"Fatal für Beschäftigung"

Hans-Werner Sinn, Chef des Münchener ifo-Instituts, über die Folgen von kräftigen Lohnerhöhungen in Deutschland.
Interview mit Hans-Werner Sinn, Capital, 2/2006, S. 11

CAPITAL: Herr Professor Sinn, unter Politikern und Ökonomen ist eine Diskussion entbrannt: Braucht Deutschland höhere Löhne für den Aufschwung?

Sinn: Nein, steigende Gehälter wären schädlich. Sie verringern die Binnennachfrage nach Investitionsgütern und verhindern damit das Entstehen neuer Arbeitsplätze. Vermutlich nähme das Angstsparen der Deutschen sogar noch zu – so dass nicht einmal der Konsum anstiege.

CAPITAL: Die IG-Metall sieht das anders. Sie will in den anstehenden Tarifverhandlungen bis zu fünf Prozent mehr Lohn durchsetzen.

Sinn: Die aktuelle Debatte kocht zu einem sehr gefährlichen Zeitpunkt hoch. Wenn die Gewerkschaften an der Hochlohnpolitik der vergangenen Jahrzehnte festhalten, verschärfen sie den Trend zu immer mehr Arbeitslosigkeit. Setzen sie ihre Vorstellungen auch nur ansatzweise durch, wäre das für die Beschäftigung in Deutschland fatal: Nach einer Faustregel kostet ein Prozent mehr Reallohn für alle Branchen langfristig rund 300 000 Jobs.

CAPITAL: Wie soll denn der seit Jahren lahmende private Verbrauch wieder in Schwung kommen?

Sinn: Dass die Menschen mehr sparen und weniger ausgeben, ist angesichts der notwendigen Altersvorsorge richtig und weitsichtig. Den Konsum mit Hilfe der Politik künstlich anzufachen, wäre deshalb ein Fehler. Wichtig ist allerdings, dass das gesparte Geld wieder im Inland investiert wird – was nur geschieht, wenn wir die Gewinnmöglichkeiten bei neuen Projekten in Deutschland verbessern.

CAPITAL: Würde der Vorschlag von Bundespräsident Horst Köhler helfen, das Entgelt der Mitarbeiter stärker an den Unternehmenserfolg zu koppeln?

Sinn: Ja, sicher. Mehr Belegschaftsaktien steigern die Liquidität der Unternehmen – und die Kooperationsbereitschaft der Beschäftigten: Durch die Beteiligung partizipieren auch die Arbeitnehmer an den Globalisierungsgewinnen.

Das Interview führte Claudio De Luca