"Bitte keine Geschenke, Frau Merkel!"

EU-Gipfel zur Euro-Krise
Interview mit Hans-Werner Sinn, Münchner Merkur, 15.12.2010, Nr. 290, S. 2

Es könnte ein Freudentag sein: Heute vor 15 Jahren wurde der Euro getauft. Doch einige überschuldete Länder haben die Gemeinschaftswährung in die Krise getrieben. Ab morgen beraten die Staats- und Regierungschefs der EU-Länder, was zu tun ist. Wir baten Professor Hans-Werner Sinn, Präsident des Münchner ifo-Instituts und einer der führenden Volkswirte Deutschlands, um eine Einschätzung.

-Befürchten Sie, dass Deutschland in Brüssel kräftig Weihnachtsgeschenke an die Euro-Sünder verteilt?

Ja, das befürchte ich. Die große Gefahr ist, dass man jetzt vor Weihnachten versucht, eine Einigung herbeizuführen, die letztlich auf einen massiven Transfer aus Deutschland hinausläuft. Ich denke, Frau Merkel sollte bereit sein, den Gipfel platzen zu lassen, wenn für Deutschland unerträgliche Bedingungen gestellt werden. Ich denke, man könnte das nach den Feiertagen ohne weihnachtliche Gefühle im Kopf viel besser entscheiden.

-Diese Unerträglichkeit wäre aus Ihrer Sicht schon mit der Schaffung von Euro-Bonds - also gemeinsamen Schuldscheinen der Euro- Staaten - erreicht?

Die Euro-Bonds wären der Weg in den Untergang Europas. Durch sie würden die Schulden vergemeinschaftet, die Länder müssten gegenseitig füreinander haften. Dann würden wir letztlich für die Schulden Italiens, Spaniens und anderer Länder aufkommen. Das sind aber Größenordnungen, die uns selber in die Knie zwingen würden. Man muss Feuerschutzwälle errichten statt Feuerschleusen. Wenn wir uns für unbegrenzte Haftungsversprechen für die unsolide geführten Länder aussprechen, werden wir mit in den Strudel hineingezogen, so wie jetzt der irische Staat in den Strudel seiner Banken hineingezogen wurde. Irland hätte die Banken lieber in Konkurs gehen lassen sollen, statt selbst in Schwierigkeiten zu kommen. Frau Merkel hat sich mit Herrn Sarkozy zum Glück bereits auf die Ablehnung der Euro-Bonds geeinigt. Ich hoffe, dass sie das abblocken können.

-Wird der 750-Milliarden-Rettungsschirm ausreichen?

Die Frage ist, was man damit retten will. Die offizielle Bekundung ist, dass er eine Liquiditätshilfe sein soll. Dafür reicht er dreimal. Der Schirm reicht aber nicht aus, um Länder vor der Insolvenz zu retten. Aber das soll er ja eigentlich auch nicht. Das kann nicht die Aufgabe eines solchen Schutzschildes sein. Wenn ein Land nicht mehr in der Lage ist, seine Schulden zu bezahlen und über seine Verhältnisse gelebt hat, ist es eben insolvent. Punkt. Dann können doch nicht die anderen Länder seine Lasten übernehmen, um sicherzustellen, dass die Banken ihr Geld kriegen.

-Sie halten es also für möglich, dass die Länder des Euro-Raums einen Mitgliedsstaat in die Insolvenz gehen lassen würden?

Im Falle Griechenlands halte ich das für kaum vermeidbar. Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir auf Dauer elf Prozent des griechischen Bruttoinlandsprodukts mit Geschenken finanzieren wollen.

-Gab’s denn schon Geschenke? Bisher haben wir doch nur mit Krediten einen Schutzschirm aufgespannt.

