Varoufakis’ Plan B

Der griechische Finanzminister Varoufakis arbeitet an Plan B, dem Grexit, während Regierungschef Tsipras sich für Plan A zur Verfügung stellt. Das Rollenspiel gehört zur Strategie. Ein Kommentar von Hans-Werner Sinn.
Autor/en
Hans-Werner Sinn
Finanz und Wirtschaft, fuw.ch, (ref. Project Syndicate, Mai 2015), 01.06.2015.

Spieltheoretiker wissen, dass sie auch den Plan B durchdenken müssen, denn er ist der Drohpunkt, von dem das Verhandlungsergebnis für Plan A massgeblich abhängt. Der griechische Finanzminister Yanis Varoufakis arbeitet als Mann für das Grobe an Plan B, während Alexis Tsipras, sein Regierungschef, sich für Plan A zur Verfügung stellt. Das Rollenspiel gehört zur Strategie.

Die Vorbereitung von Plan B, dem Austritt aus dem Euro, hat zwei Elemente. Zum einen muss man provozieren, um die eigene Bevölkerung für den Fall eines Austritts zu emotionalisieren. Ohne die Eskalation des Streits wäre das griechische Volk nicht bereit, der Regierung während der schwierigen Zeit nach dem Austritt die Treue zu halten.

Zum anderen gilt es, die Kosten des Plans B für die Gegenseite in die Höhe zu treiben. Das tut die griechische Regierung, indem sie ihren Bürgern die Kapitalflucht erlaubt. Sie könnte die Flucht eindämmen, wenn sie sich konziliant zeigen würde, und sie könnte sie mit Kapitalverkehrskontrollen sofort unterbinden. Aber das würde ihren Drohpunkt verschlechtern.

Kapitalflucht erwünscht

Die Kapitalflucht heisst nicht, dass Kapital per saldo ins Ausland wandert, sondern nur, dass privates gegen öffentliches Kapital getauscht wird. Griechische Bürger leihen sich bei ihren Banken Geld, das im Wesentlichen durch ELA-Notfallkredite (Emergency Liquidity Assistance der Europäischen Zentralbank) der griechischen Notenbank gegenfinanziert wird. Dann überweisen sie das Geld ins Ausland, was die Banken der Liquidität beraubt. Die Überweisung zwingt die Notenbanken der anderen Länder, neues Geld zu schaffen und griechischen Bürgern zur Verfügung zu stellen. Damit geben diese Notenbanken der griechischen Notenbank einen Überziehungskredit, wie er durch die sogenannten Target-Salden gemessen wird.

Tritt Griechenland aus dem Euro aus, so haben die griechischen Kapitalflüchtlinge ihr Vermögen im Ausland in Sicherheit gebracht, während die ausländischen Notenbanken auf ihren Euro-Target-Forderungen gegenüber der griechischen Notenbank sitzen bleiben. Letztere ist dann nämlich bankrott, weil ihre Aktiva auf abgewertete Drachmen lauten und der griechische Staat weder haften muss noch haften kann. Im Januar und Februar stiegen die griechischen Target-Schulden um fast 1 Mrd. pro Tag, und Ende April lagen sie bei 99 Mrd. €. Kein Wunder, dass Varoufakis und Tsipras auf Zeit spielen und sich weigern, eine echte Reformliste vorzulegen.

Ähnlich ist es übrigens, wenn griechische Bürger Bargeld von ihren Konten abrufen, um es im Koffer zu vergraben oder ausser Landes zu schaffen. Auch dieses Geld, Ende April 43 Mrd. €, ist vor dem Umtausch gegen Drachme geschützt und verbessert den Drohpunkt der griechischen Regierung. Bei einem Austritt wird viel von diesem Geld für den Kauf von Gütern und Wertobjekten sowie für die Schuldentilgung in den Rest der Eurozone fliessen und insofern zu einem realen Verlust für die Staatengemeinschaft werden.

EZB als Athens Gehilfe

Ermöglicht wurde diese Verbesserung des griechischen Drohpunktes durch die EZB, denn die Zweidrittelmehrheit im EZB-Rat, die für eine Begrenzung der ELA-Notfallkredite nötig gewesen wäre, kam nie zustande, obwohl diese Kredite mit einem Gesamtvolumen von etwa 80 Mrd. € die Haftungsmasse der griechischen Notenbank, die bei etwa 41 Mrd. € liegt, schon lange überschritten haben. Die Notfallkredite haben die Banken trotz der Kapitalflucht liquide gehalten und der griechischen Regierung die Einführung von Kapitalverkehrskontrollen erspart.

Allerdings hört man, dass die EZB den ELA-Krediten nun doch in Bälde einen Riegel vorschieben wird. Sie hat sich bislang damit herausgeredet, dass die ELA-Kredite durch Pfänder gesichert seien, obwohl die Qualität dieser Pfänder vielfach unterhalb der Note BBB– lag, also nicht dem Investment Grade entsprach. Aber nun scheinen ihr doch Bedenken zu kommen. Zieht die EZB die Reissleine, wird Bewegung in die Verhandlungen kommen, weil die griechische Regierung ihren Drohpunkt durch Abwarten nicht mehr verbessern kann. Das macht aber nichts, denn auch so ist es ihr bereits gelungen, eine – gemessen an den Umständen – sehr gute Verhandlungsposition aufzubauen. Dank der Unterstützung durch die EZB wird sie eine Kombination aus Hilfsgeldern und einem Verzicht auf Reformauflagen erstreiten können, die wesentlich günstiger für sie ist als alles, was sie zu einem früheren Zeitpunkt hätte erreichen können.

Und sollte es doch zum Grexit kommen, dann hat sie mit den Nettoüberweisungen von 99 Mrd. € ins Ausland und dem Eurobargeld in Höhe von 43 Mrd. €, zusammen immerhin 79% des BIP von 2014, die maximal mögliche Erstausstattung für den Übergang in das Drachmeregime herausgeholt. Da sage einer, Varoufakis verstehe nichts von Politik.

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