Die Preise senken!

Hans-Werner Sinn glaubt, dass die Deflation die einzige Möglichkeit ist, die griechische Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen.
Autor/en
Hans-Werner Sinn
Handelsblatt, 02.03.2012, Nr. 45, S. 80

Unter erheblichem Druck von außen ringen sich die Krisenländer des Euro-Raums zu schmerzlichen Einschnitten beim Staatsetat durch. Gehälter werden gekürzt, und Staatsbedienstete werden entlassen, um die Neuverschuldung auf ein erträgliches Maß zu senken. Und doch verbessert sich die Wettbewerbsfähigkeit nicht.

Die neuesten Eurostat-Zahlen zur Entwicklung des Preisindexes der selbst erzeugten Waren (BIP-Deflator) zeigen in den meisten Krisenländern keinerlei Tendenz zur realen Abwertung. Eine reale Abwertung durch Senkung der Preise gegenüber den Wettbewerbern im Euro-Raum ist aber das einzige Mittel, Wettbewerbsfähigkeit wiederherzustellen. Auch eine Senkung der Lohnstückkosten durch Produktivitätszuwächse kann die Wettbewerbsfähigkeit nur in dem Maße erhöhen, wie sie tatsächlich eine Preissenkung bewirkt.

Die Krisenländer waren in der Phase des billigen Kredits, die mit dem Euro gekommen war, inflationär aufgeblasen worden. Dadurch ging die Wettbewerbsfähigkeit verloren. Es entstanden Leistungsbilanzdefizite und riesige Außenschulden. Nun, da die Kapitalmärkte diese Defizite nicht mehr zu finanzieren bereit sind, muss der Rückwärtsgang bei den Preisen eingelegt werden. Aber der ist offenkundig blockiert.

Im Jahr 2010 war die Inflation in einigen Krisenländern hinter der der Wettbewerber im Euro-Raum ein wenig zurückgeblieben. Die neuesten Eurostat-Zahlen für das dritten Quartal 2011 bieten aber schon wieder ein anderes Bild. Danach hat sich das Preisniveau im Jahresvergleich in Portugal und Griechenland gegenüber dem des Rests der Euro-Zone praktisch nicht verändert, und in Italien und Spanien ist es sogar leicht gestiegen (plus 0,4 Prozent beziehungsweise 0,3 Prozent).

Nur Irland setzte mit einer relativen Preissenkung von 2,2 Prozent den raschen Abwertungstrend fort, der schon seit dem Platzen der irischen Immobilienblase im Jahr 2006 zu beobachten ist. Insgesamt ist Irland in den letzten fünf Jahren im Vergleich zu den Wettbewerbern im Euro-Raum um 15 Prozent billiger geworden. Das hat sich ausgezahlt. Während Irland noch 2008 ein Leistungsbilanzdefizit in Höhe von 5,6 Prozent des BIP aufwies, erwartet die EU-Kommission für 2011 ein Plus von 0,7 Prozent. Irland hat die Wende geschafft, weil es über ein leistungsfähiges Exportgewerbe verfügt, dessen Lobby eine politische Kehrtwende durchsetzen konnte. Griechenland steht demgegenüber unter dem Einfluss einer starken Importlobby.

Wie der griechische Wirtschaftsminister Michalis Chrysochoidis mitteilte, waren daran die Hilfen der EU selbst schuld. Sie haben die Unternehmer des Landes vom Exportsektor in das Importgewerbe getrieben, denn da ließ sich das Geld leichter verdienen. Nun bilden die Importeure ein Bollwerk gegen die Deflation, auch wenn die Deflation die einzige Möglichkeit ist, die griechische Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen, indem sie die griechische Nachfrage von Importprodukten auf heimische Produkte umlenkt und auch den Tourismus beflügelt. Da das prozentuale griechische Leistungsbilanzdefizit dreimal so groß ist, wie das irische war, müsste Griechenland um etwa die Hälfte abwerten, um den gleichen Erfolg zu erzielen. Es ist nicht vorstellbar, dass es das ohne bürgerkriegsähnliche Zustände innerhalb der Euro-Zone schaffen kann.

Aber es sind nicht nur die Importeure, die die Abwertung verhindern. Die Gewerkschaften widersetzen sich der dazu nötigen Lohnsenkung, und die staatlichen und privaten Schuldner befürchten die Überschuldung, wenn ihre Vermögenswerte und Einkommen nominal fallen. Die Lage ist vertrackt.

Für viele besteht der einzige Ausweg im Erlass und in der Sozialisierung von Schulden. Das ist passiert. Die neuen Beschlüsse der EU-Länder lassen Griechenland 237 Milliarden Euro zukommen, etwa 30 Prozent mehr als das griechische Nettonationaleinkommen, das bei 180 Milliarden Euro liegt. Aber die Hilfe zementiert die falschen Preise und die fehlende Wettbewerbsfähigkeit. Die Schulden werden wie ein Tumor von neuem anwachsen und so allmählich auch die Bonität der solideren Länder der Euro-Zone untergraben. Daran könnte der Euro letztlich zerbrechen. Nur die Preissenkung schafft Leistungsbilanzüberschüsse und versetzt die Krisenländer in die Lage, Auslandsschulden zu tilgen. Es ist an der Zeit für Europa, sich dieser unerbittlichen Wahrheit zu stellen.

Jenen Ländern, die sich die Preissenkung nicht zumuten wollen, müsste die Gelegenheit gegeben werden, den Euro temporär zu verlassen, um Preise und Schulden abwerten zu können, also eine Art Euro-Sabbatical zu nehmen. Nach einem Gewitter würde dann schnell wieder die Sonne scheinen.

Der Autor ist Präsident des Ifo-Instituts. Sie erreichen ihn unter: gastautor@handelsblatt.com