Die Rettung des griechischen Schuldensünders

Autor/en
Hans-Werner Sinn
Project Syndicate, 12.03.2010

MÜNCHEN – Die gegenwärtige Schwäche des Euro hat eine Erklärung: Griechenland. Mit einem Leistungsbilanzdefizit von 14 % des BIP lag das Land zuletzt auf dem zweiten Platz in der Eurozone nach Zypern. Ende 2009 betrug die griechische Schuldenquote 113 %. Da das diesjährige Haushaltsdefizit nach offizieller Schätzung auf mehr als 12 % eines schrumpfenden BIP anwachsen wird, wird auch die Schuldenquote bis Ende 2010 auf 125 % empor schnellen und damit den höchsten Wert in der Eurozone aufweisen.

Viele internationale Anleger versuchen nun, aus dem Euro auszusteigen oder wenigstens einen Bogen um die griechischen Staatsanleihen zu machen. Um diese Investoren bei Laune zu halten, musste ihnen Griechenland zunehmend höhere Zinsen anbieten. Im Januar lag der Zinsaufschlag gegenüber vergleichbaren deutschen Anleihen bei 2,73 Prozentpunkten. Bleibt es dabei, wird Griechenland für seine 271 Milliarden Euro Schulden jährlich 7,4 Milliarden Euro mehr an Zinsen zu bezahlen haben, als es Deutschland für die gleichen Schulden tun müsste.

Das Problem ist allerdings nicht nur dieser Zinsaufschlag, sondern auch die Gefahr, dass Griechenland es nicht schaffen könnte, neue Anleihen zu platzieren. Wenn es dem Land nicht gelingt, im laufenden Jahr jene 53 Milliarden Euro aufzubringen, die es zur Ablösung seiner auslaufenden Altschulden braucht, ist das Land pleite, von den 30 Milliarden Euro, die vermutlich an neuen Schulden anfallen werden, ganz abgesehen.

Die neue griechische Tragödie wurde möglich, weil Griechenland seine europäischen Partner über Jahre hinweg betrogen hat. Um sich für den Euro zu qualifizieren, meldete die griechische Regierung für das Jahr 1999 ein Haushaltsdefizit von nur 1,8 % des BIP, was unter der 3 %-Grenze des Maastrichter Vertrages lag. Heute wissen wir freilich, dass diese Zahl jeglicher Grundlage entbehrte. Kaum waren die Euro-Banknoten mit griechischen Motiven gedruckt und verteilt, da berichtete Eurostat, dass das griechische Defizit im Jahr 1999 in Wahrheit 3,3% des BIP betragen habe. Aber auch diese revidierte Zahl war noch zu großzügig angesetzt, denn auch sie wurde bald wieder zurück gezogen. Heute gibt es keine offiziellen Zahlen zum griechischen Haushaltsdefizit im Jahr 1999 mehr, also dem Jahr, das der EU als Entscheidungsgrundlage über Griechenlands Aufnahme in den Euroraum diente.

Die statistischen Angaben Griechenlands aus dem Jahr 2009 waren ebenso irreführend. Sie lagen erst bei 5% des BIP und stiegen auf 12,7 % an, nachdem sich Eurostat die Zahlen selbst angeschaut hatte. Die griechischen Meldungen waren so abenteuerlich, dass sich Eurostat gezwungen sah, „aufgrund erheblicher Unsicherheiten hinsichtlich der von den griechischen Statistikbehörden gemeldeten Zahlen Vorbehalte gegenüber den von Griechenland übermittelten Daten“ zu äußern – eine scharfe Rüge in der holprigen Sprache der Bürokraten. Mit seinen fragwürdigen Daten bekam Griechenland im Endeffekt genau das, was das Land eigentlich hatte vermeiden wollen: den Anstieg der Zinsaufschläge für griechische Staatsanleihen.

