"Horrorszenario"

Interview mit Hans-Werner Sinn, Handelsblatt, 21.03.2003, S. 7

NACHGEFRAGT: HANS WERNER SINN

Herr Professor Sinn, was bedeutet der Irak-Krieg für die deutsche Wirtschaft?

Konjunkturprognosen zu machen war nie so schwierig wie derzeit. Alles hängt davon ab, wie der Krieg verläuft. Ist er kurz und auf Irak beschränkt - was wir für das wahrscheinlichste Szenario halten -, dann hat er keinen weiteren negativen Einfluss auf die deutsche Konjunktur.

US-Präsident Bush hat gesagt, der Krieg könne länger dauern, als viele erwarten. Was passiert dann?

Wenn die Lage dennoch unter Kontrolle bleibt, dürfte der Ölpreis deutlich steigen, weil die Ölversorgung ins Stocken gerät. Das raubt den Konsumenten Kaufkraft: Das Geld, das sie an die Ölscheichs bezahlen, können sie nicht für Konsumgüter ausgeben. Wenn der Ölpreis längere Zeit um 30 US-Dollar steigt, kostet das Deutschland 2003 rund 0,5 Prozentpunkte Wachstum. Eine weitere Gefahr ist ein neuerlicher Kursrutsch an den Aktienmärkten. Das könnte Deutschland um weitere 0,2 bis 0,4 Wachstumspunkte bringen. Dann lägen wir nahe null.

Befürchten Sie, dass die deutschen Exporte in die USA wegen der politischen Spannungen leiden könnten?

Das ist eine reale Gefahr, falls der Krieg länger dauert und sehr blutig wird. Dann könnte sich die öffentliche Stimmung in den USA gegen die Länder richten, die den Krieg nicht unterstützen. Wenn die deutschen Exporte in die USA um zehn Prozent zurückgehen, kostet uns das rund 0,4 Prozentpunkte Wirtschaftswachstum.

Was passiert, wenn der Krieg eskaliert?

Im Extremfall könnten wir in eine Situation wie nach dem Ersten Weltkrieg kommen - die Globalisierung der Wirtschaft könnte zurückgedreht werden. Das wäre ein Horrorszenario, die Weltwirtschaft würde in eine nachhaltige Rezession fallen.

Wie hoch schätzen Sie das Deflationsrisiko in Deutschland ein?

Ich würde die Wahrscheinlichkeit auf 20 bis 30 Prozent schätzen. Es gibt in Deutschland eine Reihe von Parallelen zu Japan. Die Aktienmärkte sind kollabiert, wir haben eine Bankenkrise und Niedriglohnwettbewerber vor der Haustür. Aber es gibt auch Unterschiede: Japan leidet anders als wir unter dem Zusammenbruch des Immobilienmarktes.

Das Gespräch führte Olaf Storbeck.