Mit Moralappellen kommt man nicht weiter

Interview mit Hans-Werner Sinn, VDI nachrichten 27.01.2006, Nr. 4, S. 5

Ifo-Präsident Hans-Werner Sinn über die deutsche Konjunktur, Lohnerhöhungen und Produktionsverlagerung ins Ausland

von Dieter W. Heumann

Die meisten Konjunkturbeobachter sind optimistisch. 2006 soll das Jahr des Aufschwungs werden. Hoffnung setzen Ökonomen vor allem auf die Investitionstätigkeit der Unternehmen. Zu Recht? Fragen an den Präsidenten des Ifo-Institutes, Hans-Werner Sinn.

Herr Professor Sinn, in diesem Jahr wird ein spürbarer Konjunkturaufschwung erwartet. Im IV. Quartal 2005 hat sich das Wachstum allerdings überraschend abgeschwächt. Das ändert aber nichts an Ihrem Optimismus für 2006?

Wir hatten eine Abschwächung im 4. Quartal 2005 vorausgesehen. Da die Auftragseingänge der Industrie weiter zugenommen haben und auch unser ifo Konjunkturindikator zuletzt gestiegen ist, bleiben wir bei 1,7 % Wachstum für dieses Jahr.

Was wird die Konjunktur in 2006 stimulieren?

Die Investitionen. Sie wachsen derzeit um fast 3 %. Damit gesellt sich zur Exportgüternachfrage erstmals seit fünf Jahren die Investitionsgüternachfrage als belebender Konjunkturfaktor. Die Investitionen müssen wir bereits seit vergangenem Sommer nach oben revidieren.

Welche Bedeutung hat die Investitionsgüterindustrie für die Binnenkonjunktur?

Die jahrelang schwache Investitionstätigkeit war das Hauptproblem, weshalb die deutsche Binnenkonjunktur in der Vergangenheit so unbefriedigend verlaufen ist. Deutschland hat mittlerweile die niedrigste Nettoinvestitionsquote unter allen Industrieländern. Die Deutschen investieren im Ausland – und zwar um die Hälfte mehr als im Inland. Schuld daran ist das mangelnde Vertrauen der Investoren in dieses Land.

Ist das jetzt die Wende? Fassen die Investoren wieder Vertrauen?

Eine grundlegende Änderung sehe ich im Moment nicht. Angesichts der überschäumenden Weltkonjunktur müsste das Investitionswachstum in Deutschland eigentlich doppelt so hoch sein, also etwa 6 % betragen.

In den vergangenen Jahren war die Konsumneigung sehr gering. Bleibt das so?

Wir erwarten für den Konsum 2006 nur einen Anstieg von 0,3 % nach einer Stagnation im letzten Jahr. Für den privaten Verbrauch ist also keine durchgreifende Besserung in Sicht. Der wesentliche Grund für die Konsumzurückhaltung der privaten Haushalte ist die labile Situation am Arbeitsmarkt. Die Hochlohnpolitik hat eine Massenarbeitslosigkeit und eine Wachstumsschwäche erzeugt die den Menschen Angst macht und sie zum Sparen veranlasst. Gleichzeitig werden die privaten Budgets insbesondere durch hohe Öl und Benzinpreise belastet.

Wie stark werden die Löhne im Jahresdurchschnitt 2006 steigen?

Die zu erwartende Steigerung der Stundenlöhne sehen wir bei etwa 1,5 %. Das ist moderat und verschlimmert die Situation nicht. Das Lohnkostenniveau in Deutschland ist freilich zu hoch, zum einen weil die Gewerkschaften in den siebziger und achtziger Jahren maßlose Steigerungen durchgesetzt haben, zum anderen, weil die Lasten der Finanzierung des Sozialstaates überbordeten. Um die schädliche Vize-Weltmeisterschaft bei den Lohnkosten abgeben zu können, reicht eine moderate Lohnsteigerung nicht. Es wäre besser, die Löhne wären in den letzten Jahrzehnten nicht so stark gestiegen. Jetzt freilich wieder von diesem Niveau runterzukommen, ist mühsam. Da uns das Instrument der Abwertung nicht mehr zur Verfügung steht und man Löhne auch nicht einfach senken kann, müssen die Lohnsteigerungen nun für sehr lange Zeit unter dem Produktivitätszuwachs bleiben, wenn man wieder zur Vollbeschäftigung zurück kehren will. Die Löhne für einfache Arbeit müssen wahrscheinlich sogar fallen, was nur tragbar ist, wenn der Staat durch Lohnzuschüsse einen Ausgleich schafft.

