptiert. Auch der Reichtum der Fußballspieler, der Tennisasse und der Medienstars wird toleriert. Aber wehe, jemand ist „neureich“ und hat seinen Reichtum durch seinen eigenen Einsatz, Risikobereitschaft, Fleiß oder auch nur Glück erworben. Dann wird die Sache verdächtig. Wer seine Position auf der gesellschaftlichen Hühnerleiter verbessert, dem werden sogleich unlautere Machenschaften unterstellt. Er wird beargwöhnt, weil er dadurch die relative Position der anderen verschlechtert.

Die Präferenzen der Deutschen sind nämlich nur zu einem Teil auf das eigene Wohlergehen ausgerichtet. Fast wichtiger ist ihnen, wie gut oder schlecht es ihnen im Verhältnis zu ihren Nachbarn geht. Vermutlich würden sich viele Leute selbst dann glücklicher wähnen, wenn man den Reichen einen Teil ihres Reichtums wegnähme, um ihn anschließend zu vernichten.

Ganz anders sind hier die Amerikaner. Dort wird Reichtum bejaht. Der Neid ist dort nicht hoffähig, sondern wird politisch geächtet. Da jeder es zumindest in der Vorstellung vom Tellerwäscher zum Millionär bringen kann, missgönnt er dem Millionär seinen Reichtum nicht, sondern strebt lieber danach, selbst einer zu werden. Die Folgen für das wirtschaftliche Wachstum und den allgemeinen Wohlstand sind sichtbar.

In Deutschland will man nicht vom Tellerwäscher zum Millionär werden, sondern löst das Problem lieber mit einer Millionärssteuer. Kurz nach Abschaffung des Bankgeheimnisses und der Gesetzgebung zur Offenlegung der Managergehälter haben sich gleich mehrere Parteien eine Millionärssteuer auf ihre Fahnen geschrieben. Begründet wird sie mit der angeblichen Umverteilung von unten nach oben durch die Steuerreform.

Dies zeugt von einer abenteuerlichen Begriffsverwirrung, reflektiert aber verbreitete Besitzstandsvorstellungen. Naturgemäß hat die Senkung des Spitzensteuersatzes in der Einkommensteuer den Reichen mehr Vorteile gebracht als den Armen. Da die untersten 40 Prozent der Einkommensbezieher fast gar keine (drei Prozent) Einkommensteuer zahlen und die obersten zehn Prozent etwa die Hälfte (53 Prozent) des Aufkommens erbringen, kann es nun einmal nicht anders sein.

Eine Millionärssteuer, die eine Einkommensgrenze von einer Million Mark oder 500 000 Euro hat, würde 36 000 Steuerpflichtige mit Gesamteinkünften von 49 Milliarden Euro erfassen. Bislang zahlen diese Steuerpflichtigen etwa 20 Milliarden Euro Einkommensteuer. Es sind also noch 29 Milliarden Euro „drin“, was einem guten Drittel der jährlichen Nettoverschuldung des Staates entspricht.

Warum macht man eigentlich nicht gleich reinen Tisch und nimmt den Millionären alles weg? Dann hätte man für ein, zwei Jahre vielleicht diese 29 Milliarden als zusätzliche Steuereinnahmen, und anschließend könnte man den Laden dichtmachen. Spätestens dann hätten sich nämlich die Millionäre mit ihren Einkommen davongemacht, Deutschlands Wirtschaft wäre zusammengebrochen – und mit ihr die anderen Steuereinnahmen des Staates. Wir wären alle gleichmäßig arm und die Neidpräferenzen dann endlich befriedigt.