"Ein gutes Gefühl genügt nicht"

Der Ökonom Hans-Werner Sinn zu Denkfehlern in der Klimapolitik und zur Cleantech-Subventionierung. Einzelstaatliche Lösungen brächten dem Klimaschutz nichts, sagt Hans-Werner Sinn. Notwendig sei ein Emissionshandelssystem aller Länder.
Interview mit Hans-Werner Sinn, Neue Zürcher Zeitung, 05.06.2010, Nr. 132, S. 15

Anfang dieser Woche hat der Nationalrat eine Lenkungsabgabe auf Benzin und Diesel aus dem CO 2 -Gesetz gestrichen. Dabei wäre doch eine solche Abgabe, die an die Bevölkerung zurückerstattet wird, ein marktwirtschaftlich sinnvolles Instrument der Klimapolitik, oder?

Natürlich würde mit einer Lenkungsabgabe der fossile Brennstoffverbrauch in der Schweiz zurückgehen, da die Preise für fossile Energien ansteigen. Aber ist dies schon ein Vorteil für das Klima? Man muss sich doch fragen, was mit den Mengen an Treibstoffen passiert, die nicht mehr in der Schweiz gekauft würden.

Und was passiert mit diesen Mengen?

Sie werden anderswo verkauft. Eine Lenkungsabgabe würde dem Klima nur dann helfen, wenn die Kohle, das Öl und das Erdgas, die hier nicht mehr gekauft werden, im Boden blieben. Die Lenkungsabgabe müsste also etwa die Ölscheichs veranlassen, weniger Öl zu fördern. Aber das wird nicht passieren. Weder die Schweiz noch irgendein anderes Land wird es schaffen, mit einer staatlichen CO 2 -Abgabe die Weltmarktpreise für die Ölförderung so zu verringern, dass sich die Extraktion nicht mehr lohnt.

Sind Steuern demnach prinzipiell kein sinnvolles Mittel, um einen Beitrag für den Klimaschutz zu leisten?

So ist es. Denn in der Idee solcher Steuern steckt ein Denkfehler: Man geht davon aus, dass der Verbrauch sinkt und damit weniger Treibhausgase in die Luft gehen. Aber diese Überlegung ist mir zu naiv, als dass ich sie ernst nehmen könnte, weil die freigegebenen Mengen ja auf den Weltmärkten landen und dann anderswo verbraucht werden. Wer behauptet, Umweltsteuern seien ein Beitrag zur Lösung des CO 2 -Problems, muss nachweisen, dass die freigegebenen Mengen im Boden verbleiben. Das wird noch nicht einmal dann passieren, wenn alle Länder eine solche Steuer einführen, weil man die Weltmarktpreise gar nicht so weit drücken kann, dass sich die Extraktion nicht mehr lohnt. Die Extraktionskosten liegen überall nur bei einem winzigen Bruchteil der Preise.

Die Alternative zu Lenkungsabgaben heisst: internationaler Emissionshandel. Doch der ist, wenn überhaupt, nur schwer umsetzbar.

Es ist so: Der Klimaschutz kann nur funktionieren, wenn sich alle Länder daran beteiligen. Ein internationaler Emissionshandel ist die beste Lösung. Denn im Gegensatz zu Steuern werden damit die Fördermengen von Öl, Kohle und Gas wirklich beeinflusst. Viele wissen es nicht: Wir haben bereits ein Emissionshandelssystem, nämlich dasjenige der Uno, mit dem zurzeit 30 Prozent des CO 2 -Ausstosses erfasst werden. Wenn wir dieses Uno-System auf nahezu 100 Prozent ausdehnen, dann haben wir ein Kartell der Verbraucherländer gegenüber den Förderländern. Damit kann man nicht nur das Umweltschutzproblem in den Griff kriegen, sondern auch einen Teil der Erlöse der Ölscheichs und der Gas-Oligarchen in die Taschen der Finanzminister der Verbraucherländer fliessen lassen.

Ihre Argumentation ist nachvollziehbar. Doch bei der Klimaveränderung geht es darum, schnell zu handeln. Bis alle Länder sich an einem solchen System beteiligen, vergeht zu viel Zeit.

Das ist richtig, aber kein Argument dafür, unwirksame Massnahmen zu ergreifen. Es bringt doch nichts, irgendetwas im eigenen Staat zu tun, bloss weil man dann ein gutes Gefühl hat. Es muss doch vor allem dem Klima etwas bringen. Und dem Klima nützen wir nur dann, wenn wir die Abbaumengen der fossilen Brennstoffe verringern. Das geht nicht durch Steuern, sondern nur durch weltweite Mengenbeschränkungen.

Ist es nicht ein Gebot der Stunde, neue erneuerbare Energien zu fördern - etwa durch Einspeisevergütungen?