Diese Schutzversprechen sind ja Geschenke in großem Umfang. Wir übernehmen dabei ein Risiko, das einen Marktpreis hat - und verlangen nichts dafür. Würden wir zu marktüblichen Konditionen als Versicherer dieser Länder tätig werden, also sogenannte CDS-Kontrakte kaufen, würden wir ein gutes Geschäft machen. Indem wir diese Versicherungsleistung umsonst abgeben, haben wir direkte materielle Verluste.

-Sollten insolvente Länder aus dem Euro- Raum ausgeschlossen werden?

Nein. Eine Insolvenz kann man auch im Euro- Raum haben. Nehmen wir Griechenland. Dieser Staat wird keine private Anschlussfinanzierung finden, wenn die staatlichen Rettungspakete 2013 auslaufen - er ist also ohne Hilfen insolvent. Dennoch würde ich das Land nicht ausschließen wollen. Es läge aber vielleicht im griechischen Interesse, auszutreten. Griechenland hat nur theoretisch die Möglichkeit, sich innerhalb des Euro-Raums neu aufzustellen und wieder wettbewerbsfähig zu werden. Durch den riesigen Kreditzufluss aus dem Ausland hat sich Griechenland einen Lebensstandard geschaffen, der gar nicht durch die eigene Leistung gedeckt wird. Da wieder runterzukommen, ist ein ganz mühsamer Prozess, wenn er innerhalb des Euro-Raums stattfinden soll.

-Wie könnte das gehen?

Man müsste Löhne und Preise um 20 bis 30 Prozent kürzen, um das griechische Außenhandelsdefizit, das niemand mehr finanzieren will, zu beseitigen. Es ist wohl kaum möglich, das umzusetzen, ohne dass es zu größeren Spannungen bis hin zu gewalttätigen Auseinandersetzungen in Griechenland kommt.

-Bleibt also nur der Ausstieg aus der Euro-Zone?

Aus dem Euro auszusteigen ist auch eine sehr gefährliche Geschichte. Sofort wäre das Bankensystem konkursreif, weil die Leute ihre ganzen Geldbestände abheben würden. Es gibt also keine Lösung, die in irgendeiner Form befriedigend ist.

-Was wäre mit der Spaltung in einen starken Nord-Euro und einen schwächeren Süd-Euro? Könnte das Griechenland und Wackelkandidaten wie Spanien und Portugal helfen?

Wenn wir noch mal von vorne anfangen könnten, wäre das sicherlich die bessere Lösung. Die Süd-Länder hätten einfach nicht in den Euro hineingehört. Aber wir können das Rad der Geschichte ja nicht zurückdrehen. Jetzt haben wir den Euro - und ein Ausstieg ist nicht so einfach möglich. Das brächte eine riesige Bankenkrise in den aussteigenden Ländern mit sich. Am ehesten könnte man sich rein technisch vorstellen, dass Deutschland aussteigt. Aber das wäre politisch sicher der falsche Weg. Der Euro ist ja auch ein Stück politischer Integration. Zudem würden wir sofort eine massive Aufwertung der D-Mark erleben, wenn wir zu ihr zurückkehren.

-Mit verheerenden Folgen für das Exportland Deutschland?

Es würde die mühsam erkämpfte Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie auf einen Schlag wieder zunichte- machen und die Exporte massiv in Mitleidenschaft ziehen. Die Wettbewerbsfähigkeit wurde ja deshalb gesteigert, weil wir unter dem Euro um 18 Prozent gegenüber den anderen Ländern abgewertet haben. Das war aber kein Zuckerschlecken. Wir mussten das durch Lohn- und Preiszurückhaltung erarbeiten, die durch eine Investitionsflaute zustande kam. Deutschland hatte ja die niedrigste Investitionsquote aller OECD-Länder. Durch diese Flaute wurden wir zu schmerzlichen Sozialreformen gezwungen, die die Gesellschaft an den Rand der Spaltung geführt und eine Regierung das Amt gekostet haben. Jetzt sind wir endlich in einer Situation, in der sich die Dinge beruhigen. Das sollten wir nicht aufs Spiel setzen.

Interview: Andreas Zimniok