Schranken für die EZB

Hans-Werner Sinn fordert enge Regeln für die Bankenrekapitalisierung mit Gemeinschaftskapital.
Autor/en
Hans-Werner Sinn
Handelsblatt Nr. 189, 01.10.2013, S. 48

Die wichtigste Aufgabe der nächsten Legislaturperiode ist die Lösung der Euro-Krise und die Sicherung einer funktionstüchtigen gemeinsamen Währung durch Reformen, die die EZB zwingen, ihre fiskalische Regionalpolitik, die sie als Geldpolitik ausgibt, zu beenden. Eine Fortsetzung der Politik der temporären Beruhigung der Finanzmärkte durch eine Übertragung der Haftungsrisiken von den Investoren auf die Steuerzahler und Rentner der noch gesunden Länder destabilisiert Europa.

Die jetzt verantwortlichen Politiker werden nicht mehr im Amt sein, wenn die wegen der demografischen Krise ohnehin schon erdrückenden Rentenlasten mit den Haftungsrisiken aus der Euro-Krise zusammenfallen und eine für den Zusammenhalt der EU bedrohliche Gemengelage erzeugen. Die neue deutsche Regierung sollte sich die nachfolgende Agenda setzen. Ob sie dazu die Kraft und den Mut aufbringen wird, steht auf einem anderen Blatt.

Erstens: die Neuverhandlung des Maastrichter Vertrags, um das Gelddrucken in den Krisenländern zu beenden. Es geht nicht an, dass die EZB ohne Kontrolle der Parlamente zwei Drittel der internationalen Hilfskredite in den Krisenländern zur Verfügung stellt (782 von 1 106 Milliarden Euro) und die Parlamente dann die EZB vor Abschreibungsverlusten retten müssen, indem sie alternativlos ein Rettungspaket nach dem anderen billigen.

Die Parlamente müssen sich aus der Rolle des Erfüllungsgehilfen des EZB-Rats befreien. Es ist nötig, die fiskalischen Regionalkredite der EZB institutionell zu begrenzen und die vergebenen Kredite zu tilgen. Die Blaupause für Reformen bietet das US-Federal-Reserve-System. Wenn dieser Weg nicht gewählt wird, müssen zumindest die Stimmgewichte im EZB-Rat an die Haftung der Länder angepasst und die Abstimmungsregeln verändert werden.

Zweitens: die Beendigung des OMT-Programms. Es geht nicht an, dass die EZB eine kostenlose Versicherung für die Staatspapiere der Krisenländer anbietet und verspricht, Abschreibungsverluste auf diese Papiere zulasten der Steuerzahler der gesunden Länder zu übernehmen. Eine solche Politik führt zur Fehllenkung der Kapitalströme in Europa. Perspektivisch zwingt sie die Staaten der Euro-Zone, die Staatsschulden der Euro-Zone durch Euro-Bonds abzusichern, denn wenn die EZB die Papiere gekauft hat, wird man Euro-Bonds einführen müssen, um die EZB vor den Abschreibungsverlusten zu retten.

Die neue Regierung sollte, hoffentlich unterstützt vom Verfassungsgericht, zu verhindern suchen, dass der Bundestag durch die Vorentscheidungen des EZB-Rats wieder in eine alternativlose Zwangssituation gebracht wird, in der der Euro-Kollaps nur durch eine Vergemeinschaftung der Staatsschulden vermieden werden kann. Wie das Beispiel der ersten Jahrzehnte der USA zeigt, wäre dies der Weg zu einem Maximum an Zwietracht in Europa.

Drittens: die offene Währungsunion. Die Euro-Krisen werden immer wieder aufflammen, solange die Südländer ihr Wettbewerbsproblem nicht lösen. Nur eine offene Abwertung durch Austritt aus dem Euro oder eine reale Abwertung durch Deflation stehen als Lösungen zur Verfügung. Da Letzteres nur in begrenztem Umfang möglich ist, ohne den betroffenen Ländern im Übergang zum neuen Gleichgewicht zunächst eine Massenarbeitslosigkeit zuzumuten, an der sie zerbrechen könnten, sollte die Möglichkeit zum geregelten Austritt mit einer offenen Abwertung und einem Wiedereintritt nach Durchführung von Reformprogrammen eröffnet werden.

Viertens: eine Bankenunion ohne Haftungsunion. Europa braucht eine Bankenunion mit einer gemeinsamen Kontrolle der Banken, doch ohne eine gemeinsame Haftung der Steuerzahler für die Schulden der Banken. Nur die Gläubiger der Banken verfügen über das Vermögen, das zur Rekapitalisierung der Banken erforderlich ist, und nur, wenn sie die Konsequenzen ihrer Fehlinvestitionen tragen, werden sie sich bei weiteren Investitionen vorsehen.

Die Regierung sollte in den anstehenden Verhandlungen restriktive Regeln für die Rekapitalisierung der Banken mit Gemeinschaftsmitteln durchsetzen, auch wenn dies bedeutet, dass die Abschreibungsverluste bei der EZB sichtbar werden. Deutschland muss sich artikulieren, statt der EZB gegen die dringenden Mahnungen der Bundesbank immer wieder stillschweigende Zustimmung zu signalisieren.