Es hilft aus den besagten Gründen nichts. Speziell in den EU-Ländern kommt hinzu, dass die Einspeisetarife für den grünen Strom noch nicht einmal die gesamteuropäische Nachfrage nach fossilen Brennstoffen verändern können. Indem wir etwa in Deutschland grünen an die Stelle des fossilen Stroms setzen, werden bei uns Emissionszertifikate frei, was es dank dem europäischen Emissionshandelssystem anderen EU-Ländern ermöglicht, entsprechend mehr Treibhausgase auszustossen. Der Gesamtausstoss an CO 2 in Europa wird durch die Menge der ausgegebenen Emissionszertifikate bis auf die letzte Tonne bereits festgelegt. Zusätzliche Effekte der Einspeisetarife für grünen Strom können sich nicht ergeben.

Immerhin haben aber die Ökostrom-Einspeisevergütungen dazu beigetragen, dass die Kosten für solche Anlagen zurückgegangen sind.

Das ist richtig. Die Ökostrompreise sind aber dennoch höher als die Kosten für fossilen Strom oder Strom aus AKW. Und es ist ja eben aufgrund der genannten weltweiten Mechanismen - also weltweiter Handel mit fossilen Brennstoffen und europaweiter Handel mit Emissionszertifikaten - nicht so, dass man sich mit diesen Kosten irgendwelchen Klimaschutz erkaufen könnte. Die öffentliche Diskussion ist kurzsichtig und oberflächlich, weil das Angebot an fossilen Brennstoffen und die Funktion der Märkte für Zertifikate und Brennstoffe nicht berücksichtigt wird.

Dann sind Sie also auch gegen die in Europa anlaufende staatliche Förderung von Elektroautos?

Ja. Sarkozy hängt sich ein grünes Mäntelchen um, damit er in Europa einen Wettbewerb zwischen den französischen AKW und den deutschen Windflügeln veranstalten und so ganz nebenbei seiner Automobilindustrie einen Wettbewerbsnachteil nehmen kann. Mit Klimaschutz hat das nichts zu tun. Ein etwas anderer Fall sind die jüngsten chinesischen Bemühungen um die Elektromobilität. Dort geht es darum, in stark belasteten Städten die Luftqualität zu verbessern - das ist ein akzeptabler Wirkungszusammenhang.

Ausschlaggebend für den Wunsch nach staatlichem Ökostrom-Aktivismus ist freilich auch die Angst vor AKW.

Andere Energieformen sind auch gefährlich, wie wir es derzeit bei der Ölkatastrophe im Golf von Mexiko sehen.

Viele sind hierzulande neidisch auf die Arbeitsplätze, welche etwa in Deutschland in der Ökostrom-Branche geschaffen worden sind. Das ist auch ein Argument der Cleantech-Initiative der SP.

Wenn wir die Menschen zwingen, ihr Geld für das Gut B statt für das Gut A auszugeben, entstehen bei A weniger und bei B mehr Arbeitsplätze. Welchen Sinn hat es, die neuen Arbeitsplätze, die bei B entstehen, als Beleg für den Erfolg einer solchen Politik anzuführen? Wenn, dann muss man die Nettoveränderung an Arbeitsplätzen berechnen. Aber die ist wohl eher negativ, denn die Ökostrom-Branche produziert weniger arbeitsintensiv als zum Beispiel der lokale Dienstleistungssektor.

Ist es nicht grundsätzlich sinnvoll, sich auf eine Umstellung der Energieversorgung vorzubereiten und die eigene Wirtschaft entsprechend zu positionieren?

Wenn diese zukünftigen Entwicklungen so klar wären, dann hätte ohnehin jedes Unternehmen genügend Anreize, zu forschen und zukunftsweisende Produkte zu entwickeln - ohne staatliche Hilfen. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass ein Schweizer Politiker den Weltmarkt besser abschätzen kann als ein Unternehmer, der sein eigenes Geld riskiert. Der Staat kann sich im Umwelt- und Energiebereich auf ähnliche Startup-Hilfen beschränken, wie diese auch in anderen Branchen gewährt werden - aber nicht mehr.

Fürchten Sie nicht, dass Sie jenen Kreisen Argumente liefern, die aus reinem Eigennutz gegen Klimaschutzmassnahmen sind?

Das Klimaproblem ist so ernsthaft, dass wir eben nicht herumspielen können mit Elektroautos und einzelstaatlichen Lösungen. Man darf den Leuten nicht weismachen, dass solche Massnahmen die Situation entschärfen. Wir müssen stattdessen funktionierende Instrumente anwenden, und da kommen wir nicht um einen hohen politischen Druck auf China, die USA und Indien herum, damit ein effizienter weltweiter Zertifikatehandel gelingt.