Nun versucht die Bundesregierung, mit einem Konjunkturprogramm die Wirtschaft noch weiter zu beleben. Macht das Sinn, wenn ohnehin ein Aufschwung bevorsteht?

Dies ist kein Konjunkturprogramm im klassischen Sinne: Die Maßnahmen verteilen sich auf vier Jahre, aber schon im nächsten Jahr wird durch Steuererhöhungen und Einsparungen an anderer Stelle gespart. Per Saldo will die Bundesregierung sparen und strebt solide Staatsfinanzen an; das hat Vorrang.

Aber wird das Sparen nicht die Konjunktur wieder bremsen?

Zweifellos. Aber es handelt sich um ein Programm, das hilft, den Haushalt zu konsolidieren und die Maastricht-Kriterien wieder zu erfüllen und dies in einer Form, die der konjunkturellen Lage angemessenen ist.

Welche Maßnahmen des Konjunkturprogramms bergen die größten Risiken – auch mit Blick auf den Haushalt?

Ich sehe keine großen Risiken. Es geht um 25 Milliarden Euro in vier Jahren. Das ist leicht verkraftbar. Dabei geht es auch um zukunftsweisende Projekte der Verkehrsinfrastruktur und Maßnahmen zur Reduktion der Schwarzarbeit. Entbehrlich finde ich allenfalls die weiteren Zuschüsse für Energiesparmaßnahmen. Die Ölpreise sind schon hoch genug und rufen bereits massive Anreize zum Energiesparen hervor. Ich verstehe nicht, warum der Staat glaubt, die Bürger seien dumm und würden auf die Marktpreise nicht reagieren.

Was halten Sie von dem angestrebten Kombilohn?

Die Einführung des Kombilohns halte ich für prinzipiell sinnvoll. Aber, erforderlich ist ein Paradigmenwechsel in der Sozialpolitik. Ungünstig wäre freilich die direkte Bezuschussung der Unternehmen.

Bundeskanzlerin Merkel meinte vor kurzem,wer Kombi-Löhne spreche, der müsse auch über Mindestlöhne sprechen. Hat Sie Recht?

Nein. Sprechen kann man über alles, aber man muss Mindestlöhne dann strikt ablehnen. Notwendig ist in Deutschland eine Spreizung der Lohnskala nach unten hin, um so dem weltweiten Lohndruck nachzugeben, den Geringqualifizierten wieder eine Chance am Arbeitsmarkt zu eröffnen und damit mehr Beschäftigung zu erreichen. Gesetzliche Mindestlöhne – von der Politik festgesetzt – hätten ein zu hohes Niveau. Sie würden eine Spreizung konterkarieren.

Zurück zur Konjunktur. Halten die deutschen Exporterfolge an?

Wir rechnen in diesem Jahr mit einer Zunahme der Exporte um 7,4%. Das heißt, die Konjunktur wird nach wie vor von ihnen getragen werden.

Deutsche Unternehmen verlagern große Teile ihrer Produktion ins Ausland, um in den Genuss niedrigerer Kosten zu kommen – und das obwohl vielfach auch in Deutschland noch mit Gewinn produziert werden kann. Ist die Verlagerung ihrer Meinung nach gerechtfertigt? In der Öffentlichkeit gibt es viel Kritik daran.

Ich finde den Prozess auch durchaus kritikwürdig. Aber zu kritisieren ist nicht die Entscheidung des Unternehmensmanagers; zu kritisieren sind die Verhältnisse, die ihn dazu gezwungen haben. Vorwürfe sind gegenüber jenen angebracht, die die Hochlohnpolitik in Deutschland zu verantworten haben. Die Unternehmen müssen ihren Gewinn maximieren. Mit Moralappellen kommt man nicht weiter.

Wo wird Deutschland nach vier Jahren schwarz / roter Koalition wirtschaftlich stehen?

Fragen Sie mich was Leichteres! Jedenfalls dürfen die Reformchancen, die durch die große Koalition gegeben sind, nicht wieder durch Zaghaftigkeit und Bedenkenträgerei vertan werden.

Das Interview führte Dieter W. Heumann