Kippt die Konjunktur?

DENKFABRIK | Die Russland-Krise zeigt Wirkung: Im zweiten Quartal dürfte die deutsche Wirtschaft stagniert haben, und auch im Gesamtjahr 2014 wird das Wachstum weniger stark zulegen als erwartet. Ein konjunktureller Absturz wie im Jahr 2008 ist allerdings nicht in Sicht. Von Hans-Werner Sinn.
Autor/en
Hans-Werner Sinn
WirtschaftsWoche, 04.08.2014, Nr. 32, S. 34

Nachdem der Geschäftsklimaindex des ifo Instituts dreimal hintereinander deutlich gefallen ist, steht die hausinterne ifo-Konjunkturampel auf Rot. Noch im April sah es so aus, als ob die Krim-Krise ohne allzu große Blessuren an der deutschen Wirtschaft vorübergehen würde. Doch schon im Mai und Juni fiel der Index um jeweils etwa einen Dreiviertelpunkt - und nun, im Juli, gar um 1,7 Punkte. Das ist nach einer internen Faustregel ein signifikanter Veränderungswert. So schön es wäre, wenn man die Konjunktur weiterhin optimistisch beurteilen könnte, so ernüchternd ist der letzte Umfragewert.

Dabei war der Abschuss des malaysischen Verkehrsflugzeuges, der die Krise neu hat entflammen und im Westen die Widerstände gegen die von den USA verlangten Sanktionen hat verstummen lassen, nicht einmal für das Umfrageergebnis bestimmend. Rund drei Viertel der Antworten der etwa 7000 befragten Unternehmensvertreter kam vorher herein. In Kenntnis der vom Westen als Reaktion auf den Abschuss angedrohten Sanktionen, die vor allem die deutsche Industrie treffen würden, wären die Antworten vermutlich noch schlechter ausgefallen.

Die deutsche Wirtschaft hat eben doch stärkere Hoffnungen in das Russland-Geschäft gesetzt, als es ein Blick auf die Statistiken hätte erwarten lassen. Nur 3,3 Prozent des deutschen Warenexports gingen im Jahr 2013 nach Russland. Doch bei Sonderumfragen, die ifo im Mai und im Juni bei 2400 Industrieunternehmen durchgeführt hatte, erklärten erstaunlicherweise 47 Prozent der Unternehmen, dass sie wirtschaftliche Beziehungen mit Russland unterhalten. Knapp ein Fünftel der befragten Betriebe spürte bereits damals eine konkrete Beeinträchtigung der Geschäfte.

Besonders betroffen von der Krise sind dabei Unternehmen, die umfangreiche Direktinvestitionen durchgeführt beziehungsweise geplant haben, wie etwa Volkswagen und Continental in Kaluga, MAG in Omsk, die Schaeffler Gruppe in Uljanowsk, Edscha in der Sonderwirtschaftszone Togliatti oder Bosch in der Stadt Engels in der Region Saratow. Es ist insofern klar, dass das verschlechterte Geschäftsklima maßgeblich mit der Krise in der Ukraine und den Spannungen mit Russland zu tun hat.

BAU UND HANDEL STABIL

Konjunkturprognosen sind nie bedingungslose Vorhersagen, sondern immer nur Wenn-dann-Aussagen, die unter ganz bestimmten Annahmen über exogene Ereignisse veröffentlicht werden. Sich verschärfende militärische Spannungen sind das Musterbeispiel für die Notwendigkeit, eine Prognose zu revidieren, die unter der Annahme einer Entspannung getroffen wurde.

Die Krise strahlt nun offenbar auch auf jene Bereiche der deutschen Wirtschaft aus, die gar nicht direkt betroffen sind. So melden alle großen Wirtschaftsbereiche mit Ausnahme der Dienstleistungen mittlerweile rückläufige Geschäftserwartungen. Da die tatsächliche Wirtschaftslage den Erwartungen zu folgen pflegt, lässt dies auf eine zukünftige Verschlechterung der Wirtschaftslage schließen. Bei den Unternehmen des verarbeitenden Gewerbes ist eine solche Verschlechterung bereits eingetreten. Der ifo-Beschäftigungsindikator lässt auf eine verminderte Einstellungsbereitschaft schließen. Nur die Lage im Baugewerbe und im Handel ist noch einigermaßen stabil.

Der Wirtschaftsaufschwung, der in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahres begann und sich bis in den Winter fortsetzte, scheint nun eine längere Pause einzulegen. Die Wachstumsprognose, die das ifo Institut noch im vergangenen Monat abgab, muss vermutlich nach unten revidiert werden. Konkrete Zahlen liegen noch nicht vor, denn die nächste Prognose wird erst im Herbst gemeinsam von den Wirtschaftsforschungsinstituten abgegeben. Die Vermutung, dass das zweite Quartal 2014 gegenüber dem ersten ein Plus von 0,3 Prozent aufweist, ist nach heutigem Stand der Dinge aber wohl nicht mehr zu halten. Wahrscheinlicher ist ein Nullwachstum. Auch für das dritte Quartal 2014 dürfte das derzeit mit 0,4 Prozent prognostizierte Wachstum nach unten zu revisieren sein. Das wird dann auch die Jahresprognosen für 2014 und 2015 signifikant senken.

Bei allen Sorgen sollte man freilich die immer noch positiven Aspekte des konjunkturellen Geschehens nicht übersehen. Erstens wird die Binnenwirtschaft von einem ansehnlichen Konsumzuwachs getragen, zweitens ist der Dienstleistungssektor sehr stabil, und drittens gab der ifo-Indikator im Vergleich zu früheren Vergleichsperioden nur moderat nach. Es gibt somit keine Ähnlichkeit zum Katastrophenjahr 2008. Aber auch wenn man die Einbrüche vom Sommer 2011 bis zum Herbst 2012 zum Vergleich heranzieht, gibt es bislang keine wirklichen Parallelen. Denn trotz des Rückgangs im Wirtschaftsklima sind die Unternehmen immer noch überwiegend optimistisch.

Wenngleich also der Sommer reichlich durchwachsen ist, wäre es falsch, ihn schon für verloren zu erklären.