Keine weitere Sozialisierung europäischer Schulden

Keine weitere Sozialisierung europäischer Schulden - Werner Sinn zu den Stellschrauben der Krisenbewältigung
Autor/en
Hans-Werner Sinn
Leibniz Journal 2/2012, 01.09.2012, S.17

Hätte man vor 20 Jahren gewusst, in welchen Schwierigkeiten die Eurozone heute steckt und welchem Druck man ausgesetzt ist, hätte Deutschland dem Euro nie zugestimmt, zumindest nicht mit allen Ländern, die heute dabei sind.

Der Euro hat Europa offenbar kein wirtschaftliches Gleichgewicht gebracht. Der Südwesten Europas, inklusive Frankreich, steckt heute in einer tiefgreifenden Wirtschaftskrise, während Deutschlands Wirtschaft nach langen Jahren der Flaute prosperiert.

Dies war nicht immer so. In der Zeit von der Ankündigung des Euro beim Gipfel in Madrid 1995 bis zum Beginn der Finanzkrise 2007 fiel Deutschland beim Bruttoinlandsprodukt pro Kopf vom dritten auf den elften Platz der heutigen EU-Länder zurück. Ein Grund dafür lag im durch den Euro erzeugten Kapitalexport von Deutschland in den Süden des Euroraums. Um seine Wettbewerbsfähigkeit wiederherzustellen, durchlief Deutschland in dieser Zeit einen Prozess der realen Abwertung durch Preisund Lohnzurückhaltung.

Die Erfolge kamen erst nach dem Ausbruch der Krise, weil Deutschland davon profitierte, dass die Kapitalanleger es vorzogen, im sicheren Heimathafen Deutschland zu investieren. Es robbte sich vom elften auf den neunten Platz voran.

Es gibt für Deutschland keine Verdichtung des Euroraums auf einen funktionsfähigen Kern Veranlassung, nach seiner eigenen Eurokrise nun noch für die Krise der anderen Länder zu bezahlen, zumal es das nicht schaffen würde. Die Krisenländer haben schon viele Hundert Milliarden Euro an öffentlichen Hilfen erhalten, davon über 1.000 Mrd. allein von der EZB, und doch reicht das Geld nicht aus. Wenn man alle Hilfen zusammen nimmt, liegt das Rettungsvolumen heute bereits bei 1,6 Bill. Euro, und es wird auf 2,3 Bill. Euro steigen, wenn der ESM ausgeschöpft wird. Sollten die Krisenländer pleitegehen und aus dem Euro austreten, verlöre Deutschland mehr als 778 Mrd. Euro. Bleiben sie drin, weil sie weiter finanziert werden, werden die Verluste noch größer.

Weitere Hilfsgelder werden nicht helfen, denn sie kurieren nur die Symptome. Das Problem des Euroraums liegt darin, dass die südlichen Länder durch den billigen Kredit, den der Euro brachte, zu teuer geworden sind und ihre Wettbewerbsfähigkeit verloren haben. So ist Griechenland heute um etwa 60% teurer als die Türkei.

Was immer an Reformen und Produktivitätsverbesserungen angedacht wird: Diese Maßnahmen wirken nur dann und in dem Maße, wie sie die Länder relativ zu ihren Wettbewerbern billiger machen. Will man keine Inflation in den Kernländern des Euroraums in Gang setzen, gibt es nur zwei Wege: Die Lander treten aus und werten ihre neuen Währungen ab, oder sie bleiben im Euro und akzeptieren ein langes Siechtum, um ihre Preise zu drücken. So oder so stehen schmerzliche Entscheidungen an.

Es ist an der Zeit, über eine Verdichtung des Euroraums auf einen funktionsfähigen Kern nachzudenken. Statt den Austritt mit dem Weltuntergang gleichzusetzen, sollte die Politik lieber nach Wegen suchen, ihn geordnet und verträglich zu gestalten. Da wir keinen gemeinsamen Staat haben, muss es möglich sein, ein Zwischending zwischen einem Festkurssystem mit unterschiedlichen Währungen und einer einheitlichen Währung, wie man sie innerhalb eines Staates unterhalten kann, zu konstruieren.

Prof. Dr. Dres. h.c. Hans-Werner Sinn ist Präsident des ifo Instituts — Leibniz- Institut fili Wirtschaftsforschung sowie Professor für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität München.