"Die Bundesregierung hätte früher mehr sparen können"

Kieler Nachrichten, 13.02.2002

Im Gespräch: Prof. Hans Sinn

Frage: Ist die nicht ausgesprochene Defizitwarnung nur ein Erfolg für Hans Eichel oder auch einer für die deutsche Haushaltspolitik?

Prof. Sinn: Das ist kein Erfolg für irgend jemanden. Es gab keinen hinreichenden An lass, in dieser Situation ein solche Warnung auszusprechen. Denn wir haben eine Rezession, die schärfer ausgefallen ist, als man das vorhersehen konnte. Die Folge ist, dass die Steuereinnahmen wegbrechen und dass ein größeres Defizit entsteht, als geplant war. Wenn man dieses Defizit bekämpft hätte, dann hätte man die Rezession noch weiter verschärft Es war richtig, dass das nicht geschehen ist. Dessen ungeachtet hätte die Regierung früher, im Boom des Jahres 2000 mehr sparen können. Dann würde es heute nicht so eng.

Wird nicht durch die Praxis, auf Entscheidungen Einfluss zu nehmen, der europäischen Stabilitätspakt aufgeweicht?

Dass man versucht, auf Entscheidungen Einfluss zu nehmen, wird es immer geben. Aber der Stabilitätspakt wird von dieser Entscheidung ja noch gar nicht berührt. Der würde erst dann berührt, wenn Strafen bei einer Überschreitung der Defizit-Höchstgrenze von drei Prozent nicht verhängt würden.

Finanzminister Eichel hat zugesagt, bis 2004 einen ausgeglichenen Haushalt zu erreichen. Ist das realistisch?

Ich glaube nicht, dass Herr Eichel dazu ohne weiteres in der Lage ist. Es bedarf erheblicher Haushaltskürzungen, die sich aber bei der jetzigen Gesetzeslage kaum realisieren lassen. Man müsste an Leistungskürzungen herangehen, die Leistungsgesetze müssten novelliert werden. Beim Rentenanstieg müsste man etwas tun und bei den Subventionen auch. Das wird ein Thema für die neue Bundesregierung.

Wann kommt der Aufschwung, auf den die Bundesregierung setzt?

Wir rechnen in der zweiten Jahreshälfte mit einem Aufschwung. Allerdings kann man nicht genug betonen, dass diese Prognose sehr unsicher ist. Nach den monatlichen ifo-Umfragen sind die Erwartungen der Unternehmen zwar wieder auf dem Niveau wie vor dem Anschlag auf das World Trade Center. Aber die Lagebeurteilung ist nach wie vor deutlich schlechter.

Nicht nur der Bund, auch die Länder sind hoch verschuldet. Brauchen wir einen "nationalen Stabilitätspakt", um die Länder zur Haushaltsdisziplin zu zwingen?

Nein. Wir brauchen da nichts neues. Wir haben ja ein festes Regelsystem für die Ausgaben- und Einnahmenverteilung zwischen Bund und Ländern. Aber der Bund darf sich natürlich nicht mit dem Hinweis aus seiner Verantwortung herausstehlen, die Länder seien Schuld. Die entstandenen Lasten sind auch durch Bundesaktionen entstanden. So haben die Ausgaben der Unternehmen für die UMTS-Lizenzen zu Steuerausfällen bei den Ländern geführt, und schließlich hat der Bund die Steuerreform initiiert, die zu ungewöhnlichen und nicht vorhergesehenen Steuerausfällen führt.

Hans-Werner Sinn (53) ist Präsident des ifo Institut für Wirtschaftsforschung in München und Professor für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft an der Münchener Universität.

Das Interview führte Thomas Eisenkrätzer