Die Uhr läuft, deshalb: alles auf den Tisch!

Prof. Dr. Hans-Werner Sinn ist Präsident des ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung und Autor mehrerer Sachbücher zu wirtschaftspolitischen Themen. Soeben erschien sein Buch „Gefangen im Euro" im Redline Verlag. Der HAUPTSTADTBRIEF stellt die Kernaussagen aus dem darin enthaltenen Sechs-Punkte-Programm zur Bewältigung der Krise im Euroraum im Überblick vor.
Autor/en
Hans-Werner Sinn
Der Hauptstadtbrief, 03.07.2014, Nr. 123, S. 32-33

Die Uhr läuft, deshalb: alles auf den Tisch! Wie kommen wir aus der verfahrenen Situation der Rettungsmaschinerie politisch und ökonomisch wieder heraus? Nur durch rasche und einschneidende Reformen  

Von Hans-Werner Sinn

Die Euro-Rettungsuhr tickt. Die Kapitalanleger konnten sich aus dem Staube machen, weil der deutsche Staat und die Bundesbank an ihre Stelle getreten sind. Viele Hunderte von Milliarden Euro wurden dafür ausgegeben. Nur durch entschiedenes Handeln lässt sich jetzt der Frieden in Europa sichern und die schleichende Entmündigung der Bürger sowie die Entwertung ihrer Sparvermögen stoppen. Es sind sechs Punkte, die dafür umgesetzt werden müssen — bei den ersten drei handelt es sich um Sofortmaßnahmen, bei den anderen drei um langfristig richtige Maßnahmen:

Punkt 1: Alles auf den Tisch — Schuldenkonferenz und Schuldenschnitt. Schritt eins: eine große Schuldenkonferenz, bei der alle Schulden der Krisenländer auf den Tisch gelegt werden und bei der die Gläubiger und Schuldner anschließend über einen Schuldenerlass beziehungsweise Schuldenschnitt verhandeln. Es ist Vogel-Strauß-Politik, sich noch länger vorzumachen, die Schulden würden zurückgezahlt. Je länger man mit dem Abschied von dieser Illusion wartet, desto mehr Schuldenprogramme müssen aufgelegt werden, desto länger zieht sich das Siechtum hin und desto teurer wird die ganze Sache für die Steuerzahler.

Punkt 2: Das kleinere Übel — schneller Austritt überschuldeter Länder aus der Eurozone. Da, wo es unerlässlich ist, führt am — zumindest temporären — Austritt leider nichts vorbei. Wir täten gut daran, den Austritt einzelner Länder nicht mehr länger zum Weltuntergang zu stilisieren, sondern einen geordneten Weg dorthin zu beschreiben, der der Bevölkerung im Süden wieder Hoffnung gibt und der Bevölkerung im Norden den Schrecken der Inflation erspart. Zu den Austrittskandidaten zählen jene Länder, die unter dem Euro viel zu teuer geworden sind, um ihre Wettbewerbsfähigkeit auf absehbare Zeit erreichen zu können, allen voran Griechenland. Auch Portugal ist viel zu teuer. Mit Zypern wird es sich ähnlich verhalten, verlässliche Statistiken hierzu gibt es jedoch nicht. Auch Spanien ist bedingt als Austrittskandidat zu betrachten.

Punkt 3: Eigenleistungen — was die Euro-Krisenländer selbst tun können. Die Krisenländer können einiges tun, um das Vertrauen der Kapitalmärkte zurück zu gewinnen und mit ihren Kreditgebern handelseinig zu werden. Wenn sie überzeugt sind, ihre Schulden zurückzahlen zu können, aber der Meinung sind, die Zinsen seien zu hoch — warum bieten sie ihren Gläubigern dann nicht attraktive Pfänder an? Finnland hat bewiesen, dass es geht, es hat sich 1995 auf ähnliche Weise gerettet. Dabei wurden Pfandbriefe staatlicher Wohnungsbaugesellschaften eingesetzt, die mit staatlichem Immobilienvermögen besichert waren. Alternativ lässt sich auch an Vermögensabgaben durch die reichen Bürger der Krisenländer denken. Wenn ein Staat mithilfe solcher Abgaben seine Schulden senkt, kann er den Kapitalanlegern glaubhaft machen, dass er es ernst meint mit dem Schuldendienst, und seine Zinsen senken, ohne dass er dafür die Steuerzahler anderer Lander zur Kasse bitten muss.

Punkt 4: Neuordnung des EZB-Systems — damit keine neuen Kreditblasen entstehen. Von zenhaler Wichtigkeit: eine EZB-Reform. Nach der Überwindung der jetzigen Krise durch Schuldenschnitte und Austritte müssen die Spielregeln des gesamten Eurosystems grundlegend neu geordnet werden. Die Reform in drei Schlagworten: Stimmregeln ändern. Keine versteckte Staatsfinanzierung betreiben. Zugang zur nationalen Druckerpresse erschweren.

Punkt 5: Die „atmende Eurozone" — feste Regeln für zukünftige Ein- und Austritte. Wir brauchen klar geregelte Möglichkeiten des Ein- und Austritts von Staaten in die oder aus der Eurozone. Denn es hat sich nicht bewährt, nur Regeln für den Euro-Eintritt zu haben und den Austritt nicht vorzusehen. Wichtig ist, dass es bei Austritt eine Rückkehroption gibt — wenn die Abwertung stattgefunden, sich ein neuer, stabiler Wechselkurs gebildet und das Land Reformen durchgeführt hat, die Garant dafür sind, dass nicht dasselbe Problem nach einem zweiten Beitritt von Neuem auftaucht.

Punkt 6: Eine Konkursordnung für die Eurostaaten — um Chaos zu vermeiden, wenn Überschuldung eintritt, und um Verschuldung von vornherein zu begrenzen. Eine Konkursordnung macht Investoren deutlich, dass sie im Risiko stehen. Das hält die Verschuldung in Grenzen und stellt sicher, dass keine neuen inflationären Kreditblasen entstehen. Gerade wenn man die geordnete Konkursmöglichkeit vorsieht, verringert man — auch wenn es paradox erscheint — die Wahrscheinlichkeit dafür, dass ein Konkurs stattfindet. Gelungene Beispiele dafür gibt es — nicht zuletzt das amerikanische nach den bitteren Lektionen der ersten Jahrzehnte nach der Staatsgründung.