Der Schwindel verschaffte den Griechen freilich etliche gute Jahre. Seit dem Beitritt zur Eurozone im Jahr 2001 stiegen die Sozialausgaben jährlich um 3,6 Prozent schneller als das BIP. Einer OECD-Statistik zufolge erhält man in Griechenland nach nur 15 Jahren Arbeit eine Rente von, sage und schreibe, 111 % des durchschnittlichen Nettoeinkommens. Im Gegensatz dazu hat ein deutscher Rentner im Durchschnitt nur etwa 61 % des Nettoeinkommens, und das auch nur, wenn er mindestens 35 Jahre gearbeitet hat. Der griechische Versuch, sich ein Schlaraffenland auf Pump zu schaffen, war erfolgreich, aber haarsträubend.

Kommt aus dem Ausland keine Unterstützung, wird Griechenland ein formales Schuldenmoratorium ausrufen müssen und damit erklären, dass es nur mehr Teile seiner Schulden bedienen kann, so wie dies Deutschland in den Jahren 1923 und 1948 Mexiko und Brasilien im Jahr 1982 getan haben.

Die anderen Länder der Eurozone werden Griechenland allerdings nicht Pleite gehen lassen, weil man einen Domino-Effekt wie jenen bei den Banken nach dem Zusammenbruch von Lehman Brothers im Jahr 2008 fürchtet. Ginge Griechenland bankrott, würden Anleger auf der ganzen Welt ihr Vertrauen in die Stabilität der schwächeren Mitglieder der Eurozone, vor allem Irland, aber auch Portugal, Italien und Spanien, verlieren.

Im Falle einer Zahlungsunfähigkeit dieser Länder und einer Kürzung ihrer Ausgaben, wäre eine neue weltweite Rezession möglich. Natürlich könnten die EU-Länder Griechenland dem Internationalen Währungsfonds überlassen, der bereit und in der Lage wäre, zu helfen – unter der Voraussetzung, dass die griechische Regierung einen strikten Sparkurs umsetzt. Aber zahlreiche Politiker der Eurozone betrachten es als ein Zeichen der Schwäche, sich an den IWF zu wenden, und bevorzugen es daher, dass ihre Länder die Bürde selbst tragen.

Ein weiterer Grund, warum die Länder der Eurozone einspringen werden, ist dass sie ohnehin einen erheblichen Teil der griechischen Verluste zu tragen haben. Die Griechen hatten ihre Anleihen großenteils an die eigenen Banken verkauft, und die stehen bei der Europäischen Zentralbank in der Kreide. Geht der griechische Staat bankrott, werden ihm die Banken folgen, und die EZB muss ihre Forderungen gegenüber den griechischen Banken abschreiben, was sie etwa 6 Milliarden Euro kosten könnte. Da die EZB allen Euro-Ländern gehört, müssten sich alle an den Verlusten beteiligen.

Griechenland zu helfen ist allerdings leichter gesagt als getan, da die Europäische Union gar kein Mandat für einen derartigen Schritt besitzt. Im Gegenteil: Artikel 125 des Maastrichter Vertrags verbietet Rettungsaktionen ausdrücklich und besagt, dass weder die Union noch ihre Mitglieder für die Verbindlichkeiten von EU-Regierungen haften. Tatsächlich bestanden einige Länder auf dieser No-Bailout-Klausel als Bedingung für ihre Teilnahme am Euro. Man befürchtete, dass Europas Schuldnerländer die wirtschaftlich erfolgreichen Länder durch Mehrheitsentscheid enteignen könnten, was deren Verschuldungsanreize im Vorhinein erhöht hätte.

Ähnliche Bedenken bestehen auch heute. Daher erscheint nur zwei Wege als möglich. Entweder überlässt man Griechland der Gnade des IWF mitsamt der strikten Auflagen, die dort üblich sind. Oder man organisiert eine bilaterale Hilfe, die mit einer strikten Überwachung des griechischen Haushalts und des griechischen Statistikamtes durch die EU verbunden ist. Das Statistikamt wurde bereits von der Regierung entkoppelt und unter die unmittelbare Kontrolle von Eurostat gestellt. Auch hat Griechenland seine Souveränität bereits insofern verloren, als die EU beschlossen hat, alle haushaltsrelevanten Entscheidungen der griechischen Regierung direkt zu kontrollieren. Im Frühling, bevor die ersten großen Tranchen der neuen griechischen Staatsanleihen platziert werden müssen, wird die Welt sehen, für welche Lösung sich Europa entscheidet.

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